Sturmtief Xynthia: "Besser kein Spaziergang im Wald"
Das gewaltige Sturmtief "Xynthia" hat in Westeuropa schwere Schäden angerichtet und mindestens 50 Menschen das Leben gekostet. Zugverkehr jetzt auch in NRW eingestellt.
FRANKFURT apn | Das Orkantief "Xynthia" hat in Europa mehr als 50 Menschen in den Tod gerissen, darunter drei in Deutschland. Allein in Frankreich kamen am Wochenende mindestens 45 Menschen ums Leben, die meisten von ihnen ertranken im Hochwasser. Der Sturm hinterließ eine Spur der Verwüstung: Bäume wurden entwurzelt, alles, was nicht niet- und nagelfest war, flog wie Geschosse durch die Luft. Hunderte Flüge mussten gestrichen werden; der Bahnverkehr kam teilweise zum Erliegen.
In Deutschland starben zwei Rentner: In Feldberg-Bärental im Schwarzwald fiel ein Baum auf ein Auto, der 74-jährige Fahrer starb, seine Ehefrau wurde schwer verletzt. Im Taunus (Hessen) wurde ein 69-jähriger Wanderer, der mit einer Gruppe von 20 Leuten unterwegs war, von einem Baum erschlagen. Dasselbe Schicksal ereilte eine Frau beim Nordic-Walking im Rhein-Erft-Kreis. Wie die Polizei in Bergheim mitteilte, war sie trotz heftigen Sturms in einem Wald in Pulheim bei Köln unterwegs gewesen.
Die Deutsche Bahn stellte den Zugverkehr in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Hessen vorübergehend ein. Die Bahnhöfe in Frankfurt am Main und Stuttgart konnte nicht mehr von ICE- und InterCity-Zügen angefahren werden, die beiden großen Frankfurter Bahnhöfe waren zeitweise geschlossen. In Nordrhein-Westfalen waren vor allem die Strecken zwischen Dortmund und Hamm sowie Köln und Bonn betroffen.
Die A3 bei Frankfurt/Main, eine der wichtigsten Autobahnverbindungen durch Deutschland, wurde gesperrt. Wegen der vorübergehenden Schließung des Bahnhofs am Frankfurter Flughafen wurde den Flugverkehr zusätzlich beeinträchtigt, zahlreiche Flüge fielen aus. Wegen Verzögerungen durch den notwendigen größeren Sicherheitsabstand der Flugzeuge wurden 217 Flüge gestrichen, die Reisenden mussten stundenlang warten.
"Xynthia" sei ein Sturmtief, "wie man es nicht jedes Jahr hat", sagte Meteorologe Peter Hartmann vom Deutschen Wetterdienst (DWD) in Offenbach. Er warnte vor Spaziergängen im Wald. "Und wer nicht Auto fahren muss, sollte es besser vermeiden."
In Hessen waren Polizei und Feuerwehr im Dauereinsatz. Mobile Toiletten und Baustellen-Ampeln flogen durch die Luft. Bäume stürzten um, Fassadenteile, Material von Baustellen und Werbeplakate wirbelten umher und blockierten Straßen. Wegen des hohen Wasserstandes des Mains mussten Parkplätze in Flussnähe geräumt werden.
Im Saarland wurden zwei Menschen durch einen umstürzenden Baum verletzt. Im pfälzischen Landau erlitt eine Frau schwerste Verletzungen, als der Sturm ein Eisentor aus der Verankerung riss, das sie gerade schließen wollte. Bei Würzburg in Bayern erlitt ein Mann schwere Quetschungen als er im Sturm die Arretierung eines Krans lösen wollte.
"Alles, was laufen und fahren kann, ist unterwegs"
In einigen Orten in Rheinland-Pfalz fiel vorübergehend der Strom aus. Feuerwehr und Polizei verzeichneten Hunderte von Einsätzen. "Wir haben 50 Bäume, die umgestürzt sind", erklärte ein Polizeisprecher in Trier. "Alles, was laufen und fahren kann, ist unterwegs", hieß es von den Einsatzkräften in Mainz. "Die Bäume knicken um wie die Streichhölzer." Dächer wurden vom Sturm abgedeckt und Baustellen verwüstet.
Auch viele Straßen Baden-Württembergs waren von entwurzelten Bäumen blockiert. Auch in Nordrhein-Westfalen richtete "Xynthia" viele Schäden an. Umgestürzte Bäume behinderten den Straßenverkehr - auch auf der A4 bei Aachen. In Köln musste die Deutzer Brücke über den Rhein vorübergehend gesperrt werden.
Rekordgeschwindigkeiten im Baskenland
In Portugal und Nordspanien hatte sich "Xynthia" zuerst ausgetobt. Im spanischen Baskenland erreichte der Orkan mit 228 Stundenkilometern nach Angaben des baskischen Innenministeriums Rekordgeschwindigkeiten. Dieser Wert liegt noch über den 213 Stundenkilometern des Jahrhundert-Orkans "Lothar" im Jahr 1999.
In Spanien starben zwei Männer, als ihr Auto gegen einen umgestürzten Baum prallte. Eine 82-jährige Frau wurde von einer umstürzenden Mauer erschlagen. Im Norden Portugals tötete ein abbrechender Ast einen zehnjährigen Jungen.
Frankreich: Grenze zu Spanien geschlossen
In Frankreich starben mindestens 18 Menschen. An den Küsten habe der Wind eine Geschwindigkeit von bis zu 150 Kilometern pro Stunde erreicht, berichtete der Sender France-Info am Sonntag. Ein junger Mann wurde von einem umstürzenden Baum erschlagen, eine Frau von einem Eisenträger. Zwei Menschen erlagen einer Gasvergiftung, als sie wegen des Stromausfalls einen Generator in Betrieb nahmen. An der Atlantikküste ertranken 14 Menschen. In zahlreichen Orten in der Nähe von La Rochelle stand das Wasser bis zu 1,50 Meter hoch in den Straßen. Air France strich etwa 70 von insgesamt 700 Flügen am Pariser Flughafen Charles de Gaulle. In den Pyrenäen stürzten Felsbrocken auf die Straßen. Die Grenze zu Spanien wurde zeitweise geschlossen.
Der Deutsche Wetterdienst (DWD) gab Unwetterwarnungen heraus. Demnach können Orkanböen der Stärke 11 (um 110 km/h) im Westen und Südwesten sowie im Mittelgebirgsraum auftreten, im Alpenraum sogar in der höchsten Stärke 12 (120 km/h und mehr). In einzelnen Mittelgebirgslagen kann es wieder zu Schneeverwehungen kommen.
Weitere Aussichten
Am Montag kommt es dann laut Vorhersage bei deutlich zurückgehenden Temperaturen im Norden und Nordosten noch zu Regen- und Schneefällen. Auch nach dem Orkan kann es in der Nordhälfte noch stürmisch sein. In den Tagen darauf soll es zunehmend winterlich werden, zunächst mit Nachtfrost, in der zweiten Wochenhälfte dann immer wieder auch mit Schneefällen.
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