piwik no script img

Streit zwischen EU und Ungarn"Demokratische Grundsätze"

Ungarns Regierungschef Orbán kündigt an, den Konflikt mit der EU schnell lösen zu wollen. Die Abgeordneten des Europaparlaments reagieren ungewohnt hart.

Alles halb so wild, findet Ungarns Regierungschef Viktor Orbán. Bild: reuters

STRASSBURG taz | Selbst der immer vorsichtig agierende José Manuel Barroso sprach Klartext in Straßburg: Die Debatte gehe über das EU-Recht hinaus, es gehe hier um die Qualität der Demokratie, sagte der Präsident der EU-Kommission zum Auftakt der Ungarn-Debatte im Europaparlament am Mittwochnachmittag. Die EU-Kommission werde nicht davor zurückschrecken, weitere Schritte zu unternehmen, so Barroso in Richtung seines konservativen Parteifreundes Viktor Orbán.

Der ungarische Ministerpräsident machte den Eindruck, als spreche er über ein ganz anderes Land. Er eröffnete seine Rede mit den Worten: "Es ist mir immer eine Freude, in einem Parlament das Wort ergreifen zu dürfen, wie sich das auch gehört in einer Demokratie." Alles sei halb so schlimm, versicherte er.

Ungarn habe im schnellen Tempo wichtige Reformen durchführen müssen, da könne es natürlich auch mal vorkommen, dass der eine oder andere Punkt umstritten bleibt. Doch die Probleme könnten schnell gelöst werden im gegenseitigen Einvernehmen. Am Dienstag reist Orbán zu einem Treffen mit Barroso nach Brüssel.

Mit seiner Politik bringt Orbán, der sein Land mit einer Zwei-Drittel-Parlamentsmehrheit im Rücken immer weiter nach rechts führt, seit geraumer Zeit halb Europa gegen sich auf. Deshalb empörten sich nun viele Abgeordnete bei solchen Äußerungen. "Mit einer Regierung Orbán wäre Kroatien gar nicht in die EU aufgenommen worden, denn es hätte die Beitrittskriterien offenbar nicht erfüllt", sagte der neue Vorsitzende der Europäischen Sozialisten und Demokraten im Europaparlament, Hannes Swoboda.

EU-Delegation soll nach Budapest

"Wir führen hier keine Diskussion zu technischen Fragen, sondern es geht um die Konformität von Gesetzen mit demokratischen Grundsätzen", stellte der Vorsitzende der europäischen Liberalen Guy Verhofstadt klar. Seinen Vorschlag, eine Delegation aus dem Ausschuss des Europaparlaments für bürgerliche Freiheiten unverzüglich nach Budapest zu entsenden, fand auch die lautstarke Unterstützung der europäischen Grünen. "Dann können wir auch erfahren, warum Intellektuelle oder Juden in diesem Land Angst haben müssen", so der grüne Europapolitiker Daniel Cohn-Bendit.

Am Dienstag hatte die EU-Kommission gerade drei Schnellverfahren wegen Verletzung der EU-Verträge gegen die ungarische Regierung eingeleitet. Umstritten sind aus Brüsseler Sicht eine Verfassungsänderung, die die Unabhängigkeit der Zentralbank infrage stellt, ein neues Datenschutzgesetz, das die hierfür zuständigen ungarischen Behörden praktisch unter Aufsicht stellt, sowie ein Gesetz, das das Rentenalter von Richtern und Staatsanwälten auf 62 Jahre senkt - möglicherweise, um unliebsame Juristen möglichst schnell in den Ruhestand schicken zu dürfen.

Vor dem Europaparlament war Orbán bisher stets mit einem blauen Auge davongekommen, etwa im Januar 2011: Damals stand seine Regierung wegen einem autoritären Mediengesetz in der Kritik, aber Ungarn hatte gerade die EU-Präsidentschaft auf einem Höhepunkt der Schuldenkrise übernommen, und niemand in Brüssel wollte noch mehr Streit auf höchster Ebene riskieren. Also begnügten sich sowohl die EU-Kommission als auch die Straßburger Abgeordneten mit lauwarmer Kritik. Nur die Grünen hielten Plakate gegen Zensur hoch.

Die Debatte am Mittwoch verfolgte der ungarische Ministerpräsident sichtlich nervös und verärgert. Selbst einige seiner politischen Freunde in der Europäischen Volkspartei scheinen die Geduld mit dem Volkstribun aus Budapest zu verlieren. Durch die neu entfachte Ungarn-Debatte bekam das EU-Parlament nun rasch eine unverhoffte Chance. Erst am Dienstag hatte der frisch gewählte Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) versprochen, er würde sich mit aller Kraft dafür einsetzen, dem Parlament eine starke Stimme zu geben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

11 Kommentare

 / 
  • HS
    Hari Seldon

    @vic

     

    Zu Cohn-Bendit: Er war in Ungarn, und bei einer Veranstaltung hat der Redner die kinderpornografische Vergangenheit von Cohn-Bendit erwähnt. Der gute Cohn-Bendit hat die Veranstaltung panikartig verlassen, eilte zum Flughafen, und floh mit dem allerersten Flugzeug: Ungarn würde den Auslieferungsgesuch von Deutschland sehr wohlwollend prüfen... Seitdem hetzt die Grüne-Fraktion in der EU-Parliament gegen Ungarn. Augenscheinlich ist Kinderschändung ein demokratisches Grundrecht á la Grün, aber eine eigene Verfassung mit mehr als 2/3 Mehrheit nicht.

     

    @mario simeunovic

     

    Säuberung der Kulturbetriebe: In den Kulturbetrieben sitzen immer noch diejenige (und deren Nachkommen), die damals die Kultur der Kommunisten gehuldigt haben. Jetzt wollen diese Schmarotzern die Rolle der großen "Demokraten" spielen. Die Partei von dieser Sicht hat eine vernichtende Wahlniederlage in 2010 erlebt (33 (dreiundreißig) Stimmen für einen einzigen Kandidat in ganz Ungarn), und jetzt kommt der SOS-Hilferuf zu den Medienbrüder und Schwester auf aller Welt: "Wir sind von den fetten staatlichen Fleischtöpfen entfernt, es ist undemokratisch, faschistisch, rassistisch, usw., Bitte, SOS, wir wollen weiterhin so schmarotzen wie früher".

     

    @heiko richter

     

    Bitte, wegen der Staatspleite sollten Sie nicht bei der Orban-Regierung klopfen, sondern bei der früheren sozialistischen (die Nachfolgepartei der ungarischen SED)-linksliberalen (der linksradikale Flügel der ehemaligen ungarischen SED) Regierung. Diese "Neudemokraten" (zB., einer der grössten "Demokraten" aus der linksliberalen Szene, der frühere OB in Budapest war ein bekannter Maoist, und bei der ungarischen Stasi geführte freiwillige Spitzel, der seine eigenen Mao-Kumpel bespitzelt hat: Solche Leute konnten in Deutschland überhaupt nicht gewählt werden). Wie der frühere MP Gyurcsany (jetzt "Neudemokrat") gesagt hat: "Wir lügten morgen, tagsüber und in der ganzen Nacht". Es ist kein Zufall, dass die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung in Ungarn die Nase mit solchen Schmarotzern voll hat. Die EU sollte besser überlegen, mit welchen "Neudemokraten" sich einlassen würde. Es ist auch kein Zufall, dass immer mehr Menschen in der EU die Frage stellen: Wäre die EU in unserem Interesse, oder im Interesse der extrem gut bezahlten EU-Bürokraten, die eigentlich keine demokratische Legitimierung haben.

  • MS
    Mario Simeunovic

    Diesem Europa ist jede demokratische und moralische Autorität abhanden gekommen. Seit 2010 wird die ungarische Gesellschaft von Fidesz nach rechts geführt, gibt es die antisemitische Säuberung des Kulturbetriebs, werden kritische Journalisten verfolgt, Roma terrorisiert und der Hass auf Schwule geschürt.

    Das institutionelle Europa hat dem bislang tatenlos zugesehen, hat diesem neuen rechten Ungarn sogar ohne zu murren die EU-Präsidentschaft überlassen.

    Nun kommt es zu Sanktionsdrohungen, wegen eines Schrittes den nachzuahmen viel Staaten, allen voran Deutschland, gut beraten wäre. Die Beschränkung der sog. "Unabhängigkeit" der ungarischen Notenbank steht im Zentrum der Kritik. Dabei gibt es selbstverständlich keine echte "Unabhänigkeit" der Notenbanken. Es wurde in den letzten Jahrzehnten politisch durchgesetzt, dass die nationalen Notenbanken ausschließlich unter dem Einfluss der heimischen Finanzwirtschaft stehen, deren Interessen vertreten, sowie derer, die an sich um die Wertstabilität ihres Vermögens sorgen (Inflationsangst). Das ist die "Unabhängigkeit", die hier verteidigt wird und eine größere Provokation für das Lissaboner Europa der Kapitalfreiheit darstellt als Antisemitismus, Rassismus, Homophobie und Gleichschaltung.

    Es ist wie 1932. Die EU mit Deutschland an der Spitze kann in Nachfolge von Reichskanzler Brüning solange eine verheerende Spar- und Kürzungspolitik diktieren bis die europäischen Demokratien soweit beschädigt sind, dass sie reif für die Übernahme durch faschistische Marktregulierer und Kriegswirtschaftler sind. Am Ende werden sie dann den Ermächtigungsgesetzen zustimmen, so wie es seinerzeit der Zentrumspolitiker Brüning getan hat.

  • M
    moppy

    Deshalb empörten sich nun viele Abgeordnete bei solchen Äußerungen. "Mit einer Regierung Orbán wäre Kroatien gar nicht in die EU aufgenommen worden

     

    Hat der wirklich Krotien gesagt oder Ungarn oder Moldavien ?

  • HR
    Heiko Richter/Siófok

    Anfang dieser Woche hat Herr Orban in einer Rede in einem ungarischen Dorf erklärt, dass schon ein Krieg um den ungarischen Boden und das ungarische Wasser ausgebrochen sei, der auch mit der Waffe der Abwertung geführt werde.Es sei nun die Aufgabe der ungarischen Bauern, auch diesen Kampf zu führen und den ungarischen Boden zu bewirtschaften.

    Auf einer gestrigen Pressekonferenz in Straßburg erklärte er, dass Ungarn sich weder von Deutschland noch von der EU und vom IWF Geld zu leihen brauche, da es sich Geld auf den Märkten beschaffen könne. Ungarn verlange nur Sicherheitsgarantien. Der ungarische Staat - so die Einschätzung des Ministerpräsidenten- stehe überhaupt nicht vor dem Staatsbankrott.

    Wie erklären sich dann aber folgende Tatsachen:

    Das Gymnasium, an dem ich unterrichte, wurde im Dezember eine Woche früher in die Weihnachtsferien geschickt, weil der Schulträger kein Geld hatte, um die Heizkosten zu bezahlen. Das war übrigens kein Einzelfall. Die Budapester Verkehrsbetriebe stehen kurz vor dem Bankrott und können seit Januar keine Ersatzteile mehr bestellen. Die Aufzählung könnte noch beliebig erweitert werden. Für Umbenennungen (Staatsname, Straßen in Budapest) scheint genügend Geld vorhandenn zu sein. Ist Herr Orbán darauf stolz?

    Zu der Tatsache, dass am vergangenen Wochenende Anhänger der Neonazi-Partei Jobbik öffentlich die EU-Fahne verbrannt haben und eine Volksabstimmung über den EU-Austritt fordern, fiel Herrn Orbán auf der erwähnten Pressekonferenz nur ein, dass er der Meinung sei, dass ein Verbleib Ungarns besser sei als ein Nichtverbleiben.

  • V
    vic

    Wenn`s um die Unabhängigkeit der Zentralbank geht, kennt die EU kein Pardon. Da wähnt man die Demokratie in Gefahr.

    Einzig Cohn-Bendit fällt ein, das in Ungarn, wie es die Rechten gemacht haben, noch einiges andere stinkt.

  • LC
    luis cortes

    Los "verdes" perdieron puntos con los latinos y los amigos de latinoamérica, con las comparaciones del Sr.

    Daniel Cohn-Bendit, con relación al jefe de gobierno de Ungría Orbán y el presidente de la república de Venezuela. Que lejos está de la realidad actual. Los latinoamericanos teníamos otra opinión del partido verde.

  • A
    Adenauer

    "Verkehrte Welt: Viktor Orban ist demokratisch gewählt mit 2/3 Mehrheit. Monti in Italien und Papademos in Griechenland sind nicht demokratisch gewählt, sondern nur ernannt. Die Vertreter der Zentralbanken werden nicht demokratisch gewählt, sondern ernannt. Die Zentralbanken sind eine fundamental undemokratische Einrichtung. Und trotzdem ist Viktor Orban undemokratisch?! Was läuft da falsch?"

  • VL
    vergessene Liebe

    Es waren wohl kaum humanistische Kalkulationen, von Seiten der E.U., von Seiten Ungarns, die da Ungarn in die E.U. einzubinden versuchten ! Es waren offensichtlich mehr "Machtideen" der NATO.. und "Wohlstandsvisionen" Ungarns... die da Ungarn in die E.U. integrierten...

    Soll man da von "socialer" ungarischer Inkompetenz für europæische demokratisch- humanistische Standards reden? "JAA!!!" Kann die gegenwärtige- krisengweschüttelte E.U. die "sociale Inkompetenz" Ungarns kompensieren? "NEIN!!!"

    Und so ? Das Beste ist wohl, Ungarn formell im Bereich der E.U. zu entrechten, damit die E.U. keinen Schaden erleidet durch Ungarns dummheiten !!!

  • P
    Pink

    Es wird allerhöchste Zeit, dass der verschlafene Haufen des EU-Parlaments mit Ungarns Regierungschef offene Fragen klärt. Im Sinne von Europa.

     

    Was sich dort tut, ist nicht Europa.

    Damit will ich nichts zu tun haben.

     

    Man darf gespannt sein, ob der neue Parlamentspräses eine gute Arbeit macht.

  • GD
    Grüne Demokraten...hahaha

    Das undemokratischste in der EU ist ja wohl das "Parlament". Orban haben 2/3 der ungarn gewählt. Sein Programm war klar. Ja, Linke haben dort keine Macht mehr und auch kein Medienmonopol. bei uns schon. Nur ist das bei uns kein Ausdruck demokratischen Willens. Was "demokratisch" ist und wie unabhängig die Medien sind konnte man bei Sarrazin sehen. Orban ist oft über das Ziel hinausgeschossen, aber ich hoffe er hält durch. Die total qualitätsjournalistische taz hat natürlich ein unabhängiges Foto gewählt. Das würde sie auch bei dem grünen Kinderschänder Behn-Condit(http://www.youtube.com/watch?v=RHy5o-xky6U) tun. Man sitzt ja im gleichen Boot. Wenn solche Leute "die Guten" sind, dann ist es eine Ehre zu "den Bösen" zu gehören. Hätten die Grünen 2/3 Mehrheit im Land, dann kann man sich vorstellen wie die Verfassung aussehen würde. Nur haben sie die nicht. jetzt fürchtet man ein Gegenmodel zu Multikulti und linkem Einheitsbrei. Die Ungarn sollen büßen wie es früher die Österreicher mussten. Wer "falsch" denkt wird bestraft wie Sarrazin, wer "falsch" wählt wird bestraft wie die Ungarn. Nicht mehr lange, denn bei der ersten Möglichkeit für Volksentscheide wird ein grüner Ideologiebaustein nach dem anderen weggefegt.

  • N
    noevil

    Ich denke, es wird allerhöchste Zeit, sich in der EU Gedanken über Ausschlusskriterien und -verfahren zu machen.