Studie zur Zukunft der Altenpflege: Migranten zu den Alten
In Norddeutschland fehlen Altenpfleger, auch weil die Branche mit schlechtem Image zu kämpfen hat. Jugendliche mit Migrationshintergrund sollen es nun richten.
Im November waren allein in Hamburg 926 Stellen in den rund 500 Pflegeeinrichtungen der Stadt unbesetzt. In Niedersachsen sah es mit 3.837 offenen Stellen im Gesundheits- und Sozialwesen ähnlich aus. Und auch in Schleswig-Holstein fehlten im September knapp 500 examinierte Altenpfleger. "Offene Stellen im Pflegebereich sind sehr schwer zu besetzen, weil es im Prinzip keine Fachkräfte gibt, die Vollzeit und im Schichtdienst arbeiten können", sagt Melanie Sonneborn, Politikberaterin der Agentur für Arbeit in Schleswig-Holstein. "Altenpflege hat ein schlechtes Image: Frauenarbeit, viel Teilzeit und sauschlecht bezahlt", sagt Thomas Straubhaar, Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI). "Wir müssen überlegen, wie wir die Ausbildung attraktiver machen können." Das will auch Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP), der 2011 zum Jahr der Pflege erklärt hat, in dem die Ausbildung der Alten-, Gesundheits- und Krankenpflege zusammengeführt werden soll.
Das HWWI hat jetzt eine Studie vorgelegt, die Einstellung und Potenziale von SchülerInnen mit Migrationshintergrund zum Pflegeberuf untersucht. "Vor allem türkischstämmige Jugendliche können sich einen pflegenden Beruf vorstellen", sagt Straubhaar. Hier sieht er Potenzial für die Pflegebranche, denn in Großstädten wie Hamburg haben mehr als 40 Prozent der unter 18-Jährigen ausländische Wurzeln. Und diese Jugendlichen hätten oft Probleme, einen Ausbildungsplatz zu finden.
Denkbar wäre für ihn, den Zugang zur Altenpflegeausbildung im Einzelfall auf der Grundlage eines erfolgreichen Eignungstests unabhängig vom Schulabschluss möglich zu machen. Eine Chance vor allem für Schüler mit Migrationshintergrund, die im Schnitt niedrigere Schulabschlüsse erreichen als deutsche. "Uns mangelt es nicht an Hilfskräften", sagt Jens Stappenbeck, Geschäftsführer der Hamburgischen Pflegegesellschaft. "Wir brauchen qualifizierte Fachkräfte." Und genau die sind Mangelware. "Das liegt auch daran, dass die schulische Ausbildung in der Regel Geld kostet und wir in diesem Bereich kaum Selbstzahler haben", sagt Sonneborn. Im Gegensatz zum Beruf des Erziehers.
Die HWWI-Studie "Berufsausbildung in der Altenpflege: Einstellungen und Potenziale bei jungen Menschen mit Migrationshintergrund in Hamburg" basiert auf Experteninterviews, Fokusgruppendiskussionen und der Befragung von 279 SchülerInnen an zehn Hamburger Haupt- und Realschulen.
Jeder Vierte mit Migrationshintergrund kann sich eine Ausbildung in der Altenpflege vorstellen, bei den Befragten ohne Migrationshintergrund rund jeder Siebte.
18 Prozent der Schüler mit Migrationshintergrund können sich die Arbeit in der Altenpflege vorstellen, bei den deutschstämmigen Schülern sind es 5,6 Prozent. Bei den Schülerinnen gab es kaum Unterschiede.
Stappenbeck sieht zwei Wege aus der Pflegemisere: In Hamburg gibt es ein Projekt, bei dem 170 Gesundheits- und Pflegeassistenten neben ihrem Job in zwei Jahren zum Pfleger ausgebildet werden. "Wir brauchen dieses Projekt als dauerhafte Einrichtung." Auch müsse man die aus dem Berufsleben ausgestiegenen Fachkräfte zurückgewinnen. Junge Pflegekräfte verbleiben im Schnitt fünf Jahre im Beruf und kehren oft nach der Babypause nicht zurück. "Steigen Frauen ab 40 jedoch wieder ein, bleiben sie in der Regel bis zur Rente", sagt Stappenbeck. "Wo wir sonst noch Menschen anwerben sollen, weiß ich nicht."
Das größte Problem der Altenpflege ist ihr schlechter Ruf, darin sind sich alle einig. Hier sieht Stappenbeck auch eine mögliche Erklärung dafür, dass sich Schüler mit Migrationshintergrund eher für einen Pflegeberuf entscheiden würden: "Sie haben schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt und gehen deswegen in den vermeintlich unattraktiven Pflegebereich." Aber dem Schluss der Studie, dass die Jugendlichen mit Migrationshintergrund eine Lösung des Pflegenotstands sein könnten, folgt er nicht: "Wir haben in der Pflege ein unlösbares strukturelles Problem und das ist der Umgang mit Tod und Sterben." Ob Migrant oder nicht, diese Belastungsmomente könne man nicht wegdiskutieren.
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