Studie zum Modell Ganztagsschule: Freiwillige Hausaufgaben
Das Modell Ganztagsschule, dass die rot-grüne Regierung vor sieben Jahren eingeführt hatte, bleibt strittig. Kinder ärmerer Eltern sind noch immer benachteiligt.
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BERLIN taz | Die Erwartungen waren groß, als die rot-grüne Bundesregierung vor sieben Jahren beschloss, deutschlandweit Ganztagsschulen zu errichten: Durch die Verlängerung des Schultags bis in den Nachmittag sollten die Lernfreude von Schülern steigen, soziale Unterschiede kleiner werden, Kinder aus Einwandererfamilien besser integriert und Familien entlastet werden.
Jetzt steht fest: Zumindest die Vereinbarkeit von Familie und Beruf funktioniert. Kinder, deren Eltern beide arbeiten, nehmen zu 80 Prozent die Ganztagsangebote an ihrer Schule wahr. Hingegen sind Kinder aus ärmeren Familien auch in Ganztagsgrundschulen benachteiligt. Und die Schulnoten von pubertierenden Schülern sinken, egal ob an Halbtagsschulen oder an Ganztagsschulen. Das sind Ergebnisse der dritten und letzten Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen (StEG). Das Deutsche Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) stellte sie am Donnerstag zusammen mit dem Bundesbildungsministerium vor.
Gemeinsam mit dem DIPF haben Forscher des Deutschen Jugendinstituts, des Instituts für Schulentwicklungsforschung der Uni Gießen vier Jahre Schüler, Lehrer, Eltern und Erzieher aus rund 370 Schulen begleitet. Diese stehen für 7.200 Schulen, die mit vier Milliarden Euro vom Bund bis 2009 als Ganztagsschulen umgebaut wurden. Für die Inhalte und das Personal waren die Länder zuständig. Doch die haben ihre Hausaufgaben offenbar nur teilweise erledigt. So zeigt die Studie, dass die Teilnahmequoten an den Grundschulen wieder sinken. Nahmen 2007 noch fast drei Viertel der Drittklässler an Ganztagsgrundschulen am ganztägigen Betrieb teil, sank ihr Anteil zwei Jahre später auf zwei Drittel. Hier profitieren offenbar besonders Kinder aus besser gestellten Familie von Angeboten wie Hausaufgabenhilfe und Arbeitsgemeinschaften.
Fast 70 Prozent der Kinder, deren Eltern gute Jobs und gute Bildung haben, nehmen am Ganztagsbetrieb teil, während Kinder aus Familien mit niedrigem sozioökonomischem Status nur zu 58 Prozent dabei sind. Auch Kinder aus Einwandererfamilien sind seltener am Nachmittag in der Schule anzutreffen. Die Unterschiede zwischen reich und arm haben sich während der gesamten Laufzeit von StEG nicht nivelliert. Erst wenn die Schüler auf weiterführende Schulen verteilt sind, gleichen sich die Teilnahmequoten an. Denn speziell Hauptschulen und integrierte Gesamtschulen sind als gebundene Ganztagsschulen organisiert. Das heißt die Anwesenheit ist für Schüler bis zum Nachmittag verpflichtend.
Die Forscher konnten beobachten, dass soziales Verhalten, Motivation und Leistungen der Schüler sich positiv entwickeln, wenn sie dauerhaft am Ganztagsbetrieb teilnehmen. Entscheidend ist hier aber die Qualität der Nachmittagsbetreuung. Wenn die Angebote die Schüler intellektuell herausfordern - etwa das Lernlabor für Leistungsstarke und Nachhilfe für diejenigen, die es im Unterricht nicht kapiert haben, dann verbessern sich ihre Noten. Außerdem haben Schüler in gebunden Ganztagsschulen ein deutlich geringers Risiko sitzen zu bleiben. Nur 1,4 Prozent von ihnen muss eine Klasse wiederholen, in offenen Ganztagsschulen, also Schulen mit freiwilliger Teilnahme, sind rund 8 Prozent zur Wiederholung einer Klasse gezwungen. Allerdings sind Ganztagsschulen mehrheitlich als offene Schulen mit freiwilligen Angeboten organisiert.
Damit die Ganztagsschule dennoch Bildungs- und nicht nur Betreuungsfunktion erfüllt, muss der Unterricht am Vormittag mit der Nachmittagsfreizeit verzahnt sein. Hier stellen die Forscher jedoch über drei Erhebungen keinen positiven Trend fest.
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