Streit zwischen Russland und Japan: Medwedjews Insel-Visite erbost Tokio
Nach einem Besuch des russischen Präsidenten auf den Kurilen hat Japan seinen Botschafter aus Moskau abberufen. Damit hat ein alter Streit einen neuen Höhepunkt erreicht.
Eine Stippvisite des russischen Präsidenten Dmitri Medwedjew auf der Südkurilen-Insel Kunaschir (japanisch: Kunashiri) hat in Tokio für erhebliche Verstimmung gesorgt. Am Dienstag rief Japan seinen Botschafter auf unbestimmte Zeit zu Konsultationen aus Russland ab.
Anfang der Woche hatte der Kremlchef auf der von Russland beherrschten Insel Kunaschir einen dreistündigen Zwischenstopp eingelegt. Es war der erste Besuch eines russischen Staatsoberhauptes auf dem Archipel, den die UdSSR nach der Kapitulation Japans im Zweiten Weltkrieg annektierte. Die Inseln Kunaschir, Iturup, Shikotan und die Gruppe der Habomai-Inseln betrachtet Japan nach wie vor als seine "nördlichen Territorien". Wegen des Konfliktes um die vier südlichen Kurilen-Inseln befinden sich Russland und Japan formell immer noch im Kriegszustand.
Bislang scheiterte der Abschluss eines Friedensvertrags am Streit um die nördlichen Territorien. Japans Anspruch auf die Inselgruppe belastet seit Ende des Weltkrieges die Beziehungen zu Russland, die daher nie über ein fragiles Miteinander hinauskamen.
Offiziell galt der Besuch des Präsidenten auf dem Eiland Kunashiro der Inspektion eines geothermischen Kraftwerks und einer fischverarbeitenden Fabrik. Russland erhebt zwar den Anspruch auf die Südkurilen, die Region wurde jedoch seit Jahrzehnten von Moskau vernachlässigt. Trotz eines vor vier Jahren aufgelegten Investitionsprogramms befinden sich Infrastruktur und Lebensumwelt der 7.000 Inselbewohner in einem beklagenswerten Zustand.
Davon konnte sich auch der Präsident überzeugen, der auf einer Schotterstrasse in einem japanischen Jeep die Insel kurz bereiste. Wirtschaftlich sind die Südkurilen längst in die japanische Wirtschaft integriert. Iturup und Kunashiri werden auch von Japan aus versorgt, da der Nachschub aus Russland nicht störungsfrei verläuft. Vor allem Fisch und Meeresfrüchte liefern die russischen Fischer nach Japan.
Das verleiht dem demonstrativen Blitzbesuch des Kremlchefs denn auch einen merkwürdig anachronistischen Anstrich. Eigentlich war die Reise auf den Archipel schon vor einem Monat geplant, wurde aber wegen ungünstiger Wetterverhältnisse abgesagt. Japan reagierte bereits auf das Ansinnen erbost. Das russische Außenministerium konterte unterdessen, der russische Präsident müsse niemanden um Genehmigung bitten, wenn er das eigene Land bereise. Gleiches verlautete auch gestern aus dem Außenministerium.
Im Kreml wurde überdies laut über eine weitere Visite Medwedjews auf den Südkurilen nachgedacht, nachdem der Statthalter des Präsidenten im Fernen Osten den Kremlchef dazu ermuntert hatte. Präsident Medwedjew scheint für den Präsidentschaftswahlkampf mit national-patriotischer Unbeugsamkeit Punkte sammeln zu wollen – wie sein Wladimir Putin. Trotz der verbalen Scharmützel wollen sich Japans Regierungschef Kann und Präsident Medwedjew auf dem Gipfel der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsgemeinschaft (APEC) Mitte November in Japan treffen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Berliner Kultur von Kürzungen bedroht
Was wird aus Berlin, wenn der kulturelle Humus vertrocknet?