Südkorea: Linker Oppositionsführer Lee gewinnt Präsidentschaftswahl
Der linke Oppositionsführer Lee Jae-myung ist neuer Präsident in Südkorea. Der konservative Gegenkandidat Kim Moon Soo räumte seine Niederlage ein.
Für Kristian Brakel, Ostasien-Büroleiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Seoul, zeigt das Wahlergebnis, dass sich die Südkoreaner mehrheitlich nach einem politischen Wandel sehnen. „Dass die konservative Partei allerdings unter den gegebenen Bedingungen immer noch relativ gut abgeschnitten hat, zeigt dann aber auch, wie tief die Polarisierung in dem Land immer noch geht“, so der Politikexperte.
Vor genau einem halben Jahr hat der konservative Ex-Präsident Yoon Suk-yeol überraschend das Kriegsrecht ausgerufen und Spezialkräfte der Armee zum Parlament entsandt. Die Ausnahmesituation konnte zwar wieder abgewandt werden, doch der Imageschaden blieb: Südkorea drohte, in die Vergangenheit der autoritären Militärherrscher zurückzufallen. Und trotzdem wählte ein beachtlicher Teil der Bevölkerung mit dem ehemaligen Arbeitsminister Kim Moon-soo einen engen Vertrauten Yoons.
Lee Jae-myung spiegelt Aufstieg des Landes wider
Dass der künftige Präsident Yoon das gespaltene Land einen kann, gilt als nahezu ausgeschlossen. Doch ohne stabile Verhältnisse sind die Aufgaben, vor denen Südkorea steht, kaum zu meistern: Die Wirtschaft, die jahrzehntelang boomte, ist im letzten Quartal sogar geschrumpft. Die Spannungen gegenüber Nordkorea sind zuletzt wieder deutlich gestiegen, seit Pjöngjang eine beispiellose Militärkooperation mit Moskau eingegangen ist. Hinzukommen Trumps Strafzölle, die eine Exportnation wie Südkorea ganz besonders hart treffen würden.
Doch Lee Jae-myung ist vielleicht genau die richtige Person für den Job. Denn die Aufsteiger-Biografie des linken Politikers spiegelt schließlich geradezu archetypisch den beeindruckenden Aufstieg des Landes wider. Doch konnte sich Lee Jae-myung aus den Fesseln der Armut befreien, und zwar dank eines Studiums an der Chungang-Universität in Seoul. Bildung als Möglichkeit für den sozialen Aufstieg: Bis heute hat sich diese Idee tief in die kollektive Psyche der Koreaner eingebrannt. Und Lee ist das beste Beispiel dafür: Nach seinem Abschluss machte er sich als Menschenrechtsanwalt einen Namen.
Als Politiker galt der Südkoreaner einst in seinem Heimatland als linkspopulistisch bis teilweise radikal. Dass er etwa – noch als Lokalpolitiker – ein bedingungsloses Grundeinkommen forderte, war im ostasiatischen Tigerstaat bis dato unerhört.
Doch Lee ist es gelungen, sich neu zu erfinden – und auch für die politische Mitte zu öffnen. Außenpolitisch möchte er eine diplomatische Balance zu China wieder erlangen, ohne jedoch die Allianz mit den USA zu gefährden. Doch auch gegenüber Russland dürfte Lee weniger Distanz wahren, als es sein Vorgänger Yoon tat.
Innenpolitisch setzt sich Lee für verkürzte Arbeitszeiten ein, einen Ausbau der erneuerbaren Energien und verstärkte Investitionen in Zukunftstechnologien. Ob er seine Vision auch in die Tat umsetzen kann, hängt vor allem davon ab, ob er auch Teile der Opposition bei der Stange halten kann. Andernfalls droht sich das Schicksal vieler südkoreanischer Regierungen erneut zu wiederholen: dass diese nämlich in Streit und Blockaden enden.
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