Studie zu sozialem Wohnungsbau: Die Wohnungspolitik wird unsozial
In Deutschland fehlen vier Millionen Sozialwohnungen für Geringverdiener. Im vergangenen Jahrzehnt verschwanden pro Jahr 100.000 Wohnungen.
BERLIN taz | Wer nur über ein geringes Einkommen verfügt, der findet auf den Wohnungsmärkten in den Ballungsgebieten immer schwerer eine Bleibe. In Deutschland fehlen rund 4 Millionen Sozialwohnungen, haben jetzt Sozialexperten in einer Studie des Pestel-Instituts in Hannover ausgerechnet.
Derzeit sind bundesweit nur 1,6 Millionen Sozialwohnungen verfügbar. Den aktuellen Bedarf schätzt das Institut aber auf rund 5,6 Millionen Sozialwohnungen. Nur jeder fünfte finanzschwache Haushalt hat damit überhaupt eine Chance, derzeit eine Sozialmietwohnung zu bekommen, hieß es in der am Donnerstag in Berlin vorgestellten Studie.
„In den vergangenen zehn Jahren sind im Schnitt 100.000 Sozialwohnungen pro Jahr vom Markt verschwunden“, erklärte der Leiter des Pestel-Instituts, Matthias Günther. Dies sei eine „dramatische Entwicklung“. Verantwortlich dafür sei auch die Tatsache, dass immer mehr Wohnungen aus der Mietpreisbindung herausfielen. Dies geschieht, wenn die öffentliche Förderung ausläuft.
Im sozialen Wohnungsbau bekommen die Bauherren hohe staatliche Förderungen. Dafür dürfen die Wohnungen nur an MieterInnen vergeben werden, die bestimmte Einkommensgrenzen nicht überschreiten. In München etwa liegt die Grenze für die Einkommensorientierte Förderung (EOF) für Alleinstehende bei 18.100 Euro brutto im Jahr, erklärte Ottmar Schader, Sprecher des Sozialreferats in München.
Die Vormerkungen für Wohnungen mit EOF überstiegen bei weitem das Angebot, so Schrader. Rund 3.000 Personen sind in München derzeit vorübergehend in Pensionen oder Notquartieren untergebracht, weil sich für sie keine Sozialwohnungen finden lassen.
Verdrängung befürchtet
In einigen Ballungsräumen wie München, Hamburg und Frankfurt am Main sind inzwischen auch Förderprogramme für Mieter mit mittlerem Einkommen aufgelegt worden. Interessenten mit einem Bruttojahreseinkommen bis zu 33.500 Euro (für Alleinstehende) können sich etwa in München um öffentlich geförderte Wohnungen nach dem „München Modell Miete“ bewerben. In diesem Fördermodell darf die Miete für eine 50-Quadratmeter-Wohnung bis zu 550 Euro kalt betragen.
In Berlin herrscht bei Sozialwohnungen in Randbezirken wie Marzahn und Spandau zwar sogar etwas Leerstand. MieterInnen von Sozialwohnungen im Zentrum, deren Förderungen ausgelaufen sind, haben jedoch mit rasanten Mietsteigerungen zu kämpfen und fürchten die Verdrängung aus ihrem Kiez.
Günther vom Pestel-Institut fordert den zusätzlichen Bau von mindestens 40.000 bis 50.000 Sozialwohnungen jährlich. Die Studie war von der „Wohnungsbau-Initiative“ in Auftrag gegeben worden, der unter anderem auch der Deutsche Mieterbund und die IG BAU angehören. Die Förderung des Wohnungsbaus ist Angelegenheit der Länder. Es gibt zwar einen Zuschuss vom Bund – dessen Verlängerung über das Jahr 2013 hinaus ist aber nicht garantiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag