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Studie über Gewalt-Computerspiele"Virtuelle Aggression bewirkt reale"

Machen gewaltverherrlichende Computerspiele und Horrorfilme Kinder aggressiv? Die Universität Tübingen präsentiert nun eine neue Studie, die das bestätigen soll.

Die Forscher der Universität Tübingen fordern ein Verbot für gewalthaltige Video- und Computerspiele. Bild: dpa

BERLIN taz Spätestens seit dem Amoklauf von Emsdetten im Jahr 2006 hat die Debatte um gewaltverherrlichende Computerspiele Hochkonjunktur. Die Wissenschaft entzweit sich an der Frage, wie gefährlich Ballerspiele für Kinder wirklich sind. Forscher der Universität Tübingen bestätigen nun mit einer neuen Studie die These: Wer als Kind schon Horrorfilme und Gewaltspiele konsumiert, wird als Jugendlicher eher zu Gewalttaten neigen. Dazu wurden vor zwei Jahren 653 Zwölfjährige aus Hauptschulen zu ihrem Umgang mit Medien befragt. Auf zwei Fragebögen sollten die Schüler beispielsweise beantworten, wann sie ihren ersten Horrorfilm gesehen haben und wie oft und wie lange sie täglich Computer spielen.

"Die Ergebnisse waren erschreckend" sagt Günter Huber, Professor für Pädagogische Psychologie an der Uni Tübingen und Leiter der Studie. "Schon Sechsjährige sehen sich Gewaltvideos an, mit zwölf beschäftigen sich einige mehr als fünf Stunden täglich mit Computerspielen". In diesem Jahr wurde die Studie wiederholt, zusätzlich stellten die Wissenschaftler die Frage, wie die Jugendlichen in Konfliktsituationen über den Gebrauch von Gewalt entscheiden würden. Günter Huber sieht seine These bestätigt: "Die Kinder werden durch die Gewalt quasi konditioniert. Virtuelle Aggression bewirkt auch reale Aggression". Soll heißen: Wer als Kind schon von Hass, Macht und Gewalt geprägt wird, dem rutscht als Jugendlicher eher mal die Hand aus.

Winfred Kaminski, Professor vom Institut für Medienforschung an der Fachhochschule Köln, hält nichts von der allgemeinen Verteufelung von Computerspielen. Er stellt vielmehr eine "Generationenkluft" fest. "Computerspiele gehören längst zur normalen Sozialisation der Kinder, sie sind zu Facetten des Alltags geworden" sagt er. Eltern können meist mit Computerspielen nichts anfangen, sie stehen ratlos vor ihren daddelnden Kindern. Kaminski weist darauf hin, dass die bildhafte Darstellung von Gewalt nichts Neues ist: "Die Abbildung von Gewalt gibt es seit Menschengedenken. Ich schicke meine Studenten ins Museum, damit sie sehen, wie blutrünstig schon die Darstellungen des Mittelalters waren". Auch Comics waren zu ihren Hochzeiten in den 80er Jahren bei der Erwachsenengeneration verpönt und sollten sogar verboten werden. "Heute wird Batman als Kult gehandelt" sagt der Wissenschaftler.

Kaminski sieht eine ganz andere Gefahr, die jugendliches Aggressionsverhalten erklärt: Viel gefährlicher ist die Gewalt, die Kinder im Alltag erleben. "Jede Nachrichtensendung zeigt reale Gewalt in der Welt, hinzu kommen die Erfahrungen, die die Kinder im Elternhaus, in der Schule oder im Freundeskreis machen". Wer als Jugendlicher gewalttätig wird oder sogar Amok läuft, bei dem kommen also eine Vielzahl von auslösenden Faktoren zusammen. Von einem Verbot von gewalthaltigen Video- und Computerspielen, wie es die Forscher der Uni Tübingen fordern, hält Kaminski gar nichts: "Das erhöht nur den Reiz". In einer Forderung sind sich Huber und Kaminski allerdings einig: Schule und Elternhaus müssen die Kinder unterstützen, aus dem Medienangebot auszuwählen. Jugendschutz ist vor allem Aufgabe der Gesellschaft.

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10 Kommentare

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  • T
    Tamina

    Ich arbeite täglich 7 Stunden in einer Kita mit 3-6jährigen Kindern. Es ist erschreckend zu sehen welche Auswirkungen diese "Spiele" auf die Kinder haben. Je jünger sie sind desto schlimmer. Viele haben ja ältere Geschwister und sind dann teilw. mit beim "Spielen" dabei. Das erlebte wird dann real umgesetzt, verbal oder mit körperlicher Gewalt. Die Fantasie wird auch gekillt, anfänglich kreativ gebautes wird durch erinnern an das letzte Spiel aggressiv zerstört und als ein nichts mehr auf dem Tisch zurückgelassen. Mit 15 kann man reflektieren, die Gefahr ist besonders im Klein- und Schulkindalter vorhanden.

    Leider interessiert sich die Gesellschaft kaum für diese Altersgruppe. Gefährlich.

  • P
    Patrick

    Ich bin 18 jahre jung und spiele seit meinem 15ten Lebensjahr gewaltverherrlichende computerspiele. Ich war noch nie aggressiv! In der Schule hat ich bisher in Sozialverhalten immer eine 2! Warum wurden nur die Hauptschüller befragt?!?!

     

  • A
    Anne

    "Aggression" und "Gewalt" sind sowieso unscharfe Kategorien. Müssen denn z. B. Mitglieder der Polizei oder von UNO Blauhelmtruppen etc. nicht grundsätzliche Bereitschaft und Fähigkeiten haben, Gewalt anzuwenden? Und wird nicht Gewalt bei Notwehr oder Nothilfe, falls sie unvermeidbar scheint und verhältnismäßig ist (z. B. was voraussichtlichen Schaden Dritter angeht), analog auch der Widerstand gg. Tyrannei, als eine quasi politische Form der Notwehr & Nothilfe meistens als legitim betrachtet?

     

    Es kommt also doch v.a. darauf an, wie und wo/wann Gewalt befürwortet u. angewendet wird.

     

    Die Forschungen sollten sich v.a. darauf konzentrieren, die Hunderttausenden von MobbingtäterInnen (schon ab den Kitas und Schulen) und Nazis zu untersuchen (die nämlich Gewalt in höchst fragwürdiger Weise befürworten) und ihre Lebensumstände seit frühester Kindheit sehr genau vergleichen mit der von Menschen,

    die ein universell-menschenrechtliches Gerechtigkeitsempfinden haben, und aus den Unterschieden dann pädagogische und andere Schlüsse ziehen. Ansätze dazu gibt es ja meines Wissens schon (z. B. eine Langzeitstudie von Tillmann etc. an SchülerInnen in Hessen bzgl. Mobbing / Gewalt unter Schülern/innen).

  • BW
    bernhard wagner

    @ Shrike: Unabhängig, was ich von der Studie halte (ich kenne sie überhaupt viel zu wenig, auch nach diesem Artikel) ich finde Du machst einen schweren Schlussfolgerungsfehler. Das sei an einem Vgl. verdeutlicht:

     

    Angenommen, jmd. würde nachweisen, dass Tabakrauch gesundheitsschädlich sei, wäre das nicht dadurch widerlegt, dass irgendwelche SpießbügerInnen Tabakrauch ohne gute Gründe früher abgelehnt haben (und es noch tun).

  • BW
    bernhard wagner

    Ich vermisse in dem Artikel ein Mindestmaß an Informationen zu ein paar Details, um überhaupt annähernd einschätzen zu können, wie wissenschaftlich ernst zu nehmen die Studie ist, nämlich zur Frage, ob und wenn ja welche Vergleichsgruppen untersucht wurden - z.B. mindestens nötig wären ja verschiedene Kombinationen aus folgenden Faktoren:

    (1) hoher virtueller Gewaltkonsum

    (2) real erlebte Gewalt im Bekanntenkreis

    (3) real selbst verübte Gewalt

    also z.B.

    Gruppe a: (1) + (2) + (3)

    Gruppe b: (1) + (2) aber nicht (3)

    u.s.w. alle Kombinationen durchspielend und die Größe der jeweiligen Gruppe, um daraus einen Wahrscheinlichkeitswert für die Kombination zu erhalten.

    Diese Infos (natürlich allg. leichter "lesbar" journalistisch aufbereitet als bei mir hier) wären wünschenswert gewesen. So aber kann man mit dem Artikel leider sehr sehr wenig anfangen, sorry!

  • S
    Shrike

    Ich stimme zu, dass es schon auffällig ist, dass hier nur Schüler an Hauptschulen befragt wurden.

     

    Dass diese jetzt recht früh Horrorfilme sehen und oft gewalttätige Computerspiele zocken ist aber nur ein Faktor in ihrer Biographie.

    Mich würde interessieren, wie es mit realer Gewalt und der Bewertung derselben in ihrem familiären Umfeld und Freundeskreis aussieht.

     

    Es liegt auf der Hand, dass es unzählige völlig friedliche Zocker von etwa Ego-Shootern gibt, die völlig gewaltlos leben.

     

    Es hängt viel mit dem Umfeld zusammen.

    In einer sozialen Umgebung, in der es etwa relativ verpönt ist, Gewalt anzuwenden (so war es etwa bei mir auf dem Gymnasium, obwohl auch bei uns sehr viele Egoshooter gezockt haben), wird man auf eine viel geringere Häufigkeit von realer Gewalt treffen.

    Meiner Erfahrung nach ist dass an der Uni noch deutlich stärker.

    Natürlich zocken auch viele Studenten Shooter.

    Aber eine Kultur des Zuschlagens ist von dort nicht wirklich bekannt.

     

    Hingegen hat man von anderen Schulen durchaus anderes gehört (damals Stichwort Rütli).

    Ich würde die soziale Mischung, die familiären Einflüsse wesentlich lieber untersuchen, was dabei wohl zu finden wäre ?

     

    Außerdem:

    Es wurde im Artikel von 6-Jährigen(!) gesprochen, die bereits Gewaltvideos sehen und von 12-Jährigen, die viel Computer spielen (vermutlich wieder Shooter und nicht Sim-City).

    Und von Verbotsforderungen war die Rede ?!?!?

     

    Wo doch Shooter eh nicht ab 12 freigegeben sind ?!

     

    Sorry, keine plausible Argumentation seitens der Tübinger Forscher.

     

    Wenn die bereits existierenden Altersbeschränkungen durchgesetzt würden (Elternverantwortung !!!), dann könnte so etwas nicht passieren.

    Verbote jedoch werden ohnehin nicht viel bewirken in Kreisen, wo man die Spiele eh von Freunden gebrannt bekommt.

     

    Die friedlichen Spieler hätten dann mal wieder das Nachsehen.

     

    Einer der wichtigsten Aspekte ist der Generationenkonflikt.

    Die Älteren haben die Hobbys der Jugend immer schon kritisiert.

    Unter anderem in der Vergangenheit:

     

    -Romane (galten als Flausenliteratur für Träumer)

    -Filme allgemein (viele davon waren der Kirche ein Dorn im Auge)

    -Rockmusik (= Negermusik)

    -Heavy Metal (= Satansmusik)

    -wie schon erwähnt Comics (unzüchtig, angeblich niveaulos)

    -Musik machen in Bands galt manchen als Zeitverschwendung

    -Action- und Horrorfilme (die Debatte gibt es heute noch, aber die welche hier die Verrohung der Jugend wittern, haben selber schon welche gesehen und zwar nicht zu knapp)

     

    -heute eben Computerspiele (welche die meisten Erwachsenen eben kaum kennen, daher das Misstrauen)

    Und auch hier können die Forderer der Zensur kaum gewinnen, denn die Zeit arbeitet gegen sie.

  • M
    Mimi

    "Wer als Kind schon Horrorfilme und Gewaltspiele konsumiert, wird als Jugendlicher eher zu Gewalttaten neigen." Mag ja sein, dass dieses Ergebnis, zu dem die Studie kommt, richtig ist. Das heißt aber noch lange nicht, dass der Konsum gewalthaltiger Medien der AUSLÖSER von Gewalttaten ist. Vielleicht gibt es andere (vielfältige!) Faktoren, die für das Interesse an Gewaltmedien UND die Neigung zu Gewalttaten verantwortlich sind?!

  • M
    Monika

    Was analysieren denn die Tübinger da wieder rum, es wurde doch schon bei mehreren Gewalttaten durch Kinder und Jugendliche (z.B. den spektakulären Mord an dem englischen Kleinkind durch Zehnjährige) festgestellt dass

    - eine gewalttätige Umgebung, vor allem Familie, dazu führt, dass Kinder/Jugendliche gewalttätige Filme und Spiele bevorzugen und auch leichter rankommen

    - eine gewalttätige Umgebung, vor allem Familie, zu mehr Gewalttätigkeit bei den Kindern und Jugendlichen führt.

    Der statistische Zusammenhang zwischen gewalttätige Filme sehen und gewalttätige Spiele spielen einerseits und Gewalt ausüben andererseits ist also kein kausaler.

  • HM
    Hermann Marzipan

    Bereits nach den ersten Zeilen zeigt sich wie ernstzunehmend diese Studie doch ist, denn speziell die Hauptschüler (und nur diese!) sehen Horrorfilme, spielen Killerspiele und haben zu Hause Väter die sich betrinken und ihre Familie prügeln.

     

    1. Warum wird diese Studie mit Hauptschülern gemacht, wo es doch statistisch gesehn immer weniger davon gibt? Allein schon deshalb ist diese Studie nicht repräsentativ!

     

    2. Fällt es nicht auf, dass es komischerweise NICHT Hauptschüler sondern zumeist Jugendliche aus den Bildungsschichten sind, die durchknallen? Nochmals ein Minuspunkt für diese Studie!

     

    3. Ist es nicht "unwirtschaftlich" Videospiele zu verbieten? Ist doch ein riesiger Absatzmarkt vorhanden.

     

    4. Lenkt man durch solche Diskussionen nicht vom eigentlichen Kern der Problematik ab, nämlich der Tatsache, dass die Anforderungen in dieser Gesellschaft inzwischen über alle Maßen utopisch sind! Warum (und wann?) sitzten die Kids denn vor den Horrorfilmen und Spielen? Kümmert sich da etwa keiner?

  • M
    Mupfel

    ich glaube nicht, dass diese studie repräsentativ ist, denn ich bezweifele, dass die kinder *wahre* angaben gemacht haben. außerem spielt (meiner laienhafen einschätzung nach) das umfeld der menschen und nicht das der medien eine größere rolle, wenn es um die frage geht, ob sich ein jugendlicher zu aggressionen und gewalt hinreißen lässt oder nicht.

    in einzelfällen können computerspiele mit brutalem inhalt sicher viel schaden anrichten, obwohl in erziehung und freundeskreis eine ethik des gewaltverzichts gelebt und gelehrt wird.

    aber das sind wie gesagt einzelfälle. Amokläufe kommen meistens durch Mobbing zu Stande oder Wut, die sich aus einem anderen Grund anstaut.

    Dass Compuerspiele die Ausführung eines solchen, schon geplanten, Amoklaufs "stilistisch" beeinflussen können, möchte ich nicht bezweifeln - sie sind aber nicht dafür verantwortlich zu machen oder als Auslöser anzusehen.

    Auf diese Weise versuchen Politiker und Medien, die ein generelles Verbot (was außerdem wenig nützen würde) fordern, nur von der eigentlichen Problematik abzulenken. Nämlich der des härter und rücksichtsloser werdenden Umgangs miteinander.

    In Familien, Schulen, Universitäten und im Berufsleben zeichnet sich ein Klimawandel hin zu einer sozialen Eiszeit ab. Das ist nicht übertrieben, sondern das Problemder Betroffenen, die zu Gewalt neigen.