Studie über Bezahlstudium: Uni-Gebühren schrecken nicht ab
Das Wissenschaftszentrum für Sozialforschung zeigt: Uni-Gebühren dämpfen die Studierneigung nicht. Selbst Nichtakademiker-Kinder lässt die Campus-Maut kalt.
![](https://taz.de/picture/246353/14/Unigebu__hren.jpg)
BERLIN taz | Diese Nachricht ist ein Schock für alle Gegner von Studiengebühren. Die Campus-Maut schreckt offenbar nicht einmal die Kinder aus nichtakademischen Haushalten vom Studieren ab. Das ergibt eine Studie aus dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), das eine hohe Expertise bei der Erforschung von Bildungsarmut hat. "Mit keiner der durchgeführten Analysen kann ein negativer Effekt von Studiengebühren auf die Studierneigung identifiziert werden", schreiben die WZB-Forscher Marcel Helbig und Tina Baier. Sie fußen ihre Erkenntnis auf die Untersuchung der Daten von so genannten Studienberechtigtenbefragungen vor und nach Einführung von Studiengebühren.
Die Studierneigung ist der sicherste Indikator für die Aufnahme eines Studiums. Das Hochschulinformationssystem fragt jeweils ein halbes Jahr nach dem Abitur Studienberechtigte, ob sie studieren wollen. Die Daten dieser befragten Gruppen haben sich Helbig/Baier genauer angesehen – und festgestellt, dass die Studierneigung auch in Ländern mit Studiengebühren nicht nachgelassen hat. Bei den Ländern, die Gebühren einführten, stieg die Neigung, an die Uni zu gehen, sogar stärker an als in Bundesländern ohne Studiengebühren.
Zum Vergleich: Vor den Gebühren gaben 66,2 Prozent der Abiturienten an, studieren zu wollen; nach den Gebühren waren es 68,9 Prozent. Das ist zwar kein Panthersprung nach oben – aber das glatte Gegenteil des stets prophezeiten Einbruchs. Helbigs Analyse bestätigt eine reale Studentenzahlentwicklung in Österreich: Dort waren nach Einführung von Studiengebühren im Jahr 2001 die Karteileichen aus den Unis geräumt worden – anschließend zogen die Studentenzahlen kräftig an.
Die Ablehnung von Studiengebühren war beinahe 20 Jahre lang der Fetisch ganzer Studentengenerationen – und auch dieser Zeitung. 2005 urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass das Studiengebührenverbot des Hochschulrahmengesetzes nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sei, da es in die Länderkompetenzen eingreife. Im Abschluss führten sieben Bundesländer Gebühren ein. Dagegen gab es wütende Proteste der Studierenden – einer der Demonstranten war der damalige Student Marcel Helbig selbst. "Ich konnte mir damals nicht vorstellen können, mit Gebühren zu studieren. Aber meine persönliche Meinung spielt keine Rolle."
Suggestivfragen
Die Daten, die Helbig jetzt ausgewertet hat, sprechen eine klare Sprache. Gebühren hätten sogar einen positiven Effekt. Studierende schätzten ihre Ertragsaussichten besser ein, wenn es Studiengebühren gibt. Dieser Effekt ist nach der Studie von Helbig und Baier "besonders bei Studienberechtigten aus nichtakademischen Haushalten festzustellen – also für jene Gruppe, bei der ein deutlich negativer Effekt der Studiengebühren auf die Studierneigung und damit ein Rückgang der Studienaufnahme vermutet wurde."
Eine bisher als wichtigstes Argument für einen Abschreckungseffekt herangezogene Studie bewerteten Helbig und Baier negativ. Darin waren nichtstudierende Abiturienten nach dem Grund für ihre Ablehnung gefragt worden. "Eine solche Frage hat suggestiven Charakter", sagte Helbig der taz.
"Wir werden diese Studie erst einmal eingehend analysieren", sagte der Sprecher des Wissenschaftsministeriums in Nordrhein-Westfalen (NRW) Dirk Borhart der taz. NRW werde die gerade abgeschafften Gebühren wegen einer Studie nicht wieder einführen.
Die neue Studie hat die studentischen Gegner schweigsam gemacht. Die beiden bundesweit agierenden Studentenverbände freier zusammenschluss der studierendenschaften und Aktionsbündnis gegen Studiengebühren gaben trotz Anfrage keine Statements ab. Kein Wunder, behauptete das ABS bisher, dass alle zugänglichen bildungspolitischen Daten die bestehenden Einwände gegen Studiengebühren bekräftigten. "Studiengebühren errichten im Hochschulsystem zusätzliche Hürden, die die soziale Selektivität des gesamten Bildungssystems verstärken." Diese Aussage ist seit gestern nicht mehr haltbar.
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