Stuttgart kämpft gegen Hitze: Frische Luft für heiße Tage
In der schwäbischen Metropole gibt es bald Temperaturen wie in Italien. Die Stadt pflanzt Bäume und begrünt Dächer, um für Abkühlung zu sorgen.
![](https://taz.de/picture/302824/14/stuttgart.20100727-16.jpg)
Wenn Japaner zu sehr ins Schwitzen geraten, holen sie sich Rat bei Ulrich Reuter. Er arbeitet in der Abteilung Stadtklimatologie des Amts für Umweltschutz in Stuttgart. Eine Abteilung, die es schon seit 1938 gibt und als Vorreiter gilt, wenn es darum geht, "Hitzestress" in einer Großstadt möglichst zu vermeiden. Denn im Zuge des Klimawandels könnte ein Hitzesommer wie 2003 in der baden-württembergischen Landeshauptstadt zur Regel werden.
"In hundert Jahren herrscht in Stuttgart ein Klima wie in Florenz oder wie in Rom - je nachdem ob wir das Zweigradziel im Klimaschutz erreichen oder nicht", sagt Andre Baumann vom Umweltverband Nabu in Baden-Württemberg. Das Zweigradziel gilt unter Experten als die entscheidende Marke: Sie halten die Folgen des Klimawandels nur dann für beherrschbar, wenn sich die Erderwärmung auf zwei Grad beschränkt.
Ändern wird sich das Klima in jedem Fall - und darauf bereiten sich die Beamten in den Stuttgarter Behörden vor. Die Maßnahmen, die Reuters Abteilung wählt, scheinen relativ simpel zu sein - und doch können sie in Zukunft für eine überhitzte Großstadt enorm wichtig sein. Zum einen will die Landeshauptstadt möglichst viele Flächen begrünen. Angefangen von oberirdischen Parkplätzen über Mülltonnenstellplätze bis hin zu Flachdächern. "Nichtasphaltierte Flächen sind einfach deutlich kühler, besonders bei Dachflächen. Letztgenannte können sich ohne Grünbewuchs bis zu 90 Grad aufheizen", sagt Reuter.
Geld für grüne Dächer
So hat die Stadt von 1986 bis Ende 2009 mit rund 1,1 Millionen Euro die Begrünung von privaten Dächern gefördert. In 428 Projekten wurde insgesamt eine Dachfläche von 65.000 Quadratmetern bepflanzt. Ende 2009 ist das Förderprogramm allerdings eingespart worden.
Doch Begrünung ist nicht alles. Die Stuttgarter setzen zum anderen auf sogenannte Frischluftschneisen. Dabei nutzen sie ein Phänomen, das überall dort auftritt, wo es Berge und Täler gibt. Die Stuttgarter Innenstadt liegt im Talkessel, wodurch sich dort die Wärme staut und sich die Häuser selbst nachts nicht richtig abkühlen können. Das höher gelegene Umland hingegen kühlt sich wesentlich stärker ab, das gilt vor allem für Wiesenflächen und Wälder. Da die kühle Luft wiederum schwerer ist als warme Luft, strömt sie hinunter ins Tal. "Um diesen Effekt optimal nutzen zu können, sollte möglichst dort, wo Kaltluft abfließt, nicht gebaut werden", sagt Reuter.
"Sonst stünde das Gebäude der Luft sozusagen im Weg." Darüber muss letztlich der Stuttgarter Gemeinderat entscheiden. "Der muss natürlich verschiedene Belange vergleichen, auch wirtschaftliche", so Reuter. "Aber die Klimaziele werden bei Entscheidungen immer wieder stark berücksichtigt." Bei zu starken Konflikten seien auch Kompromisse denkbar, etwa ein Gebäude in der Luftschneise nicht zu hoch zu bauen oder es parallel zum Luftstrom zu setzen.
In Stuttgart gibt es mittlerweile drei Hauptfrischluftschneisen, darüber hinaus aber zahlreiche weitere, ungeordnete Taleinschnitte. "Letztlich machen wir das, was wir getan haben, um das Stadtklima zu verbessern - lange bevor der Klimawandel im Gespräch war", sagt Reuter. Viele andere Städte hätten sich dagegen in der Vergangenheit selten um Frischluftschneisen gekümmert. Um den Rückstand aufzuholen, rufen heute die Bürgermeister bei ihm an - auch aus Spanien, Hongkong oder Südkorea.
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