Studie zweifelt an Gesundheitsvorteil von Bio: Die Biobranche wehrt sich
Bio-Essen ist laut britischen Forschern nicht gesünder als konventionelles. Aber die Wissenschaftler ignorierten die Rückstände von Pestiziden, klagen Öko-Fans.
BERLIN taz | Aufgeschreckt von ihrem ersten Umsatzrückgang holt die Biolebensmittel-Branche zum Gegenschlag gegen Kritiker aus. Der Bund für Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) geht nun offensiv gegen eine britische Studie vor, derzufolge Bio-Nahrung nicht gesünder als konventionelle ist. "Die Wissenschaftler haben einen nicht aussagekräftigen Ausschnitt bearbeitet. Pestizide und krebsfördernde Nitrate zum Beispiel kommen gar nicht vor", sagt BÖLW-Chef Felix Prinz zu Löwenstein.
Das Marktforschungsinstitut GfK hatte die Untersuchung im Auftrag der britischen Lebensmittelbehörde FSA als Beispiel für Negativmeldungen genannt, die zu dem Abwärtstrend in der Branche beitragen. Laut GfK gaben die Deutschen von Januar bis Juni vier Prozent weniger für Bio-Essen aus als im Vorjahreszeitraum (taz berichtete).
Die umstrittene Studie der London School of Hygiene & Tropical Medicine ist den Autoren zufolge die bisher umfassendste zu Unterschieden bei Nährstoffen und gesundheitlicher Wirkung von bio und konventionell: Dafür haben sie nach eigenen Angaben alle 173 Untersuchungen zu dem Thema aus den Jahren 1958 bis 2008 analysiert. Ihr Fazit: Es "gibt derzeit keine Belege für einen Gesundheitsvorteil des Konsums von biologischen Nahrungsmitteln". Bei Vitaminen und den meisten anderen Inhaltsstoffen stellten die Wissenschaftler keine Differenzen zwischen bio und nicht-bio fest.
Allerdings haben die Forscher keine Analysen zu den Rückständen von Ackergiften und Nitraten berücksichtigt. "Man kann einfach nicht alle Fragen auf einmal beantworten", sagt Hauptautor Alan Dangour zur taz. Branchenvertreter Löwenstein kontert: "Pestizidrückstände und Nitratwerte sind aber für viele Verbraucher sehr relevant."
Egal, ob das Bundesamt für Verbraucherschutz, die baden-württembergischen Untersuchungsämter oder Greenpeace - alle bescheinigen Bio, viel weniger Pestizide zu enthalten. Zudem ist nach Studien Öko-Gemüse wegen des geringeren Düngungsniveaus meist nitratärmer. Nitrat kann zur Bildung krebserregender Stoffe führen. Es ist jedoch eine regelrechte Glaubensfrage, ob die höheren Pestizid- und Nitratwerte in konventioneller Nahrung gesundheitsschädlich sind.
Unterstützung bekommt Löwenstein vom Direktor des international führenden Forschungsinstituts für biologischen Landbau. Die britischen Wissenschaftler hätten den höheren Anteil in Öko-Produkten zum Beispiel von gesundheitlich positiven Omega-3-Fettsäuren unterbewertet, sagt Urs Niggli. Für ihn ist auch klar warum: Die Briten haben etwa eine Studie der Universität Newcastle nicht berücksichtigt, wonach die Milch von auf der Weide grasenden Bio-Kühen 60 Prozent mehr dieser Fettsäuren enthalten als konventionelle Milch, die von mit viel Getreide gefütterten Tieren stammt.
Die meisten Wissenschaftler sind der Meinung, dass diese Fette das Risiko von Herz-Kreislauferkrankungen verringern. Die Briten erwähnen die Studie sogar, schließen sie aber aus, weil sie nach Ende des Untersuchungszeitraums veröffentlicht worden sei. "Als wir den Zeitraum festlegten, wussten wir nicht, dass es die Newcastle-Studie gibt", sagt Autor Dangour.
Alle Untersuchungen, die den biologischen Anbau mit dem integrierten vergleichen, fielen ebenfalls raus, wie Niggli sagt. Diese Variante der konventionellen Landwirtschaft verwendet besonders wenige Pestizide und leicht lösliche Mineraldünger. "So bleiben acht wichtige Studien außen vor, die zeigen, dass der Anteil sekundärer Pflanzenstoffe bei Bio-Obst signifikant höher ist", klagt der Institutschef.
Für ihn ist das ein Fehler, weil das meiste Obst in Europa aus der integrierten Produktion stamme. Sekundäre Pflanzenstoffe gehören zum Abwehrsystem, das bei Bio-Kulturen wegen des geringeren Schutzes durch Pestizide stärker ist als bei konventionellen. Die Stoffe könnten beispielsweise die Alterung menschlicher Zellen dämpfen, sagt Niggli. Zwar gibt es keinen Beweis dafür, dass die Stoffe in der Konzentration und in der Kombination in Lebensmitteln tatsächlich genug wirksam sind. "Es ist jedoch anzunehmen, dass höhere Gehalte dieser Stoffe eher positiv wirken."
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