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Streit um afghanisches US-MilitärgefängnisKarsai will Kontrolle über Knast

Präsident Karsai zettelt überraschend einen Streit mit den USA an. Die Vorwürfe: "Vergehen gegen Verfassung und Menschenrechte" im neuen Gefängnis von Bagram.

Einmal und nie wieder durfte die Presse Bagram besichtigen. Das war vor der Eröffnung 2009. Bild: reuters

BERLIN taz | Der afghanische Präsident Hamid Karsai hat die USA mit der Forderung überrascht, das vom US-Militär an seinem größten afghanischen Stützpunkt Bagram betriebene Gefängnis innerhalb eines Monats an die Regierung in Kabul zu übergeben.

Als Begründung sagte Karsai am Donnerstag, der Bericht einer von ihm eingesetzten Kommission nenne "Details vieler Fälle von Verstößen gegen die afghanische Verfassung und andere Gesetze des Landes, der relevanten internationalen Konventionen und Menschenrechte".

Einzelheiten nannte der Präsident nicht. Die Gefangenen sollten afghanischer Kontrolle unterstellt werden, "um weitere Verletzungen der afghanischen Souveränität zu vermeiden", so Karsai. Ob Afghanistan überhaupt zu einem sicheren Betrieb des Gefängnisses in der Lage ist blieb offen.

Die US-Botschaft in Kabul kannte laut US-Medienberichten bis dahin den von Karsai zitierten Bericht überhaupt nicht und war auch vorher dazu nicht kontaktiert worden. Die Regierungen in Washington und Kabul hatten sich eigentlich im Grundsatz längst auf die Übergabe aller vom US-Militär im Afghanistan betriebenen Gefängnisse geeinigt.

Bis zu 3.000 Gefangene in Bagram

Das galt auch für das Gefängnis Bagram, das Ende 2001 60 Kilometer nördlich von Kabul eingerichtet wurde und bis heute für keine unabhängigen Beobachterzugänglich ist außer vom Internationalen Roten Kreuz (IKRK).

Auch die Kommissionsmitglieder dürften keinen Zugang erhalten haben. Die Zahl der Gefangenen in Bagram wird auf 2.000 bis 3.000 geschätzt, ausschließlich Männer, bewacht und betreut von 1.200 US-Soldaten.

Im November 2009 wurde das Gefängnis mit der Inbetriebnahme eines 60 Millionen US-Dollar teuren modernen Neubaus in "Gefangeneneinrichtung in Parwan" nach der gleichnamigen Provinz umbenannt. Dann sollte es eigentlich in 2012 übergeben werden.

Doch weil die Ausbildung von afghanischem Personal nicht nachkommt, in afghanischen Gefängnissen gefoltert wird und sich wohl auch beide Seiten immer mehr misstrauen, wurde der Termin auf unbestimmte Zeit verschoben.

Das Militär konzentriert die wichtigsten Gefangenen in Bagram

Im vergangenen Sommer stoppten die USA auch die Übergabe Gefangener an afghanische Stellen, nachdem die UN mehrere Fälle der Folter von Gefangenen in afghanischem Gewahrsam nachwiesen.

Seitdem konzentriert das US-Militär seine wichtigsten Gefangenen aus Afghanistan in Bagram. Und wahrscheinlich betreiben US-Spezialkräfte oder Militärgeheimdienste auf dem gleichnamigen angrenzenden US-Stützpunkt noch ein als Verhörzentrum bezeichnetes "schwarzes Gefängnis". Zu dem haben, anders als zum offiziellen Gefängnis, Vertreter des IKRK keinen Zugang.

Auffällig an Karsais Forderung ist der Zeitpunkt. Gerade erst hatte er widerstrebend einer Einigung zwischen den USA und den Taliban über ein Verbindungsbüro der Aufständischen im Golfemirat Katar zugestimmt.

Kurz vorher hatte er noch wütend den afghanischen Botschafter aus der katarischen Hauptstadt Doha zurückgerufen, weil er seine Regierung in den Geheimverhandlungen nicht genügend berücksichtigt sah.

Affront der Taliban gegenüber Karsai

Am Dienstag bestätigten die Taliban dann erstmals die Verhandlungen mit den USA - und erwähnten in ihrem Statement die afghanische Regierung mit keinem Wort.

Karsais Vorstoß, plötzlich beim Gefängnis Bagram auf Herstellung der afghanischen Souveränität zu bestehen, ist offenbar ein Versuch, den Ruf seiner Regierung in Souveränitätsfragen aufzupolieren und auf bekannte frühere und mutmaßliche heutige Rechtsverstöße der USA hinzuweisen.

Karsai ist noch in einem anderen Punkt unter Druck. Zurzeit verhandeln Kabul und Washington über ein umstrittenes strategisches Partnerschaftsabkommen, das die Rolle des US-Militärs in Afghanistan nach 2014 und damit nach dem geplanten Abzug der meisten US-Truppen regeln soll. Streitpunkte sind die Kontrolle über Gefangene und ein von Kabul gewünschtes Verbot nächtlicher Razzien.

Der Stützpunkt Bagram am nordöstlichen Rand der Schomali-Ebene war einst die Drehscheibe des sowjetischen Militärs in Afghanistan gewesen und ist es seit 2001 für die USA. Ursprünglich war das Gefängnis in einem Hangar eingerichtet gewesen. 2002 waren hier zwei Gefangene zu Tode gefoltert worden.

Menschenrechtler haben zahlreiche Misshandlungen Freigelassener dokumentiert

Menschenrechtsorganisationen, die zahlreiche Mißhandlungen von Gefangenen nach deren Freilassung dokumentiert haben, vermuten weitere Fälle von Totschlag. Bagram diente den USA auch als Drehscheibe für Gefangenentransporte nach Guantánamo wie umgekehrt auch bis mindestens 2010 aus dem Ausland Gefangene eingeflogen wurden, um sie zu verhören.

Heute überprüfen Militärkommissionen alle sechs Monate den Status der Gefangenen, doch bleiben diesen anders als Gefangenen in Guantánamo jegliche Kontakte zu ihren Anwälten wie Klagemöglichkeiten vor US-Gerichten verwehrt. Menschenrechtler, für die Bagram "ein schwarzes Loch" ist, werten die Zustände dort deshalb als schlimmer als in Guantánamo.

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6 Kommentare

 / 
  • M
    mdarge

    Karsai muss die Kontrolle über das Gefängnis von Bagram bekommen. Denn offiziell wollen sich die Amerikaner 2014 zurückziehen. Das muss vorbereitet werden. Die Friedensverhandlungen verlaufen schleppend weil die Karsai-Regierung als unselbständige Marionettenregierung nicht ernst genommen wird. Es ist nicht die erste Forderung, die ihm verweigert wird. Zudem fördert das Untergraben seiner Autorität die Korruption. Ein Verwaltung, die nichts zu tun hat, muss sich eben anders bei Laune halten. Doch Korruption scheint von den Alliierten gewollt zu sein. Denn 2009 hätte man mit Abdullah Abdullah einen anderen an die Macht bringen können. Mit Karsai in der Opposition hätte es fast so etwas wie Demokratie gegeben. Stattdessen gibt es Berichte mit dem Vorwurf der Leichenschändung. Diese passen nahtlos in das Bild, das sich aus anderen Meldungen ergibt. Auch das Verbot nächtlicher Razzien ist keine übertriebene Forderung von Kabul, sondern eine Selbstverständlichkeit. Die Amerikaner beharren darauf, dass dieses taktische Vorgehen effizient sei. Das betrifft jedoch nur die Ergreifung von Verdächtigen. Wichtiger wäre es, den Rückhalt der Bevölkerung zu bekommen. In Deutschland oder den USA hätte keiner Verständnis für diese nächtlichen Überfälle. Sie werden weltweit als feindlicher Akt empfunden. Doch in den islamischen Ländern gilt die Verletzung der Wohnung als besonders schlimm. Da der Plan, die Taliban endgültig zu besiegen bereits aufgegeben wurde, kommt es nicht mehr darauf an, dem letzten Terroristen habhaft zu werden. Große Teile der Bevölkerung sind kriegsmüde. Wenn man den einen oder anderen laufen ließe, würde sich die Lage nach und nach beruhigen. Sicher foltern die Afghanen. Doch US-Spezialisten sind darin Meister.

  • TR
    Thomas Ruttig

    nur, um ein paar fakten klarzustellen:

    karzai hat keine "britische eliteausbildung". sein politik-studium hat er in simla (indien) absolviert, wohl von 1978 bis 1983. in den usa hat er vor dem taleban-sturz auch nicht gelebt, jedenfalls nicht ständig, sondern in quetta (pakistan), wie viele anti-taleban-kräfte. (anfangs haben sein später von den taleban ermordeterr vater und er allerdings versucht, mit den taleban zusammenzuarbeiten, wurden aber abgewiesen. karzai selbst sagt, er habe die beziehungen abgebrochen, als er merkte, wie stark pakistans einfluss bei den taleban war.) in den usa lebte einer seiner brüder und betrieb dort ein afghanisches restaurant; den hat er natürlich auch besucht. aber ständig gelebt: nein.

  • JO
    Jürgen Orlok

    "... für die Bagram "ein schwarzes Loch" ist, werten die Zustände dort deshalb als schlimmer als in Guantánamo."

    Gleichzeitig schreibt der Herr Hansen:

    "Menschenrechtsorganisationen, die zahlreiche Mißhandlungen von Gefangenen nach deren Freilassung dokumentiert haben, vermuten weitere Fälle von Totschlag. ...bewacht und betreut von 1.200 US-Soldaten. "

    Ist das nur schiere Schizophrenie oder das schlichte Unvermögen, sauber den aktuellen Lügenjurnalismus abzuliefern ...

  • H
    haleyberry

    Karsai möchte vielleicht auch Gefangener

    habhaft werden, die in einen Gerichtsverfahren

    als Zeugen gegen Karsai und

    seine Klüngelschar aussagen könnten.

     

    Der Mann hatte Massenmörder und Drogenbosse

    in seinem engsten Vertrautenkreis.

    Die massenhaften Geldüberweisungen der USA

    und der anderen suprastaatlichen Organisationen

    in das "staatliche" Korruptionsbankensystem

    Afghanistans werden dem afghanischen Volk

    vorenthalten und dienen der Clanpolitik

    und der Selbstbereicherung.

     

    Dieser Mann ist ein schwerstkrimineller Verbrecher

    mit britischer Eliteausbildung.

    Es ist ein Witz zu glauben, dass er alternativlos

    wäre.

    Fast immer wenn die USA irgendwelche Despoten

    installieren, sind es die größten Mißgriffe.

    Diesen Mißgriff zu beschützen, war einer der größten

    Fehler der USA. Jede Soldat, der für ihn starb,

    war ein vollkommen sinnloser Verlust!!!!!

    Mindestens zweimal so wichtig, wie der billionenteure Afghanistankrieg, ist die Auswahl

    kompetenter und zahlreicher loyaler, demokratischer,

    mit gesunden Menschenverstand ausgestatteter,

    sozial akzeptierter Politiker.

    Auf dem Gebiet der kompetenten Politikerauswahl

    und Implementierung demokratischer Grundprinzipien

    in Failed States stellen sich die heutigen Amerikaner

    besonders untalentiert an.

    Man fragt sich schon, ob das Vorsatz oder

    Unfähigkeit ist.

    Es war ein großer Fehler neben Karsai nicht

    auch afghanische Spitzenleute durch ausreichende

    Bildung heranzuziehen, anstatt auf alte Dynastiestrukturen zurückzugreifen, die ja mit

    Ursache des gesamtafghanischen Problems sind.

     

    In den vergangen 10 Jahren hätte da einiges zumindest in der Schulung von Lokalpolitikern

    gemacht sein können! Die Euphorie der Afghanen

    beim Einmarsch in Afghanistan hätte weitaus

    effizienter genutzt werden MÜSSEN!

     

    Karsai muss unbedingt offenlegen, wohin genau die

    Hilfsgelder geflossen sind!!!!!!!!!

    Die amerikansichen Hilfsgelderverantwortlichen

    müssen ebenfalls zur Rechenschaft gezogen werden,

    um den Mißbrauch von staatlichem Vermögen endlich

    auch schwer zu ahnden und den Glauben

    an funktionierende westliche Volkswirtschaften

    (siehe Bonität) wiederherzustellen!!!!!

  • GE
    gelbes Elend

    Na, da hat sich der Bock selbst zum Gärtner gemacht. Die US- Gefängnisbetreiber haben Angst, daß der ganze Horror in Bagram ans Licht gerät.

     

    Was gibt es noch Gutes über USA zu sagen, als goßartige Musik.

  • W
    Webmarxist

    Die USA haben selbst Schuld. Karsai hat vor dem Talibansturz in den USA gelebt und will jetzt seinen Landsleuten zeigen dass er keine Marionette der USA ist, sondern eigenständig.