Streitgespräch zum Papstbesuch: "Ich glaube ... " - "Ich glaube nicht ..."
Papst Benedikt XVI. kommt nach Berlin - und polarisiert. Für die taz haben sich der überzeugte Katholik Christoph Lehmann und der ebenso überzeugte Religionskritiker Philipp Möller gestritten: über Toleranz und Moral, über Staat und Kirche, über den einen Gott und das Fliegende Spaghettimonster.
taz: Herr Lehmann, Herr Möller, lassen Sie mich raten: Herr Lehmann geht am 22. September zur Messe ins Olympiastadion und Herr Möller demonstriert, stimmts?
Christoph Lehmann: Selbstverständlich gehe ich ins Stadion. Und ich freue mich schon drauf.
Philipp Möller: Ich gehe auf die Demo, klar. Wir haben eine ganze Menge organisiert, da muss ich auch präsent sein.
Was fasziniert Sie beide an Benedikt XVI.? Ich frage das explizit auch Herrn Möller, der sich am Papst schließlich ganz schön abarbeitet.
Lehmann: Was fasziniert, ist vielleicht weniger die Person als die Botschaft. Die ist gerade bei Benedikt ziemlich klar: Gott ist die Liebe. An der Person selbst beeindruckt mich, dass es ein großer Gelehrter ist, der viel geschrieben hat. Es ist faszinierend, jemanden in dieser Position zu wissen, der solch einen theoretischen Hintergrund hat.
Philipp Möller
Der Mensch: Philipp Möller, 31, ist Diplompädagoge mit dem Schwerpunkt Erwachsenenbildung. Im Jahr 2009 war er Pressesprecher der religionskritischen "Buskamapagne", seit 2009 ist er als Pressereferent der Giordano Bruno Stiftung (gbs) tätig. Zudem ist Möller Vorsitzender der gbs-Regionalgruppe "Evolutionäre Humanisten Berlin-Brandenburg". Er lebt in Partnerschaft und hat eine Tochter.
Der Unglaube: Die Berliner Pro-Reli-Kampagne hat ihm den Anstoß gegeben, religionskritisch aktiv zu werden. Die "Buskampagne" 2009 griff das Vorbild der britischen "Atheist Bus Campaign" von 2008 auf, bei der Werbeflächen auf Londoner Bussen mit der Botschaft "Theres probably no god" plakatiert wurden. Die etwas sperrige Entsprechung "Es gibt (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) keinen Gott" wollte keiner der angefragten deutschen Verkehrsbetriebe zulassen. Die religionskritische Giordano Bruno Stiftung wurde 2004 gegründet. Inhaltlich ist sie stark dem Werk des Kirchenkritikers Karlheinz Deschner verpflichtet.
Die Demonstration: Die Kritiker der "menschenfeindlichen Geschlechter- und Sexualpolitik des Papstes" versammeln sich am Donnerstag um 16 Uhr auf dem Potsdamer Platz zu einer Kundgebung mit Demozug zum Bebelplatz. Das Motto der Veranstaltung: "Keine Macht den Dogmen". Sprechen werden unter anderem die feministische Theologin Uta Ranke-Heinemann und der homosexuelle Theologe David Berger. Bei der Abschlusskundgebung auf dem Bebelplatz um 19.30 Uhr legt DJ Marusha auf.
+
+
+
Christoph Lehmann
Der Mensch: Christoph Lehmann, 1961 geboren, hat Jura in Berlin und Genf studiert. Im Jahr 1990 promovierte er zum Thema "Produktionssubventionen im Ausgleichszollrecht". Seit 1992 ist er Anwalt und Notar in der Berliner Kanzlei Rolema, die auf Wirtschafts- und Immobilienrecht spezialisiert ist. Lehmann ist verheiratet und hat vier Kinder.
Der Glaube: Als Katholik engagierte sich Lehmann gegen die Einführung des verpflichtenden Schulfachs "Ethik" durch den rot-roten Senat, indem er mit dem Verein "Pro Reli" erfolgreich ein Volksbegehren initiierte. Die Forderung: Religions- und Ethikunterricht sollten sich gegenseitig ausschließende Wahlpflichtfächer sein. Beim Volksentscheid im April 2009 scheiterte die Pro-Reli-Position am Quorum, wurde aber auch von ihren Gegnern überstimmt. Heute ist Christoph Lehmann unter anderem Vorsitzender des Vereins "Credo", einer "Gruppe von engagierten Katholiken, die vom christlichen Glauben reden möchten" (www.mein-credo.de).
Die Messe: Nachdem Papst Benedikt XVI. am Donnerstag den Bundespräsident besucht, die Bundeskanzlerin empfangen, im Bundestag geredet und sich in Berlins Goldenes Buch eingetragen hat, wird er ab 18.30 Uhr mit rund 70.000 Menschen eine Messe im Olympiastadion feiern. Die Eintrittskarten sind bereits vergeben.
Möller: Ich finde faszinierend, dass er mit 84 Jahren noch eine Popstar-ähnliche Rolle spielt und in so hohem Alter durch die Gegend reist. Aber die Botschaft? Joseph Ratzinger ist ein sexistischer, homophober Antidemokrat. Was ist denn daran faszinierend, frage ich Sie?
Lehmann: Sie sollten einmal lesen, was der Mann geschrieben und gesagt hat. Er hat sein Pontifikat begonnen mit einer Enzyklika über die Liebe. Und das ist die Kernbotschaft des christlichen Glaubens: dass der Mensch von Gott geliebt ist und aufgerufen ist, Gott auch zu lieben. Dass jeder Mensch gleichermaßen geliebt ist …
Möller: Jeder Christ.
Lehmann: Nein, jeder Mensch.
Möller: Glauben Sie. Und dass das Teil Ihrer Weltanschauung ist, respektiere ich absolut. Jeder Mensch muss die Freiheit haben, sich als Ebenbild des Schöpfers dieses Universums zu verstehen. Aber ich muss die Freiheit haben, das als größenwahnsinnigen Unsinn zu bezeichnen. Das ist Religionsfreiheit, das ist im Grundgesetz abgesichert, das mussten Aufklärung und Humanismus gegen die Vertreter des Christentums durchsetzen. Die Botschaft des Papstes lautet doch: Ich bin der Monarch einer mittelalterlichen Wahlmonarchie, ich halte von eurer Demokratie überhaupt nichts und werde nur deswegen nicht strafrechtlich verfolgt, weil Mussolini den Vatikan zum Staat gemacht hat. Der Mann gehört nicht vor den Bundestag, sondern vor ein internationales Gericht.
Lehmann: Das meinen Sie doch nicht wirklich ernst. Sie versuchen, geschichtliche Zusammenhänge zu politisieren. Ich sage noch mal: Die Botschaft, die dieser Mann bringt, ist die Botschaft Jesu Christi. Und die heißt: Der Mensch ist von Gott geliebt, und jeder ist aufgerufen, Gott zu lieben. Wenn Sie darauf hinweisen, dass in der Kirche wie in allen anderen Institutionen in der Vergangenheit Fehler gemacht wurden - gar keine Frage. Aber wenn Sie sich auf den Humanismus berufen, will ich Ihnen mal sagen, dass in dieser Stadt vor etwas mehr als zwanzig Jahren noch Folterkeller im Namen des Humanismus betrieben wurden. Das würde ich Ihnen auch nicht zum Vorwurf machen.
Möller: Gut. Aber wenn ich höre, dass Sie von Liebe sprechen, muss ich doch fragen: Was hat denn das Christentum im Bereich der Liebe angestellt? Die katholische Botschaft heißt bis heute ganz klar: Homosexualität ist eine Sünde vor Gott. Und deshalb sollte ein solcher Mann gerade in Berlin nicht willkommen sein. Ganz zu schweigen vom Verbot der Liebe für Geistliche. Was am Ende dabei herauskommt, haben wir gesehen: massive Missbrauchsfälle, die massiv vertuscht wurden.
Herr Lehmann, der Regierende Bürgermeister bekennt sich zu seiner Homosexualität. Für die katholische Kirche ist das definitiv Sünde. Als Katholik wird Klaus Wowereit an der Papstmesse teilnehmen. Was finden Sie problematischer: Dass Wowereit im Bewusstsein seiner Lebensweise die Eucharistie, also das Abendmahl, empfängt oder dass der Papst sie ihm spendet?
Lehmann: Ich weiß nicht, ob der Regierende Bürgermeister zur Eucharistie gehen wird. Aber dass die 75.000 oder 80.000 Menschen, die an der Messe teilnehmen, inklusive des Papstes, Sünder sind, ist eine Tatsache. Den Ansprüchen, die die Liebe Gottes an uns stellt, können wir alle nicht gerecht werden.
Möller: Was ist mit denen, die deswegen ihren Job verlieren? Was ist mit dem Arzt, der in einem katholischen Krankenhaus arbeitet, das zu hundert Prozent vom Staat finanziert wird, und seinen Job verliert, weil er eine geschiedene Frau heiratet? Ich bin deswegen ein Befürworter des Papstbesuchs, weil er dafür sorgen wird, dass die Kirchenaustritte nach oben schnellen. Und dann wird es leichter sein, solche Privilegien der Kirche abzuschaffen. Damit meine ich auch den Einzug der Kirchensteuer und die millionen-, ja milliardenschweren Zahlungen, die alljährlich fließen. Nicht zu sozialen Zwecken, sondern um das System Kirche aufrechtzuerhalten.
Lehmann: Ich glaube nicht, dass die Privilegien abgeschafft werden, wenn es denn überhaupt Privilegien sind. Der Papstbesuch wird eher einen Beitrag dazu leisten, dass sich die Menschen wieder stärker mit Glaubensfragen auseinandersetzen.
Möller: Das meine ich ja.
Lehmann: … und wir wissen, dass viele Menschen auf der Suche sind. Auch in Berlin. Ich glaube, dass beide Kirchen mit ihrer christlichen Botschaft ein wichtiges Angebot für die Menschen haben. Und in Berlin sehen wir, dass Leute aus Gegenden, die früher mehrheitlich katholisch waren, häufig den Weg zurück in die Kirche finden. Gehen Sie mal sonntags in manche Kirchengemeinden in Mitte. Die sind krachend voll mit jungen Leuten.
Möller: Die Statistik spricht eine andere Sprache.
Lehmann: Die Statistik spricht gar keine andere Sprache. In Berlin nimmt die Anzahl der Katholiken stetig zu, wie Sie sicherlich wissen, wenn Sie sich so intensiv damit beschäftigen.
Möller: Ja, aber es gibt auch immer wieder Leute, die ein Stück weit zwangskonfessionalisiert werden. Wer einen Job im sozialen Bereich sucht, erhöht seine Chancen um ein Vielfaches, indem er in eine der beiden Kirchen eintritt. Wenn in einer Stellenanzeige der Diakonie steht "Der Bewerber muss Mitglied der evangelischen Kirche sein", heißt das implizit: Katholiken, Atheisten, Muslime und Juden unerwünscht.
Lehmann: Die Kirchen sind Tendenzbetriebe. Die haben natürlich die Möglichkeit zu sagen: Ich will nur bestimmte Leute einstellen. Ich würde auch der Linkspartei nicht zumuten, ein CDU-Mitglied einzustellen.
Möller: Das können Sie nicht vergleichen.
Lehmann: Genau das kann ich vergleichen. Übrigens ist es nicht wahr, dass Menschen anderer Glaubenszugehörigkeit oder Konfession nicht von den Kirchen angestellt werden. Bei uns in der Gemeinde sind auch Moslems angestellt.
Möller: Aber die können jederzeit gekündigt werden.
Lehmann: Nein, das geht nicht.
Ich unterbreche Sie an dieser Stelle mal. Herr Möller, am 22. September wird ein breites Bündnis von Papstgegnern demonstrieren. Wenn man sich anschaut, was da geplant ist - das geht ja schon unter die Gürtellinie. Kann es sein, dass Sie Papst und Kirche auf ihre Sexualmoral reduzieren?
Möller: Beim Bündnis "Der Papst kommt" geht es genau um diesen Aspekt. Und wenn Sie sagen "unter die Gürtellinie" - wir haben hier immer noch so etwas wie Meinungs- und Kunstfreiheit, und ich denke, dass die sogenannten religiösen Gefühle nicht mehr wert sein dürfen als diese Freiheiten. Im Übrigen: Wer etwas anstoßen will, muss eben auch mal anstößig sein. Es gibt Aktionen, die ich vielleicht selbst nicht unterstützen würde. Aber ich finde es gut, dass das jemand tut. Der Papst muss damit leben können.
Sehen Sie das auch so, Herr Lehmann?
Lehmann: Ja natürlich wird der Papst damit leben, das ist ja nichts Neues und gehört in einer Demokratie dazu. Ich habe nur manchmal die Befürchtung, dass die Toleranz, die manche Gruppen einfordern, gegenüber der Kirche nicht erbracht wird. Ich würde mir Akzeptanz dafür wünschen, dass der 22. September nicht in erster Linie der Tag der Papstgegner, sondern des Papstbesuches ist …
Möller: Das entscheidet jeder selbst.
Lehmann: … und dass viele Leute das gut finden und gerne hingehen. Weil sie gespannt sind auf die Botschaft, die der Papst hat. Es wäre schön, wenn man da ein bisschen von der viel gepriesenen Berliner Toleranz auch mal in die andere Richtung walten lässt.
Möller: Toleranz ist gut, sagt Wilhelm Busch, aber nicht gegenüber der Intoleranz. Und der Respekt, den wir davor haben, dass Sie es toll finden, wie die Schäfchen zum Papst pilgern und vor ihm auf die Knie fallen, schließt nicht aus, dass wir demonstrieren gehen.
Lehmann: Ich falle nicht vor dem Papst auf die Knie, ich knie vor Gott.
Möller: Das ist doch das Gleiche.
Lehmann: Das ist überhaupt nicht das Gleiche. So viel Differenzierungsvermögen würde ich Ihnen schon zutrauen. Aber den Papst als intolerant zu bezeichnen, ist absoluter Unsinn. Was die Sexualmoral angeht: Die Ausgangsfrage ist: Wie antworte ich auf die Liebe Gottes? Die Kirche gibt da Richtlinien und sagt: Diese oder jene Verhaltensweise ist moralisch richtig oder nicht. Das letzte Urteil darüber hat jeder Christ letztlich vor seinem Gewissen zu treffen. Er hat sich nicht sklavisch daran zu halten, was der Vatikan vorschreibt. Dass Sie sagen, der Papst sei antidemokratisch, finde ich besonders gewagt. Sie wissen, welche Rolle der Vatikan in Bezug auf den Kommunismus gespielt hat.
Möller: Richtig, aber das war ein anderer Papst.
Lehmann: Dieser Papst ist kein Deut anders in dieser Frage. Lesen Sie doch mal seine Schriften.
Möller: Er ist ein Hardliner.
Lehmann: Nein, das stimmt nicht. In Fragen der Menschenrechte und Demokratie ist er einer, der sogar ziemlich deutliche Worte spricht.
Möller: Warum hat der Vatikan dann als einziger europäischer Staat neben Weißrussland die Menschenrechte nicht ratifiziert? Wie kann es sein, dass ein HIV-infizierter Mensch, der wissentlich ungeschützten Geschlechtsverkehr hat, wegen Körperverletzung verurteilt wird, während ein anderer Mensch, nämlich Joseph Ratzinger, dafür in den Bundestag eingeladen wird, dass er Abermillionen Afrikaner zum ungeschützten Verkehr anstiftet?
Lehmann: Das ist schlicht falsch. Der Papst hat zur Treue in der Partnerschaft aufgerufen.
Cut! Herr Lehmann, ein Schlüsselbegriff im Denken von Papst Benedikt scheint mir die "Diktatur des Relativismus" zu sein. Damit meint er die Pluralität unserer westlichen Kultur, die keine absolute Wahrheit mehr kennt. Haben Sie das Gefühl, in einer Diktatur zu leben?
Lehmann: Sie verwechseln zwei Dinge: Der Papst redet von Relativismus, nicht von Pluralität. In einer pluralistischen Gesellschaft akzeptiert man, dass Menschen unterschiedliche Wahrheiten haben, und redet miteinander darüber. Was der Papst bemängelt, ist der Trend im gesellschaftlichen Diskurs, alles zu relativieren und deutlich zu machen: alles nicht so ernst gemeint. Das ist keine Diktatur im engeren Sinne, aber eine Entwicklung, die ich auch mit großer Sorge betrachte.
Wo genau erkennen Sie diesen Trend im gesellschaftlichen Diskurs?
Lehmann: Ich will mal ein Beispiel geben, das mich selbst betroffen hat. In der Debatte um den Religionsunterricht standen zwei Konzepte gegeneinander. Die einen haben gesagt: Wir wollen, dass jeder die Chance hat sich zu bilden, wie es seinem Charakter und Wunsch entspricht. Von der anderen Seite kam das Konzept, man müsse alles irgendwie gleichmachen und den Leuten sagen, es gebe keine Unterschiede.
Möller: Pro Reli hat für mich den Ausschlag gegeben, religionskritisch aktiv zu werden. Weil die Kampagne eine solche Falschdarstellung war. Status quo in Berlin ist und war, dass jeder sich entscheiden kann, ob er den Religionsunterricht besucht oder nicht. Das ist europäischer Standard und auch gut so. Dann hat das Land Berlin mit der Einführung des Pflichtfachs Ethik darauf reagiert, dass man auf Schulhöfen immer wieder Sprüche wie "Christenschwein" oder "Judensau" hören konnte. Die Devise war: Lieber miteinander als übereinander reden. Ob darüber hinaus der Religionsunterricht besucht wird, muss jeder selbst entscheiden. Das wollte Pro Reli kippen. Sie wollten Wahlzwang zwischen Religion und Ethik. Nur die saubere Aufklärungsarbeit des Landes Berlin hat dafür gesorgt, dass die Mehrheit gegen Pro Reli gestimmt hat.
Lehmann: Toleranz bedeutet, jedem die Chance zu geben, sich nach seiner Fasson zu bilden. Das haben wir gefordert. Und Sie wissen, dass die Stundenbelastung vieler Berliner Schüler zwischen der 7. und der 10. Klasse so groß ist, dass es kaum möglich ist, zusätzlichen Religionsunterricht zu machen.
Möller: Dafür kann man ja zur Kirche gehen.
Lehmann: Das ist nicht dasselbe. Beim Religionsunterricht geht es um die Vermittlung von Wissen.
Möller: Nein, das ist bekenntnisbezogener Unterricht.
Lehmann: Ja, natürlich, aber auch ein Bekenntnis kann Gegenstand von Wissen sein. Sie würden doch auch sagen, dass man sich in Form von Inhalten mit dem Humanismus auseinandersetzen kann. Genauso kann man sich mit theologischen Inhalten auseinandersetzen.
Möller: Aber hören Sie mal, die Existenz Gottes ist genauso wahrscheinlich wie die Existenz des Fliegenden Spaghettimonsters. Und das bringen Sie Kindern bei?
Lehmann: Das ist doch Unsinn!
Möller: Natürlich.
Lehmann: Sie wissen ganz genau, dass Sie nicht beweisen können, dass Gott existiert, und auch nicht beweisen können, dass er nicht existiert.
Möller: Sie können auch nicht beweisen, dass das Fliegende Spaghettimonster nicht existiert. Und jetzt sollen wir da einen Religionsunterricht drumherumstricken?
Lehmann: Dann glauben Sie doch an Ihr Fliegendes Spaghettimonster …
Möller: Nein, glaube ich nicht, genauso wenig, wie an den Gott des Christentums oder die restlichen fünftausend Götter, die sich die Menschheit ausgedacht hat.
Herr Möller, Jürgen Habermas hat im Dialog mit dem Papst gesagt, er selbst sei "religiös unmusikalisch". Kann es sein, dass auch Ihnen die Begabung fehlt?
Möller: Das ist keine Begabung. Ich wurde wie jeder andere Mensch ohne den Glauben an eine höhere Macht geboren, und er wurde mir nie anerzogen.
Lehmann: Das ist nicht nur eine Frage der Erziehung. Es gibt viele Menschen, die den Weg zum Christentum ohne eine christliche Erziehung gefunden haben. Eine ganze Menge sogar. Sie machen einen Fehler. Sie gehen an einer Frage vorbei, die sich viele Menschen stellen: Die Frage, woher alles kommt.
Möller: Diese Fragen habe ich auch. Aber Sie geben vor, die Antworten zu haben. Ich sage: Es gibt Fragen, auf die gibt es keine Antworten.
Lehmann: Das ist die Resignation vor der Frage. Aber natürlich verlasse ich mich auf Dinge, die jenseits des rein Rationalen sind.
Möller: Und wie kommen Sie darauf?
Lehmann: Ein Beispiel: Sie haben eine Freundin. Und Sie meinen, sie liebt sie. Wissen Sie es wirklich? Nein, Sie verlassen sich darauf.
Möller: Was hat denn die Liebe zwischen Menschen mit dem Glauben an ein Fabelwesen zu tun?
Lehmann: Gott ist kein Fabelwesen, sondern ein reales Wesen. Sie glauben offenbar nur an das, was sie sehen können. Dann glauben Sie auch nicht an die Liebe zwischen Ihrer Freundin und Ihnen.
Möller: Die Liebe zwischen Menschen ist ein materielles, nachweisbares Phänomen. Wohingegen der Glaube an ein übernatürliches Wesen sich nur in Ihrem Hirn manifestiert. Der kritische Rationalismus läuft andersrum: Wer eine Behauptung aufstellt, muss sie belegen. Sonst könnte ja jeder kommen. Ich könnte sagen: Bei mir im Garten steht ein unsichtbares Einhorn, das behauptet, dass Sie keine Anwaltskanzlei haben dürfen. Schaffen Sie deswegen Ihre Kanzlei ab?
Lehmann: Ich verlange doch nicht von Ihnen, dass Sie meine Meinung teilen. Ich verlange auch nicht, dass Sie an Gott glauben. Ich sage nur, dass ich fest davon überzeugt bin.
Zurück zum Papst. Herr Lehmann, der Bistumsjugendtag zur Vorbereitung der Papstvisite hat das Motto "Feel the Spirit!". Da wird auch ein "Papa-Bike" verlost. Ist die katholische Kirche so locker-flockig?
Lehmann: Ich war auf dem Weltjugendtag und muss sagen: Da war die Kirche locker-flockig, bei aller Ernsthaftigkeit und Frömmigkeit.
Passt das zum Konzept von Sünde und Erlösung?
Lehmann: Natürlich kann man in der Beziehung zu Gott wie in der Beziehung zu anderen Menschen Fehler begehen, sich schuldig machen. Aber es gibt auch das Konzept der Vergebung. Insofern hat die Kirche eine fröhliche Grundaussage. Und das ist der Grund, warum so viele junge Leute Freude am Glauben haben.
Möller: Ich habe gehört, viele junge Menschen gehen zum Weltjugendtag auf der Suche nach außerehelichem Sex.
Lehmann: Mit wem haben Sie denn da gesprochen?
Möller: Jedenfalls ist die Grundbotschaft des Christentums eine andere: Sei gehorsam, dann wirst du am Ende deines Lebens belohnt. Sei nicht gehorsam, dann wirst du bestraft.
Lehmann: Ich würde Ihnen ehrlich empfehlen, mal in den Religionsunterricht zu gehen. Sie haben so viel Ahnung von Theologie wie ein Huhn vom Mikroprozessor. Der Mensch ist gar nicht dazu in der Lage, die Gerechtigkeit Gottes zu erlangen. Das geht nur durch Gottes Gnade.
Möller: Ach, dann mache ich, was ich will, und komme am Ende doch in den Himmel?
Herr Lehmann, kommt Herr Möller in den Himmel?
Lehmann: Das weiß ich nicht. Ich weiß auch nicht, ob ich in den Himmel komme. Nur Gott weiß, wem er seine Gnade zuteil werden lässt.
Möller: Ich kann das nicht ernst nehmen. Ich glaube Ihnen das nicht, wirklich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag