Streit um "Stuttgart 21": Vom Volkszorn zur Volksabstimmung
Laut Landesverfassung möglich, ohne Mitwirkung der CDU jedoch kaum durchsetzbar: Die Gegner von "Stuttgart 21" wollen einen Volksentscheid - noch vor der Landtagswahl 2011.
"Das Volk soll über ,Stuttgart 21' abstimmen" - diese Forderung eint die Gegner des neuen Bahnhofs mit der SPD, die bisher noch an dem umstrittenen Projekt festhält. Gegen ein Referendum sind aber CDU und FDP.
Anders als das Grundgesetz sieht die Landesverfassung Baden-Württemberg die Möglichkeit zu Volksbegehren und Volksentscheiden vor. Allerdings sind die Hürden so hoch wie sonst nirgends. Um überhaupt eine Abstimmung über "Stuttgart 21" zu erreichen, müsste ein Sechstel der Wahlberechtigten, also 1,28 Millionen Menschen, binnen zwei Wochen auf ihren Rathäusern den Antrag unterschreiben. Diese Hürde ist so hoch, dass es in Baden-Württemberg noch nie einen landesweiten Volksentscheid gab.
Die SPD hat nun einen Passus in der Verfassung entdeckt, der eine Volksabstimmung auch ohne Volksbegehren erlaubt (Artikel 60 Absatz 3). Dabei kann das Volk über einen Gesetzentwurf der Regierung abstimmen, der vom Landtag abgelehnt wurde. Problem dabei: Der Dissens zwischen Regierung und Landtag müsste fingiert werden, das Ganze wäre also extrem unelegant.
Konkret stellen sich die Sozialdemokraten das Verfahren folgendermaßen vor: Die schwarz-gelbe Landesregierung bringt (entgegen ihrer Überzeugung) einen Gesetzentwurf zum Ausstieg aus "Stuttgart 21" in den Landtag ein. Dieser würde mit den Stimmen von CDU, FDP und SPD abgelehnt, weil diese Fraktionen für das Bahnhofsprojekt sind. Dann würden die SPD und die Grüne zusammen einen Volksentscheid beantragten, der dann durchgeführt werden müsste.
Justizminister Ulrich Goll (FDP) hat schon erklärt, dass er das Spiel nicht mitspielen wird. Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) war vorsichtiger und ordnete erst mal eine rechtliche Prüfung der Zulässigkeit an. Gutachter sind der ehemalige Verfassungsrichter Paul Kirchhof und der Rechtsanwalt Peter Dolde. Das Ergebnis der Prüfung wird Mappus vermutlich am Donnerstag im Landtag bekanntgeben.
Dass das Gutachten negativ ausgeht, gilt als sicher, denn Dolde hat für die Landesregierung schon öfter derartige Gutachten verfasst. Der Verein Mehr Demokratie e. V. bezeichnete Dolde als "Auftragskiller für Bürgerbegehren".
Ebenfalls am Donnerstag wird im Landtag über einen gemeinsamen Gesetzentwurf von SPD und Grünen debattiert, der Volksabstimmungen in Baden-Württemberg generell erleichtern will. Statt 16,6 Prozent der Wahlberechtigten, sollen 5 Prozent (375.000 Personen) für den Antrag auf eine Abstimmung genügen. Für die Unterschriftensammlung sollen statt zwei Wochen künftig sechs Monate Zeit sein. Dabei soll auch die Straßensammlung möglich sein. Da für eine Verfassungsänderung jedoch eine Zweidrittelmehrheit erforderlich ist, ist auch dieser Weg derzeit unrealistisch, jedenfalls solange die CDU nicht mitmacht.
Bleibt also das Warten auf die Landtagswahl. Dann könnte eine mögliche rot-grüne Mehrheit einen Volksentscheid herbeiführen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die Wahl bereits zur Bürgerbefragung über die Zukunft von "Stuttgart 21" erklärt. Allerdings dürfte "Stuttgart 21" im März faktisch und rechtlich so weit fortgeschritten sein, dass es kaum noch mit vertretbarem finanziellen Aufwand umzukehren ist.
Ein weiteres Problem stellt bei allen Vorschlägen für einen Volksentscheid auch der Inhalt eines möglichen Ausstiegsgesetzes dar. Ob das Land per Gesetz zum Kündigen von Verträgen verpflichtet werden kann, ist umstritten. Im Kleinen hat sich eine ähnliche Frage bereits auf kommunaler Ebene gestellt. 67.000 Stuttgarter wollten per Bürgerentscheid erreichen, dass Stuttgart aus dem Bahnhofsprojekt aussteigt.
Die Stadtverwaltung hielt den Bürgerentscheid jedoch für unzulässig. Das Verwaltungsgericht Stuttgart bestätigte dies im Juli 2009. Ein Bürgerbegehren, das auf die Kündigung von Verträgen zielt, widerspreche der Rechtsordnung, so die Richter. Auf Landesebene mag das aber anders aussehen, weil per Volksentscheid ja ein Gesetz beschlossen würde, dass dann selbst Teil der Rechtsordnung wäre.
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