Susanne Memarnia war auf Abschiedsbesuch im Beratungsbüro für die Habersaathstraße: Alleine gelassen mit einem Sack voller Sorgen
Die beiden Schreibtische sind fast leer geräumt, aber Kaffee gibt es, und auch das abgewetzte Sofa unterm Fenster steht noch: Bis Freitag muss die Neue Chance das Ladenlokal in der Habersaathstraße geräumt haben. „Ich war oft hier“, seufzt Janet Amin ein bisschen wehmütig, „zum Kaffeetrinken, Sorgen loswerden. Immer hatte jemand ein offenes Ohr für mich.“ Amin, 46, ist eine der knapp 100 Besetzer*innen, die sich im Dezember 2021 die leer stehenden Wohnungen der Häuser 40–48 gleich nebenan gekapert haben. Seither betrieb der Diakonieträger Neue Chance dort eine Sozialberatung für die ehemaligen Wohnungslosen, erst in der Nr. 46, zuletzt im Ecklokal in der Straße gegenüber. „Die haben mir sehr geholfen zurück in die Eigenständigkeit zu finden“, erzählt Amin, die jahrelang auf „der Platte“ gelebt hat und heroinabhängig war. Mit der Hilfe ist es nun vorbei: Die Förderung durch den Bezirk ist schon im August 2022 ausgelaufen, seither ging es spendenfinanziert weiter – nun ist endgültig Schluss.
Der Bezirk Mitte habe erklärt, im Haushalt sei kein Geld mehr, erklärt Projektleiterin Maike Reiners, eine von zuletzt nur noch zwei Sozialarbeiter*innen. Sven, ein Bewohner, der sich auf dem Sofa flätzt und seinen Nachnamen nicht nennen will, schnaubt: „Die wollen, dass das Ding vor die Wand fährt, indem man uns die Unterstützung entzieht.“ Ohne die Sozialbetreuung, da ist er sicher, „fallen viele wieder in ihre alte Struktur zurück“, sprich: Drogen, Alkohol, all die anderen Probleme werden zurückkommen.
Maike Reiners und ihre Kollegin Anja Bockelmann haben viel für die früheren Wohnungslosen getan, da sind sich Janet und Sven einig: „Wenn wir Probleme mit Ämtern hatten, haben sie geholfen, auch beim Anträgestellen“, erzählt Sven. „Mich haben sie ermuntert, endlich wieder ein Konto zu eröffnen. Und einen Computer habe ich jetzt auch“, berichtet Janet. Auch bei der Wohnungssuche haben sie geholfen – und drei Hauptmietverträge wurden für Habersaath-Leute abgeschlossen – ein kleines Wunder in diesen Zeiten!
Doch nicht nur die tatkräftige Hilfe fällt weg: „Wir bekommen dann auch keine Post mehr“, sorgt sich Sven. Die wurde ins Ladenlokal zugestellt, damit der Eigentümer die Namen der Besetzer*innen nicht von den Briefkästen ablesen kann. „Das wird Ärger geben“, befürchtet der gelernte Fernfahrer. Wenn etwa Briefe von Job- und Sozialämter nicht mehr zugestellt werden können, dächten die gleich, man kooperiere nicht mehr. „Seitens des Bezirksamts wird wirklich alles versucht, uns rauszudrängen“, ist er sicher.
Vom Bezirk haben auch die Sozialarbeiterinnen lange nichts gehört. Und so ist der Sachstand bei allen an der Kaffeetafel: Seit letztem Herbst schon gibt es keine Gespräche mehr zwischen Politik und Eigentümer über die weitere Duldung der Besetzer*innen. Eigentlich will der Eigentümer den Gebäudekomplex mit über 120 Wohnungen abreißen und neu bauen – nach langem Hin und Her hat der Bezirk auch die Abrissgenehmigung erteilt. Dennoch ist Sven optimistisch, dass es so schnell nicht klappen wird. „Wir wohnen jetzt schon über ein Jahr hier, da muss der Eigentümer für jeden Einzelnen von uns eine Räumungsklage durchsetzen.“
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