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Stuttgarter Wasserwerfer-OpferAn der Realität erblindet

Das Bild von Dietrich Wagner ging durch alle Medien, nachdem ein Wasserwerfer dem 66-Jährigen ein Auge ausgeschossen hatte. Ob er je wieder sehen können wird, ist offen.

"Seine Augen sind noch immer schwer verletzt": Demonstrant Dietrich Wagner wird gestützt. Bild: dpa

Er ist der, der die tiefste Narbe im Stuttgarter Kampf um die Zukunft des Landes davongetragen hat: Das grauenerregende Bild von Dietrich Wagner ging durch alle Zeitungen, nachdem ein Wasserwerfer der Polizei dem 66-jährigen Rentner am Donnerstag ein Auge ausgeschossen hatte. Am Mittwoch hatte Wagner bereits seine zweite Augenoperation - und eine weitere steht noch aus. Ob der Ingenieur im Ruhestand jemals wieder wird sehen können, das vermögen die Ärzte noch nicht zu sagen.

"Sein allgemeiner Zustand ist stabil, doch seine Augen sind noch immer schwer verletzt", sagte eine Sprecherin des Stuttgarter Katharinenhospitals am Mittwoch der taz. Prellungen, die Lider zerrissen, der rechte Augenboden gebrochen, die Netzhaut vermutlich eingerissen. "Wie sich der Zustand des Patienten entwickelt, das müssen die nächsten Wochen zeigen."

Es wird ein dramatisches Warten sein. Denn Dietrich Wagner droht an einem Staat zu erblinden, der selbst die Augen vor der Realität verschlossen hat. Als die Polizei den Strahl auf sein Gesicht richtete, wollte er sich gerade schützend vor die zu seinen Füßen zusammengepferchten Schüler stellen. In einem Gedächtnisprotokoll schreibt er: "Ich erhob meine Arme und winkte mit beiden Armen dem Wasserwerferfahrer und den anderen Beamten zu, um sie zum Einhalten zu bewegen." Dann wurde er weggepustet, verlor sein Bewusstsein, vielleicht sein Augenlicht.

In Stuttgart schminken sich Demonstranten inzwischen die Wangenknochen unter den Augen blutig. Sie demonstrieren damit gegen den Innenminister Heribert Rech (CDU), der den Polizeieinsatz noch immer verteidigt. Dietrich Wagner hat Anzeige gegen Rech erstattet - wegen Körperverletzung.

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18 Kommentare

 / 
  • TC
    Tobias Claren

    Der Typ am Wasserwerfer wollte nur mal "No Mercy!" (C64) spielen (Sidescroller wo man alles abschießt was sich im Bild bewegt).

     

    Moorhuhnjagd mit dem Wasserwerfer (für die jüngeren).

     

     

    Hätte der Mann übrigens eine Schutzbrille getragen, man hätte ihn wegen Einsatzes einer "Waffe" angeklagt.

    Da erfindet man den Begriff der "Verteidigungswaffe". Wenn ein Polizist jemand nicht die Zähne ausschlagen kann, ist das krimineller Waffeneinsatz...

    So wie auch die wegen Waffeneinsatz angeklagt werden (auch ohne nur die Faust erhoben zu haben), die mit einem Rückenprotector oder Mundschutz usw. erwischt werden (aber keinerlei Waffen bei sich tragen).

     

    Gibt es eigentlich auch Lizenzfreie Fotos von dem Mann (in dieser Situation)?

     

    Schade, wenn es keine weiteren Fotos von dem gibt.

    Und solange es keine Software gibt die die Objekte in einem Foto erkennen, und leicht verändert (leicht anderer Winkel...) nachstellen kann (um das Urheberrecht zu umgehen).....

     

    Wenn Menschen so etwas sehen, sollten sie sich nicht denken "da ist ja schon ein professioneller Fotograf, was soll ich da noch knipsen". Sie müssen selbst draufhalten, auch wenn sie damit im Grunde "das Gleiche" Foto machen wie der Profi. Das ist keine Sensationsgier, das ist Zivilcourage (damit später das Motiv von den Bürgern ohne Urheberrechtsprobleme genutzt werden kann).

  • NH
    Nabil Hanano

    Es gibt auf dieser Welt nicht genug Kastanien, um das zu rechtfertigen, was Dietrich Wagner wiederfahren ist.

  • M
    Matthias

    Interessant, dass hier manche Menschen meinen, es wäre gerechtfertigt einen Menschen zu blenden, weil er anscheinen eine Kastanie nach Polizisten in Schutzmontur oder geschützten Fahrzeugen geworfen hat. Das zeugt von humanistischer Gesinnung und ethischem Rechtsempfinden. Ich denke, dass jemand, der solch einen Wasserwerfer bedient für sein Tun vollste Verantwortung trägt, und wissen sollte, was für körperliche Schäden solch ein Wasserwerfer verursachen kann. Wir haben in einer "Demokratie" viele Freiheitsrechte, ich denke mit diesen Rechten gehen in ALLEN Lebenslagen auch Pflichten einher. Vor allem die Pflicht, das eigene Handeln zu reflektieren und das eigene Handeln, auch wenn befohlen, vor sich selbst zu rechtfertigen. Wie kann ein Verantworlicher es als richtig empfinden einem Menschen das Augenlicht zu nehmen, der letztlich niemandem körperlichen Schaden zugefügt hat und dies wahrscheinlich auch nicht ernsthaft vorhatte. Ich glaube mich würden tiefste Scham und Schuldgefühle befallen. Es scheint vielen am einfachsten sich selbst zu täuschen und den Lauf der Dinge immer zu eigenen Gunsten grotesk zu konstruieren.

  • K
    Korrektor

    Zitat B.Kink: "[...]die Demonstranten [...] waren zuerst gewalttätig (Bilder von besetzten Polizeifahrzeugen beweisen dies)."

    Nein, mein lieber Mitmensch, da unterläuft Ihnen ein kleiner Denkfehler: Bilder von besetzten Polizeifahrzeugen beweisen nicht, dass die Gewalt von den Demonstranten ausgegangen ist, in dem Sinne, dass die Demonstranten sich zu erst gewalttätig verhalten haben oder auch nur, dass sie primär eskalierend gewirkt haben.

    Im Übrigen weiß ich auch nicht wirklich, wie genau sich das jetzt rechtfertigen lässt, wegen einer handvoll von Demonstranten, die bspw. Absperrgitter dem Zugriff der Polizei entzogen haben, indem sie das Fahrzeug besetzt hielten, Tausende in "Sippenhaft" zu nehmen, als geschlossenes Kollektiv zu behandeln und gewalttätig gegen generell Anwesende vorzugehen. Da stimmt irgendetwas nicht.

    Weiterhin sehe ich, selbst nach einem "terroristischen Kastanienwurf" gegen die angerückte Exekutive, die Verhältnismäßigkeit nicht gewahrt. Eine Kastanie auf gut gepanzerte Einsatzkräfte zu schleudern, oder einen mehreren bar starken Wasserstrahl auf das Gesicht einer ungeschützten Einzelperson abzufeuern: da besteht dann doch noch ein nicht wegzuleugnender qualitativer Unterschied in der Gewaltintensität.

  • A
    atypixx

    @ einige Kommentatoren hier

     

    Also wenn ein Mann irgendetwas, und sei es eine Kastanie, auf schwer uniformierte Polizisten wirft, kann man ihm mal ein bis zwei Augen wegpusten? Wow Leute, das ist harte Tobak!

  • L
    Lee

    Ja Herr Wagner hat etwas geworfen:

    Eine Kastanie!

  • H
    hto

    "Denn Dietrich Wagner droht an einem Staat zu erblinden, der selbst die Augen vor der Realität verschlossen hat."

     

    Ein Staat von Blinden, Tauben und Stummen in bürgerlich-gebildeter Suppenkaspermentalität auf "individualbewußter" / egoisierender Sündenbocksuche im "gesunden" Konkurrenzdenken des "freiheitlichen" Wettbewerbs!?

     

    Bisher habe ich nichts gehört was mich zu diesen Protestlern auf die Straße bringen würde, bzw. habe nichts gehört was auf ein allgemeines / vorbildlich-nachahmenswertes / fusionierendes Umdenken zu wahrhaftiger / unkorrumpierbarer Vernunft deutet - möchte nicht wissen wieviele von denen ansonsten den HartzIV-Empfängern und ähnlich Marginalisierten die "Butter auf dem Brot" nicht gönnen.

  • P
    pommi

    Wie hier versucht den Einsatz von Wasserwerfern und Spray zu rechtfertigen ist eine große Sauerei hier wird einem Bürger das Auge weggeschossen ohne Rücksicht auf Verluste die Verantwortlichen gehören vor Gericht und müssen einer gerechten Strafe zugeführt werden, Mappus und sein Clan gehören aus dem Amt gejagt hier wird Macht demonstriert und der Bürgerwille mit Füßen getreten.Was heute in der Politik geschiet und gerechtfertigt wird ist eine Schande Politverdrossenheit ja Demokratieverdrossenheit da muß sich keiner mehr wundern.Jagt diese Politker zum Teufel wir brauchen nicht nur andere Politiker sondern ein ganzen Umdenken im sozialen wirtschaftlichen ökonomischen Bereichen.

     

    pommi

  • B
    B.Kink

    Inzwischen gibt es ein Video, das den Herren beim Werfen von Gegenständen zeigt. So unschuldig, wie er sich darstellt, ist es gar nicht. Da die Polizei seit vielen Monaten immer friedlich mit den Demonstranten umgegangen ist, gibt es doch nur eine plausible Erklärung: die Demonstranten - vielleicht waren es andere als bisher - waren zuerst gewalttätig (Bilder von besetzten Polizeifahrzeugen beweisen dies).

  • KB
    Klaus Bern

    Bei allem Respekt, dass der gute Mann sich vor die Schüler stellen wollte: Ihn jetzt als Helden zu stilisieren finde ich sehr fragwürdig. Habe gerade ein Video gesehen, in dem er eindeutig dabei zu sehen ist, wie er zuvor Gegenstände auf Polizisten wirft. Ihn jetzt als Opfer des Staates zu bezeichnen, obwohl von ihm eindeutig Gewalt ausging (und selbst Polizisten sind Menschen) halte ich für geschmacklos.

  • N
    Neuhaus

    Leider tauchen nun Bilder auf, wie Wagner selbst eine Wurfbewegung in Rtg. Polizei ausführt. Was er dabei wirft erkennt man nicht.

     

    Als Märtyrer im Medienkrieg kann man ihn nun jedenfalls nicht mehr missbrauchen, liebe taz.

  • M
    Marc

    In meiner Nachbarschaft wohnt ein ehemaliger Polizist, der heute schwerstbehindert, bei einer Anti-Atomkraft-Kundgebung von Demonstranten den Inhalt eines Feuerlöschers in die Lungen geschossen bekam und die Familie von Bahnchef Grube steht wegen Morddrohungen unter Polizeischutz der höchsten Stufe. Scheinbar taugt soetwas in der Gesellschaft aber wohl nicht zum Märtyrertum.

  • SM
    Stefan Meier

    Es ist eine riesen Sauerei ein solches Bild zu veröffentlichen.

     

    Vielleicht sind andere Menschen abgebrühter, mir hat es aber zumindest den Tag verdorben, vielleicht empfinde ich den Anblick sogar traumatisch.

  • H
    heinzl

    Auch nicht tagesaktuelle Artikel sollten zu Gunsten einer ausgewogenen journalistischen Berichterstattung kommentiert werden.

     

    Herr Wagner wurde nämlich dabei gefilmt wie er Gegenstände auf die Polizisten warf. Natürlich ist seine Verletzung traurig, er hat sich aber bewusst in Gefahr gegeben und selbst Gewalt ausgeübt.

     

    Daher eignet sich dieses Bild nicht um die Betroffenheit der unschuldig verletzten Opfer darzustellen.

     

    Begeben Sie sich nicht auf Bildzeitungsniveau und wählen ein Bild aus einem anderen Zusammenhang aus um einen Inhalt zu transportieren.

  • C
    Chris

    Selber schuld.

    Erstens hat er, wie auf einem Polizeivideo zu sehen ist, selber Gegenstände auf die Polizei geworfen. Zweitens wird keiner gezwungen, sich vor einen Wasserwerfer zu stellen.

  • A
    André

    Was hier in Stuttgart passiert ist ein Drama! Stuttgart braucht jede Hilfe, auch von ganz oben, um diesen Albtraum zu stoppen. Eine technische, kaufmännische, städtebauliche Katastrophe, wie sie schlimmer nicht sein kann. Eine ernsthafte Untersuchung würde garantiert mit mehreren Haftstrafen enden.

  • Z
    zaungast

    "Ärger, Wut und Hass machen blind!",sagt Karin Maag MdB (CDU, Stuttgart): http://webtv.bundestag.de/iptv/player/macros/bttv/download.html?contentId=808082

  • MS
    Moritz Schallaböck

    Grotesk. Die beteiligten Polizisten gehören in den Knast. Auch bei unseren anonymisierten Ausübern des Gewaltmonopols müsste es ja ein Leichtes sein, festzustellen wer da zu dem Zeitpunkt im Wasserwerfer saß.