: Strieder dezimiert die SPD
Parteichef Peter Strieder setzt Ausschlussverfahren gegen vier Mitglieder durch, die zur Wahl von Christian Ströbele aufriefen. Mitgliedsrechte liegen nun auf Eis. Politologe Stöss entschuldigt sich für Textformulierung – nicht aber für die Aktion an sich
Die vier Berliner SPD-Mitglieder um den Politologen Richard Stöss, die für den Grünen-Kandidaten Christian Ströbele warben, müssen ihre Wahlkampfhilfe möglicherweise mit ihrem Parteibuch bezahlen. Der SPD-Landesvorstand beschloss am Montagabend ein Ausschlussverfahren wegen parteischädigenden Verhaltens gegen sie und legte ihre Mitgliedsrechte auf Eis. Das hatte Parteichef Strieder bereits vor der Wahl gefordert. Laut Parteisprecher Hannes Hönemann fiel der Beschluss unabhängig von Ströbeles Wahlsieg über den SPD-Kandidaten Andreas Matthae. Stöss räumt einen Regelverstoß ein, erwartet aber keinen Ausschluss.
Die vom Rauswurf bedrohten vier Mitglieder hatten eine Woche vor der Wahl in einer Zeitungsanzeige unter der Überschrift „Sozialdemokraten für Hans-Christian Ströbele“ SPD-Parteifreunde zur Wahl des Grünen aufgerufen. Rechtsanwalt Ströbele selbst war in den 70ern aus der SPD ausgeschlossen worden, weil er seine RAF-Mandanten in einem Brief mit „liebe Genossen“ angeredet hatte.
Der fünfte Unterzeichner, der frühere Berliner Verfassungsrichter Klaus Eschen, bleibt bisher unbehelligt: Er gehört nicht der Berliner, sondern der brandenburgischen SPD an, wo er Chef der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen ist. Falls auch gegen ihn ein Verfahren anläuft, will er austreten: „In so einer piefigen, kleinkarierten Partei habe ich nichts mehr zu suchen.“ Eschen war maßgeblich an den Koalitionsverhandlungen 1989 und 1990 beteiligt. Ende der 60er-Jahre hatte er mit Ströbele das erste sozialistische Anwaltskollektiv in Berlin gegründet. „Ich brauche die SPD nicht“, sagte er, „aber die SPD braucht so gute Leute wie mich.“
Die fünf Unterzeichner erweckten in ihrer Anzeige den Eindruck, SPD-Kandidat Matthae sei über die Landesliste abgesichert. „Gerade Stöss als Politologe müsste wissen, dass das nicht stimmt“, sagte SPD-Sprecher Hönemann. Tatsächlich kam über die Liste kein SPD-Bewerber ins Parlament – Matthae stand dort auf Platz 5. Die Formulierung sei ein Fehler gewesen, sagte Stöss. Dafür habe er sich bei Matthae entschuldigt – „aber nicht für die Aktion als solche“.
Matthae lag bei der Wahl 3.782 Stimmen hinter Ströbele. Hätte er den Wahlkreis gewonnen, wäre die Berliner SPD im Bundestag mit 10 statt 9 Mandaten vertreten. Die Grünen hätten weiterhin 4 erhalten, die ihnen wegen des Zweitstimmenergebnisses in jedem Fall zustanden.
Parteichef Strieder hielt sich mit einer klaren Schuldzuweisung zurück: „Nicht hilfreich“ sei die Anzeige gewesen. Matthae sah durchaus eine Wählerbeinflussung: „Ich kann es nicht quantifizieren, aber es wird Auswirkungen gehabt haben.“
Ebenso wenig wie Stöss mochte sich Mitunterzeichner Dolf Straub, Mitarbeiter in Strieders Baubehörde, von dem Wahlaufruf distanzieren. Er habe damit sowohl für Ströbele „als auch für Rot-Grün plädiert“, sagte Straub. „Wenn man etwas für richtig hält, dann muss man das auch machen.“ Ein parteischädigendes Verhalten mag er nicht erkennen. Es sei in den Statuten sicherlich die Rede davon, bei der Wahl keinen Kandidaten anderer Organisationen zu unterstützen, „nicht ausgeführt ist dagegen der Fall, wie sich Mitglieder bei einem gemeinsamen Reformprojekt, was Rot-Grün ja bedeutet, äußern dürfen“. Straub wäre beinahe schon 1972 aus der SPD geflogen, nach dem er „für Vietnam Geld gesammelt hatte“.
Parteifreunde mit Ausschluss-Erfahrungen äußerten sich unterschiedlich. Der neue Berliner Bundestagsabgeordnete Klaus-Uwe Benneter, 1977 wegen „Linksabweichlertums“ ausgeschlossen, betrachtete die Anzeige „geradezu als Modellfall eines parteischädigenden Verhaltens. Der sächsische Landtagsabgeordnete und Schatten-Wirtschaftsminister Karl Nolle, 1983 in Hannover wegen Wahlwerbung für die Grünen ausgeschlossen, sieht die Partei mit zweierlei Maß messen: Zu Zeiten der sozial-liberalen Koalition sei kein SPDler wegen einer Zweitstimmenwerbung für die FDP ausgeschlossen worden. „Es trifft immer die Linken“, sagte Nolle.
Ähnlich wie der SPD-Vorstand würde die FDP handeln. Die Satzung der Berliner PDS hingegen untersagt zwar „Tätigkeit“ für andere Parteien. „Es wäre aber schwierig, jemanden wegen dieses Passus auszuschließen“, sagte ihr Landesgeschäftsführer Carsten Schatz. Die Grünen haben nach eigenen Angaben keinen solchen Passus. PLU/ROLA/STA
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