■ Todesstrafe für Expräsident Süd-Koreas gefordert: Süd-Korea überholt Japan
Die südkoreanische Demokratie wird in diesem Sommer gerade erst neun Jahre alt. Vielleicht kann dies erklären helfen, weshalb der historische Prozeß gegen Exdiktator Chun Doo Hwan, der Süd-Korea bis 1988 mit eiserner Faust regierte, und seinen ersten demokratischen Nachfolger, Roh Tae Woo, mitnichten nach den Regeln einer unabhängigen Justiz verläuft. Die kurzen Zeugenvernahmen und der rasche Verhandlungsabbruch vor dem Seouler Bezirksgericht deuten ohne Umschweife auf einen politischen Prozeß, den der amtierende Präsident Kim Young Sam nicht nur zur Wahrheitsfindung, sondern auch zum eigenen Machterhalt führt. Im übrigen wissen die Südkoreaner sehr gut, daß der Generalstaatsanwalt ein guter Freund des Präsidenten ist.
Ein vergleichbares Gegenbeispiel für das faire Vorgehen einer unabhängigen Justiz kann derzeit das Nachbarland Japan bieten, wo dem Sektenführer Shoko Asahara – dem mutmaßlichen Verantwortlichen für die Tokioter Giftgasanschläge im letzten Jahr – ein umständlicher, auf Jahre angelegter Prozeß gemacht wird. So stellt sich Japan als die ältere, mit der Gewaltentrennung erfahrenere Demokratie dar.
Der oberflächliche juristische Vergleich aber verdeckt einen tieferen Demokratisierungsprozeß. Es ähnelt tatsächlich einer moralischen Sensation, wie sich die Öffentlichkeit in Seoul mit den Schandtaten der eigenen Geschichte gegenwärtig auseinandersetzt. Selbstkritik, der von der chinesischen Kulturrevolution und jedem japanischen Konzernherrn oft mißbrauchte konfuzianische Wert, bekommt hier ihre in Asien seltene aufklärerische Funktion. Gerade an dieser Stelle aber hat die japanische Demokratie versagt: Die staatliche Selbstkritik scheiterte, die Auseinandersetzung mit den eigenen Verbrechen fand von offizieller Seite nie statt. Im Vergleich zu einer Justizreform aber läßt sich dieses Versäumnis viel schwerer nachholen. Vielleicht werden es bald die Koreaner sein, die den Japanern demokratische Lektionen erteilen. Georg Blume
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