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■ Südafrika: Bei der Suche nach der Wahrheit hat die Kommission vieles geleistet. Zur Versöhnung konnte sie weniger beitragenHumanitäres Bekenntnis

Fast drei Jahre lang hat die „Kommission für Wahrheit und Versöhnung“ versucht, Menschenrechtsverletzungen in der Apartheid-Zeit zu untersuchen. Ziel war, eine polarisierte und von Gewalt geprägte Gesellschaft auszusöhnen. Ihr Auftrag war also ein doppelter – Wahrheit und Versöhnung. In der Umgangssprache war allerdings schon bald nur von der „Wahrheitskommission“ die Rede. Das ist kein Zufall. So schwer die Suche nach historischer Wahrheit auch sein mag, sie ist leichter zu finden als Versöhnung.

Der Anspruch der Kommission war so ergeizig wie idealistisch und weltweit ohne Vorbild. Nachdem die Erfahrungen anderer Länder sorgfältig studiert worden waren, entschied Südafrika, daß es keine rein strafrechtliche Verfolgung von Tätern geben sollte, aber auch keine Blankoamnestie wie in vielen Ländern Südamerikas. Dieses Verfahren war keineswegs Resultat hehrer Überzeugungen, sondern ein historischer Kompromiß. In Südafrika gab es keine wirklichen Sieger und Verlierer. Und es hieß, daß es allenfalls historische, aber keine juristische Gerechtigkeit geben werde.

Die Kommission war von Beginn an ein ungeliebtes Kind, das viele gern zum Schweigen gebracht hätten. Die Berufung Tutus zum Vorsitzenden durch Mandela hat das verhindert. Wenngleich der tiefgläubige Christ die Anhörungen oft in messeähnliche Veranstaltungen verwandelte, ließ er sich den Mund nicht verbieten – auch nicht von der heutigen Regierungspartei, dem ANC. Es ist Tutus Leistung, daß der Abschlußbericht trotz aller Anfeindungen ein historisches Dokument werden konnte – und ein humanitäres Bekenntnis zugleich. Tutus Überzeugung, daß es Schlechtes im Guten geben kann, daß ein gerechter Kampf nicht jedes Mittel rechtfertigt, zieht sich durch die 3.500 Seiten. Oft ist der Kommission vorgeworfen worden, zugunsten der Befreiungsbewegungen parteiisch zu sein. Die Versuche des ANC, die Veröffentlichung des Berichts zu verhindern, beweist anderes.

Die Arbeit der Kommission wurde von dramatischen Ereignissen begleitet. Erinnert sei an den Streit um die Amnestieregelung, an die Flut juristischer Klagen bis hin zum Verfassungsgericht, die Bombendrohungen und Nervenzusammenbrüche, die bewegenden Leidensgeschichten und die pathologischen Verschwörungstheorien. Am Ende ist es der Kommission gelungen, tatsächlich so etwas wie eine historische Wahrheit zu finden und diese ansprechend zu präsentieren. Dabei hat sie es verstanden, den alltäglichen, allgegenwärtigen Terror zu beschreiben und die Strukturen eines unmenschlichen Systems aufzudecken. Den Opfern widerfährt insofern Gerechtigkeit, als das Unrecht nun öffentlich ist.

Ein für allemal wird die Apartheid als Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingestuft, für das der südafrikanische Staat mit seinen Vollzugsorganen und die jahrzehntelang regierende Nationale Partei verantwortlich sind. Wem dies banal erscheint, der verkennt die Realität am Kap. Viele Weiße halten die Apartheid immer noch für ein gutgemeintes, aber leider gescheitertes Experiment. Nach dem Bericht der Wahrheitskommission kann kein Weißer mehr behaupten, das Regime habe keine Verbrechen begangen. Doch auch den Befreiungsbewegungen wurde kein Persilschein ausgestellt. Die Unparteilichkeit, die die Kommission überraschend deutlich bewiesen hat, macht die Konstituierung von Wahrheit erst möglich: Alle sind schuldig.

Schwieriger steht es indessen um die Versöhnung. Der Geist, aus dem die Kommission geboren wurde, existiert heute nicht mehr. Viele Opfer haben zwar in ihren Aussagen beschämenden Versöhnungswillen gezeigt. Doch im Alltag und im politischen Geschäft hat sich der Tonfall verschärft, ist Rassismus ein wohlfeiler Vorwurf – von allen Seiten. Die „Regenbogennation“, von der Tutu träumt, ist ein Mythos geblieben.

Bestenfalls leben heute nach Hautfarbe definierte Teilgesellschaften, getrennt auch durch extreme soziale Ungleichheit, einigermaßen friedlich nebeneinander. Nach einer 350jährigen Geschichte blutiger Konflikte ist das nicht wenig. Von einem Wunder aber mag niemand mehr so recht sprechen. Doch Südafrika stünde ohne Wahrheitskommission nicht da, wo es heute steht. Schließlich ist die Wahrheit Voraussetzung für Versöhnung. Eine Zivilgesellschaft, in der Menschenrechte wirklich allgemein anerkannt werden und nicht nur in der Verfassung stehen, muß es allerdings erst noch aufbauen. Die Wahrheitssuche war dafür eine Voraussetzung.

Welche Lehren können andere Länder aus der südafrikanischen Erfahrung ziehen? Ist das Modell übertragbar? Das südafrikanische Modell ist sicherlich bei schweren Menschenrechtsverletzungen ein taugliches Instrument, nicht aber bei Völkermord. In Ruanda oder Bosnien kann es allenfalls eine Ergänzung zur notwendigen strafrechtlichen Verfolgung sein. Es einfach zu übertragen wird sich in der Praxis aufgrund der unterschiedlichen Ausgangsbedingungen ohnehin als undurchführbar erweisen. Zwei Voraussetzungen allerdings sind unverzichtbar: der Wille der Gesellschaft zur Versöhnung und eine Amnestieregelung, die keinen Blankoscheck für die Diktatoren und Täter ausstellt. In Südafrika konnten politische Straftaten nur dann amnestiert werden, wenn die Täter ein volles Geständnis ablegten.

Die Folge dieser Regelung ist schmerzlich: Die politisch Verantwortlichen kommen auch in Südafrika ungeschoren davon. Amnestie beantragt haben in erster Linie bereits verurteilte Schergen des alten Systems. Und dennoch geht die individuelle Amnestieregelung weit über das hinaus, was beispielsweise in Chile oder Argentinien ausgehandelt wurde. Augusto Pinochet, um ein aktuelles Problem anzusprechen, hätte in Südafrika keine automatische Immunität zugesichert bekommen.

Die de Klerks und Bothas können jetzt theoretisch vor Gericht gebracht werden – vorausgesetzt, die Beweislast reicht aus. Allerdings droht nun, daß der gesamte Amnestieprozeß im nachhinein ausgehebelt wird. Immer lauter werden die Forderungen, doch noch die Generalamnestie zu erlassen, die die Nationale Partei schon vor dem Machtwechsel gefordert hatte. Der ANC ist dem nicht mehr abgeneigt, seitdem auch eigenen Mitgliedern, selbst Regierungsmitgliedern, schwere Menschenrechtsverletzungen angelastet werden. Für die Opfer und jene Täter, die den Mut besessen haben, auszusagen, wäre dies ein Schlag ins Gesicht. Kordula Doerfler

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