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Studie von RechtsprofessorVerfassungsberichte verfassungswidrig

Auf nichts ist mehr Verlass: Selbst die Verfassungsschutzberichte verstoßen gegen die Verfassung, behauptet ein Rechtsprofessor der Uni Freiburg.

In der Kritik: Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln. Bild: dpa

FREIBURG tazFast alle Verfassungsschutzberichte von Bund und Ländern verstoßen selbst gegen das Grundgesetz. Dies ist das paradoxe Ergebnis einer Studie des Freiburger Rechtsprofessors Dietrich Murswiek. In den jährlichen Berichten der Verfassungsschutzämter werde nicht sauber getrennt zwischen Organisationen, die nachweislich extremistisch sind, und bloßen Verdachtsfällen, hat Murswiek herausgefunden.

Er hält Verfassungsschutzberichte als Mittel der streitbaren Demokratie zwar für zulässig, allerdings dürften nur nachweislich verfassungswidrige Organisationen an den "Pranger der Demokratie" gestellt werden. In Verdachtsfällen solle der Verfassungsschutz erst mal den Verdacht klären, bevor eine Organisation öffentlich zum Feind der freiheitlich-demokratischen Grundordnung erklärt werde. Derzeit erfüllen aber nur die Verfassungsschutzberichte von Berlin und Brandenburg diese Forderung.

Das Bundesverfassungsgericht ging 2005 nicht ganz so weit, aber in eine ähnliche Richtung. Auf Klage der rechten Wochenzeitung Junge Freiheit entschieden die Richter, dass bloße Verdachtsfälle im Verfassungsschutzbericht zwar erwähnt werden dürfen, jedoch müsse auch ein "flüchtiger Leser" sofort erkennen, dass es sich nicht um eine nachweislich verfassungswidrige Organisation handele.

Außerdem wurde von den Richtern damals moniert, dass auch Gastbeiträge und sogar ein Leserbrief vom nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz benutzt wurde, um eine möglicherweise verfassungsfeindliche Linie der JF-Redaktion zu belegen. Seither wird die Zeitung nicht mehr in den Berichten des Verfassungsschutzes aufgeführt.

Die grundsätzliche Anforderung des Verfassungsgerichts, dass Verdachtsfälle, wenn sie schon in den Verfassungsschutzberichten aufgeführt werden, jedenfalls deutlich als solche erkennbar sein sollten, hat Murswiek nun zum Ausgang seiner Untersuchung genommen. Geprüft wurden dabei 63 Berichte von Bund und Ländern für die Jahre 2005 bis 2008. Und sein Fazit ist für die Behörden mehr als peinlich. Außer Berlin und Brandenburg, die ja gar keine Verdachtsfälle auflisten, hat kein Land die von den Verfassungsrichtern geforderte klare Unterscheidung eingeführt.

Ansatzweise wurde dies nur einmal in Baden-Württemberg versucht. Im Jahr 2006 gab es eine eigene Kategorie für rechtsextremistische Verdachtsfälle, in der die Republikaner gelistet wurden. Die Linke, ebenfalls ein Verdachtsfall, wurde damals aber ganz normal im Teil über Linksextremismus gelistet. Der Bund änderte ab 2005 nur die Überschriften der Kapitel, wo es jetzt jeweils heißt "Bestrebungen und Verdachtsfälle". Unter der neuen Überschrift sind dann aber wieder nachweisliche und nur vermutete Fälle der Verfassungswidrigkeit wild durcheinander aufgelistet. In Nordrhein-Westfalen wird zumindest im Text auf die Unterschiede hingewiesen, was aber für "flüchtige Leser" wohl nicht ausreichend deutlich ist, findet Murswiek.

Wenn es nach ihm ginge, müssten Verdachtsfälle in den Bereichen Links-, Rechts- und islamistischer Extremismus jeweils ein eigenes Unterkapitel erhalten. Möglich wäre auch eine abgestufte Farbmarkierung, "Dunkelbraun für nachweisliche Rechtsextremisten, Hellbraun für des Rechtsextremismus verdächtige Organisationen".

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13 Kommentare

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  • N
    Nordlicht

    Verfassungsschutz verfassungswidrig... Tzzz...

    War ja klar! Fragt sich wo der Wolf im Schafspelz denn nun sitzt?!

    Viell. sollte man ein paar V-Männer im VS einschleusen!

    Oder gleich verbieten wg. verdacht auf krimmineller Vereinigung... ;-)

     

    Ehrlich wen das wundert, hat nichts in diesem Staat verstanden!

  • B
    BigKelle

    Willkommen im Leben...

    Die DDR und die Stasi waren ja so schlecht für uns "OSTdeusche"... und ich sage nur vom regen, unter die traufe.

    BRD heißt umgedreht: Die richtig bespitzelten...

  • HL
    Hans Lotus

    Ooooch, so wird uns der Professor noch die Grundlage für den steten "K®ampf gegen Rechts" nehmen ...

  • A
    agtrier

    Dunkel- und Hellbraun ist ja eine schöne Idee, aber was nimmt man für die Linksextremisten? Lila und Pink? Burgunder und Rosé? ...

  • F
    Fragender

    Was ich mich zum Thema Verfassungsschutz schon lange frage, wird die Verfassung nicht auch bedroht durch andere als die traditionell beobachteten Kräfte? Wie sieht es aus mit Marktextremisten? Bedrohen diese nicht auch den sozialen Frieden? Sind Löhne unterhalb des Existenzminimums nicht auch verfassungswidrig?

  • V
    vic

    Ein neues Steinchen im Mosaik. Der Verfassungsschutz agiert verfassungsfeindlich.

    Mich kann nichts mehr überraschen in der BRD.

  • E
    Eser

    Mich beschleicht das naive Gefühl, dass das Ende der deutschen Demokratie schleichend von innen kommt.

  • S
    salome

    hier wäre es doch angebracht, mal auf den politischen hintergrund des herrn murswieck einzugehen, und dass er mit seiner enthüllung wohl eher denen dienen will die unter "rechtsextremismus" gelistet sind - so gut und wichtig es im allgemeinen auch ist, so eine feststellung wie "verfassungsschutz handelt verfassungswidrig" zu machen?

  • FK
    Felix Krebs

    Die Abschaffung des demokratisch wenig legitimierten Inlandsgeheimdienstes namens Verfassungsschutz ist eine alte Forderung der Linken. Denn die Auseinandersetzung mit der extremen Rechten kann nicht die Aufgabe eines im geheimen arbeitenden Dienstes sein, der seine Quellen und detaillierteren Einschätzungen nur einer ebenfalls zur Geheimhaltung verpflichteten Kontrollkommission offenbaren muss. Diese Auseinandersetzung muss öffentlich geführt werden. Insbesondere, da der Verfassungsschutz auch immer wieder als politisches Kampfinstrument gegen missliebige Gegner benutzt wird.

    Dass hier jetzt aber ausgerechnet die Studie eines fellow travellers der Neuen Rechten als Argumentationshilfe angeführt wird, lässt doch stutzig werden. Zwar kenne ich die Studie nicht, jedoch hätte ich von der taz erwartete, wenigstens mit einem Satz auf die Vergangenheit und Gegenwart von Professor Murswieck aufmerksam zu machen. Zuletzt gab der ehemalige NPD-Unterstützer im Juli 2009 der völkisch-nationalistischen Jungen Freiheit ein Interview. Auch in seiner offiziellen Publikationsliste lassen sich so manche rechte Themen finden. Bei Wikipedia kann man folgendes über Herrn Professor lesen:

     

    “Dietrich Murswiek hat auch in rechtsnationalen Zeitschriften wie Criticon publiziert, was ihm verschiedentlich Kritik einbrachte. Bei seiner Berufung an die Universität Freiburg wurde ihm zudem vorgeworfen, dass er in jungen Jahren im Umfeld rechtsradikaler Kreise aktiv war. Murswiek war als Jugendlicher in der von Heinrich Meier herausgegebenen und als rechtsextrem eingestuften[10] Schülerzeitung „Im Brennpunkt“ aktiv[11] engagiert. Als Student war er zudem Mitglied des Nationaldemokratischen Hochschulbunds in Heidelberg[12] und Mitarbeiter des rechtsextremen Deutschen Studenten-Anzeigers[13]. Am 21. Mai 1970 war Murswiek an einer Aktion im Rahmen einer Demonstration gegen das Treffen von Willy Brandt und Willi Stoph in Kassel beteiligt, bei der „die DDR-Spalterflagge’“ vom Mast gerissen wurde.[14] Murswiek war für die Aktion von dem rechtsextremen Deutschen Studenten-Anzeiger besonders gelobt worden, wie die Ausgabe 48 von 1970 zeigt, in der sich ein Foto der Aktion und ein ausführliches Interview mit ihm findet.”

  • TW
    Tilman Winkler

    Murswiek dürfte mit seinen Bedenken gegen die teilweise sehr fragwürdigen Verfassungsschutzberichte Recht haben.

     

    Dennoch vermisse ich einige erklärende Worte zur Person Dieter Murswiek und auch seiner Forschung und Honorartätigkeit:

    Nach meiner Erinnerung war die Berufung Murswieks an die Universität Freiburg auch Jahre danach noch sehr umstritten unter anderem wegen einer Veröffentlichung zum Umweltschutz als "nationaler Aufgabe" in der rechtlastigen Zeitschrift Criticon. War Murswiek nicht vor seinem CDU-Beitritt zudem NPD-Mitglied? Zusammengenommen drängt sich da doch die Frage auf, was Ziel der von Herrn Rath besprochenen Forschungsarbeit war.

    Das Gutachten Professor Murswieks zur Verfassungswidrigkeit des Blumentrogs im Reichstags-Innenhof (Haacke-Installation "Der Bevölkerung") gibt vielleicht nur eine kuriose bis alberne Fußnote ab. Vielleicht aber hilft auch jenes Werk bei der Einordnung der aktuellen Veröffentlichung.

     

    Dem Leser jedenfalls fehlen Hintergrundinformationen, um sich ein eigenes Bild machen zu können.

  • B
    bEn

    Oh, nach nur einer Woche hats der Artikel vom npd-blog bis in eine "Tageszeitung" geschafft.

    Ihr seid aber aktuell ;)

  • L
    Lurchi

    Der Verfassungsschutz ist eine der wenigen geduldeten kriminellen Organisationen in Deutschland: Beweise Fälschen, Stasi-Methoden, Intrigen, Erpressung, Schmutzkampagnen. Nicht nur gegen Nazideppen auch gegen ganz normale Leute.

  • J
    Jungefreiheitkaperttaz

    Ich halte es für sehr bedenklich, wenn sich die taz in einem Artikel direkt auf Aktionen der "jungen Freihelt beruft. Die Redaktion sollte mal ganz schnell ihr Verhältnis zu rechten Kräften abklären, sonst läuft sie akut Gefahr, schleichend von rechten Kräften unterwandert zu werden.