piwik no script img

Super RecognizerDie Berliner Polizei macht es richtig

Eiken Bruhn
Kommentar von Eiken Bruhn

Der Einsatz von Menschen, die sich Gesichter besonders gut merken können, ist sinnvoll – solange nachvollziehbar ist, wie sie rekrutiert werden.

So viele Gesichter: Super Recognizer sind Menschen, die sie sich besonders gut merken können Foto: Arne Dedert/dpa

M anchmal ist es selbst für die taz leicht, die Polizei zu loben, weil das Lob der einen die Kritik an anderen enthält. Am Mittwoch stellte das Landeskriminalamt Berlin seine Auswertung eines zweijährigen Probelaufs für den Einsatz von sogenannten Super Recognizern vor und zeigte damit anderen Bundesländern, wie man es richtig macht. Also so, dass weder zu hohe Erwartungen geweckt noch Ängste geschürt werden.

Als Super Recognizer werden Menschen bezeichnet, die überdurchschnittlich gut Gesichter anderer wiedererkennen. Woran das liegt, ist ungeklärt. Nach aktuellem Forschungsstand scheinen sie sich an einem Ende eines Spektrums zu befinden. Am anderen stehen Menschen, die ihre Angehörigen nicht erkennen. Dabei unterscheiden sich Super Recognizer stark voneinander, weil sie wohl nicht eine „Superkraft“ haben, sondern unterschiedlich ausgeprägte Fähigkeiten innerhalb verwobener Prozesse der visuellen Wahrnehmung und des Gedächtnisses.

Diese Erkenntnisse sind zu einem großen Teil der Neurowissenschaftlerin Meike Ramon zu verdanken, Professorin an der Fachhochschule Bern, die seit über zehn Jahren zu dem Thema forscht. Sie hat mit der Berliner Polizei ein Verfahren erarbeitet, mit dem diese in den eigenen Reihen nach Super Recog­nizern sucht. Sie helfen bei der Fahndung nach und Identifikation von Tatverdächtigen, indem sie Bildmaterial mit eigenen Erinnerungen oder Fotos abgleichen. Aufgrund des technischen Stands von Gesichtsverarbeitungsprogrammen und der Gesetzeslage sind die Super Recog­nizer derzeit selbst KI-gestützten Systemen überlegen.

Nun setzen auch weitere Bundesländer die Spezialkräfte ein. Aber im Gegensatz zu diesen weiß die Berliner Polizei, was sie tut. Moment, das ist nicht ganz fair, denn auch in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz wird an wissenschaftlich fundierten – also überprüf- und evaluierbaren – Verfahren gearbeitet, wie deren Innenministerien der taz mitteilten.

Bemerkenswert hemdsärmelig

Hessen, Bayern, Sachsen und Baden-Württemberg sowie die Bundespolizei hingegen sehen keinen Anlass, nicht mehr mit dem britischen Psychologen Josh Davis von der Universität Greenwich zusammenzuarbeiten, obwohl dessen Vorgehen für einen Wissenschaftler bemerkenswert hemdsärmlig ist.

Ob sein Test überhaupt diejenigen findet, die effektiv als Super Recog­nizer im Dienst der Polizei eingesetzt werden können, hat er nicht untersucht – ihm fehle dafür Zeit und Geld, wie er der taz vor zwei Jahren sagte. Meike Ramon und andere kritisieren, dass seine Tests – benannt nach der Universität, an der er arbeitet – nur diejenigen findet, die unter Laborbedingungen gut abschneiden.

Der von Meike Ramon gemeinsam mit der Berliner Polizei entwickelte „BeSure“-Test hingegen soll praxistauglich sein. Josh Davis findet, seine Kri­ti­ke­r:in­nen hätten „eine Obsession mit der Test-Qualität“. Er hingegen sei „pragmatisch“, wie er 2020 in einem Aufsatz schrieb: „Kriminelle warten nicht, und Organisationen brauchen jetzt Super Recognizer“. Damit bedient er genauso wie Mike „Mick“ Neville, Gründer der ersten, längst wieder aufgelösten Super-Recognizer-Einheit bei der Metropolitan Police London, das Bild vom Schwerverbrecher jagenden Supercop, der mit seinem übermenschlichen Gedächtnis „kein Gesicht vergisst“, wie es in Dutzenden von Schlagzeilen heißt.

Letztendlich torpedieren sich alle selbst, die ohne solide Datenbasis und nachvollziehbare Kriterien Super Recog­nizer auswählen und beschäftigen. Unter Straf­ver­tei­di­ge­r:in­nen kursieren zwei Aufsätze, die Zeugenaussagen von Super Recognizern als „Pseudo-Beweismittel“ diskreditieren. Der Bundesgerichtshof hat diese These übernommen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Eiken Bruhn
Redakteurin
Seit 2003 bei der taz als Redakteurin. Themenschwerpunkte: Soziales, Gender, Gesundheit. M.A. Kulturwissenschaft (Univ. Bremen), MSc Women's Studies (Univ. of Bristol); Alumna Heinrich-Böll-Stiftung; Ausbildung an der Evangelischen Journalistenschule in Berlin; Lehrbeauftragte an der Univ. Bremen; Systemische Beraterin (SG).
Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!