Stromnetzausbau teurer als gedacht: Energiewende kostet 50 Milliarden mehr
Mehr neue Stromtrassen, eine Verstärkung der bisherigen Leitungen und der Anschluss der Offshore-Windparks lassen die Kosten des Netzausbaus drastisch steigen.
![](https://taz.de/picture/211408/14/strom_trasse.jpg)
BERLIN taz | Der Bedarf an neuen Stromtrassen für die Energiewende geht deutlich über bisherige Schätzungen hinaus. In den kommenden zehn Jahren seien 3.800 Kilometer neue Höchstspannungsleitungen nötig, verkündeten die vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber gestern in Berlin. Noch mehr schießen die Kostenschätzungen über die bisherigen Annahmen hinaus. Statt von zunächst 9 Milliarden Euro ist jetzt von bis zu 59 Milliarden die Rede.
Die sogenannte Dena-Netzstudie II war vor anderthalb Jahren noch von einem Bedarf von 3.600 Kilometern neuen Stromtrassen ausgegangen, sah aber keine Aufrüstung von bestehenden Trassen vor. Nach dem neuen Netzentwicklungsplan der Betreibergesellschaften werden nicht nur mehr neue Leitungen gebraucht, sondern es müssen zusätzlich 5.400 Kilometer alte Trassen „optimiert“ werden.
An bestehende Masten werden dabei leistungsfähigere Kabel gehängt, durch die mehr Strom fließen kann. Solche Verstärkungen sehen Anwohner gewöhnlich weniger kritisch als komplett neue Masten, obwohl mit der Strommenge in den leistungsfähigeren Kabeln auch die Belastung durch elektromagnetische Felder steigt. Doch eine Aufrüstung in solch großem Maßstab ist neu und könnte zu neuen Konflikten führen.
Bis 2020 müssen neue Stromautobahnen her
Das bisherige Netz weist Engpässe auf, weil neue Windkraftwerke vor allem in Norddeutschland gebaut werden und der Strom in die Industriezentren im Süden und Westen der Republik transportiert werden muss. Wo bis 2022 neue Stromautobahnen gebraucht werden, fassten die Netzbetreiber im Netzentwicklungsplan zusammen, den sie gestern bei einer ersten Bürgeranhörung in Berlin vorstellten.
Durch den bisher unterschätzten Optimierungsbedarf des bestehenden Netzes verdoppeln sich gegenüber der Dena-Studie die Kosten für das Übertragungsnetz bis 2022 von 9 auf 20 Milliarden Euro. „Das sind 5 bis 10 Prozent der Kosten für die gesamte Energiewende“, beruhigt Boris Schucht, Geschäftsführer von 50Hertz Transmission. Hinzu kommen allerdings noch Kosten für den Netzanschluss von Offshore-Windparks in Höhe von 12 Milliarden Euro. Für das sogenannte Verteilnetz im ländlichen Raum werden nach Schätzungen des Branchenverbandes BDEW weitere Investitionen von 10 bis 27 Milliarden Euro fällig.
Erst Leitungen an-, dann AKWs abstellen
Die Hauptschlagadern der Nord-Süd-Verbindungen werden mehrere hundert Kilometer lange Gleichspannungsleitungen sein, die besonders viel Strom transportieren können. Diese Leitungen zur Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ) führen im Süden zu den Standorten von Atomkraftwerken, beispielsweise Philippsburg und Grafenrheinfeld. Bis 2017, spätestens 2019, wenn die nächsten Atomkraftwerke abgeschaltet werden, wollen die Netzbetreiber möglichst viele Leitungen fertig haben. „Sonst bekommen wir ein ernstzunehmendes Problem im Süden“, warnt Klaus Kleinekorte, Geschäftsführer des Netzbetreibers Amprion.
Bisher dauerte allerdings allein die Planung zehn Jahre, der Bau ein weiteres Jahr. Mit neuen gesetzlichen Regelungen hoffen die Netzbetreiber die Genehmigungszeiten zu halbieren.
Nicht alle Anwohner freuen sich über neue Trassen
Wie schnell die tausende Kilometer Leitungen gebaut werden, hängt nicht zuletzt von der Akzeptanz der Anwohner ab. „Wir werden auf die Gesellschaft zugehen, damit erkannt wird, dass Netzausbau und Energiewende untrennbar zusammenhängen“, kündigte Martin Fuchs an, Geschäftsführer von Tennet. Bisher sind bereits 1.000 Kilometer neue Trassen in Bau oder geplant. Anwohner protestieren dagegen teils heftig.
Zum Netzentwicklungsplan können die Bürger bis 10. Juli Stellung nehmen. Am Ende stehen ungefähre Trassenverläufe, über deren Notwendigkeit der Bundestag bis Ende des Jahres abstimmt. An welchen Kommunen die neuen Trassen genau verlaufen sollen, werden die Bundesnetzagentur und die Bundesländer ab 2013 festlegen.
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