Suchanzeige: Zu Weihnachten eine Oma
Eine Familie aus Schöneberg will ihren Horizont erweitern und Kontakt zu älteren Menschen knüpfen. Darum sucht sie per Kleinanzeige Großeltern - in der taz. Ein Hausbesuch.
Unter der Rubrik "Sonstiges" werden in den taz-Kleinanzeigen normalerweise Fahrräder verkauft oder Gesangskurse angeboten. Gelegentlich werden auch Liebschaften gesucht. Aber Großeltern? "taz-Oma/Opa gesucht", war Mitte November zu lesen. "4-Kopf-Familie (37, 36, 3, 0,5) aus Schöneberg sucht Verstärkung und bietet Hilfe." Ende November war die Anzeige nochmal drin, offenbar hatte sich niemand gemeldet. Dabei hatte sich die Familie ein Ziel gesetzt. "Vielleicht schon Weihnachten zusammen feiern?", lautete der zaghafte Wunsch im Anzeigentext.
Anja Zimmer und Tim Tönnissen leben mit ihren Kindern in einer geräumigen Altbauwohnung am Kleistpark. Die Espressokanne faucht, auf dem Küchentisch strampelt das kleine Mädchen in ihrer Babywippe und wartet auf den Brei - ein ganz normaler Familienvormittag. Die Anzeige sei seine Idee gewesen, erklärt Vater Tönnissen. Ein Experiment, entstanden aus dem Wunsch nach "mehr familiärem Netzwerk in der Nähe".
An Großeltern fehlt es den ehemaligen Kreuzbergern, die seit einem Jahr Schöneberger sind, eigentlich nicht: Anja Zimmers Eltern leben in Rostock, Tim Tönnissens Eltern in Köln. Der Kontakt sei gut, man besuche sich mehrmals im Jahr - so oft es die Entfernung und der Terminkalender zuließen. "Alles schön", versichert Zimmer. Auch Freunde - mit Kindern und ohne - hat das Paar, das sich in der neuen Nachbarschaft gut eingelebt hat.
Und trotzdem gibt es da eine gewisse Sehnsucht, eine Leerstelle, ein Gefühl, zu sehr im eigenen Saft zu schmoren. "Wir hätten gern einen Gedankenaustausch mit jemandem aus einem anderen Lebensabschnitt", formuliert Tönnissen zögernd. Und setzt nach: "Ich habe die vage Vorstellung, dass es da draußen jemanden gibt, der das kritisch sieht, was uns umgibt. Jemand, der vielleicht Alternativen sieht zum gesellschaftlichen Status Quo."
Eine Polit-Oma also, die im Schaukelstuhl vom Häuserkampf in Kreuzberg erzählt? Oder einen Opa mit Draht zum Untergrund? Diese Vorstellung findet das Paar gar nicht so abwegig. "Wäre mir ehrlich gesagt lieber, als eine Omi mit Dutt, die in der Küche Kartoffeln schält und mit einer Hand die Wiege schaukelt", lacht Zimmer.
Ihre eigene Oma sei so gewesen: Patent, zupackend und immer im Hintergrund werkelnd. Die Pastorenfrau sei eine tolle Oma gewesen - für ihre eigenen Kinder dürfte es aber auch eine Person sein, die "ein bisschen aktiver mitmischt", sagt Zimmer, die von Beruf Tierärztin ist. Oder jemand, der Lust auf einen Computerkurs hätte, sagt der Kommunikationsdesigner Tönnissen, der sich gern sozial betätigen würde. Und mal wieder richtig politisch diskutieren.
Wen oder was sie eigentlich suchen, wissen die beiden selbst nicht so genau. Auch darüber, was man mit einem neuen Familienmitglied unternehmen könnte, gehen die Meinungen auseinander. Während er von gemeinsamen Ausflügen in Omis Datsche und vom Gemüseanbau träumt, wünscht sie sich jemanden, die mit dem Großen ins Kino geht - und mit ihr ins Theater. Momentan ist sie in Elternzeit, nach dem Wiedereinstieg in den Job könnte die Zeit für die potenzielle Oma auch schnell wieder knapp werden. "Es müsste ein flexibles Verhältnis sein, nicht allzu eng", sagt Zimmer. "Schließlich soll unser Leben mit Oma nicht anstrengender werden als ohne", pflichtet Tönnissen bei.
Daher sollten sich Großmutter oder Großvater ins spe auch nicht in die Kindererziehung einmischen, oder die Kleinen zu sehr in Beschlag nehmen. Ganz schön hohe Ansprüche, aber dafür will das Paar auch etwas geben. "Wir wollen keine Babysitterdienstleistung einkaufen, sondern uns gegenseitig Zeit und Aufmerksamkeit schenken", betont Zimmer.
Diesen besonderen älteren Menschen mit wachem Geist und Lust auf ideellen Austausch vermuten die beiden im Leserkreis der taz. Selbst lesen sie die Zeitung nur gelegentlich. Aber für ihr Anliegen erschien es das richtige Medium. "Die taz ist für uns ein Filter - schließlich geht es um eine bestimmte Geisteshaltung und nicht um Quantität", sagt Vater Tönnissen. Das politische Linkssein sei kein Kriterium, man könne mit so ziemlich allen Weltanschauungen umgehen. Aber ein kritisches Bewusstsein und Rückgrat seien Eigenschaften, die sie beide schätzten.
Die Zimmer-Tönnissens sind nette Leute. Dass bislang noch keine Oma in Sicht ist, hat sie etwas erstaunt. "Vielleicht ist das Ganze zu offen formuliert", grübelt er. "Vielleicht meldet sich noch wer - es ist bestimmt nicht leicht, sich auf so eine Anzeige einzulassen", meint sie. Selbst haben die beiden mit Anzeigen nur gute Erfahrungen gemacht, sie haben sich über eine Annonce im Stadtmagazin zitty kennen gelernt. "Ich suchte einen Mitbewohner - und Tim war der erste, der sich meldete", sagt Zimmer. Der Anzeigenkontakt hat Tradition in der Familie: Auch Tönnissens Mutter hat ihren Freund über die Zeitung kennen gelernt.
Ob mit oder ohne taz-Oma - an Weihnachten wird es bei den Zimmer-Tönnissens voll: Mit den beiden Kindern und ihren Eltern werden alle vier "echten" Großeltern um den Weihnachtsbaum sitzen. Eigentlich wollten die Eltern schon zu dieser Gelegenheit den Familienkreis erweitern. Tönnissen hatte sich auch schon ausgemalt, wie: "Sollte sich jemand Nettes melden, dann werden wir einfach sagen: Das ist die Waltraud. Oder der Eberhart. Und der feiert jetzt mit". Eifersucht befürchten sie nicht - die Großeltern würden sich über die zusätzliche Unterstützung in der großen Stadt freuen, glauben sie.
Doch aus dem Erstkontakt unterm Weihnachtsbaum wird nun erst mal nichts. Zwar hat sich eine Frau gemeldet, die gerne zu einem ersten Gespräch vorbei kommen möchte. Allerdings erst nach Weihnachten. Die Vier aus Schöneberg warten also weiterhin auf ihre taz-Oma.
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