Studie zu Risikobewertung in der EU: Stresstests für AKWs bringen's nicht
Die Stresstests für AKWs in der EU fallen bei Experten durch. Sie lassen keine zuverlässige Risikobewertung zu. Außerdem könnten sie als eine Art "Ökosiegel" dienen.
BRÜSSEL taz | Die Stresstests für die Atomkraftwerke in der EU werden keine zuverlässige Risikobewertung liefern. Das zeigt eine Studie, das die Grünen im Europäischen Parlament in Auftrag gegeben haben. "Die Tests überprüfen zum Beispiel nicht, was bei einem Flugzeugabsturz passieren würde. Auch Altersschäden oder mögliche Materialabnutzung werden nicht untersucht", bemängelt Wolfgang Renneberg vom Büro für Atomsicherheit in Bonn, der die Untersuchung durchgeführt hat.
Der langjährige Leiter der Abteilung für Reaktorsicherheit im Bundesumweltministerium hält die Stresstests, die EU-Kommissar Günther Oettinger derzeit in den 27 Mitgliedsländern durchführen lässt, deshalb für "ungeeignet". "Stellen Sie sich ein altes Flugzeug vor. Es kann noch so viele Pannen haben. Aber wenn es Fallschirme an Bord hat, dann würde es im Stresstest gut abschneiden."
Renneberg hat einige der Zwischenberichte gelesen, die die EU-Kommission am heutigen Mittwoch offiziell präsentieren will. Konkrete Ergebnisse legten die nationalen Behörden darin nicht vor, sagt er. Die meisten erklärten lediglich, sie bräuchten mehr Zeit, um Aussagen machen zu können. Im rumänischen Bericht heiße es allerdings: "Alles ist prima." Und im deutschen sei zu lesen, dass die hiesigen AKWs "besonders robust" seien.
Keine verbindlichen Sicherheitskriterien
Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europäischen Parlament, Rebecca Harms, befürchtet, dass die Belastungsprojektionen als Alibi missbraucht werden könnten: "Es besteht die Gefahr, dass die Atomindustrie daraus ein Ökosiegel für die Sicherheit ihrer Kraftwerke macht - nicht nur in Europa, sondern überall in der Welt." Dabei seien die Kriterien "viel schwächer als die Sicherheitsstandards, die bereits in einzelnen Ländern existieren".
Auch die Kriterien, die das Bundesumweltministerium für die Überprüfung der deutschen Reaktoren erarbeitet hat, gingen weit über den europäischen Stresstest hinaus. Harms geht aber nicht davon aus, dass der deutsche EU-Kommissar von vornherein der Atomindustrie zuarbeiten wollte. "Ich glaube, er war selbst überrascht, dass es keine EU-einheitlichen verbindlichen Sicherheitskriterien für Reaktoren gibt", sagt sie. Oettinger habe dieses Problem aber nicht an der Wurzel gepackt.
Die EU-Abgeordnete will nun die Regierungen in Deutschland, Österreich oder Belgien, die den Atomausstieg beschlossen haben oder nie eingestiegen sind, davon überzeugen, die Stresstests zu verschärfen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
Berlin nimmt Haftbefehl zur Kenntnis und überlegt