Streit um Steuer auf Finanzgeschäfte: Der Standort entscheidet
Kritiker befürchten, eine Steuer auf Finanzgeschäfte schade der Wirtschaft. Doch das Modell der EU beugt einer Verlagerung von Geschäften vor.
BERLIN taz | Lange war die Einführung einer Finanztransaktionssteuer lediglich eine Forderung des globalisierungskritischen Netzwerks Attac. Doch seit der Finanzkrise steht das Thema auch bei europäischen Regierungsgipfeln ganz oben auf der Agenda.
Die EU-Kommission ist bislang am weitesten vorgeprescht. Sie hat im Herbst einen Vorschlag vorgelegt, der die Einführung einer Steuer auf sämtliche Geschäfte mit Aktien, Anleihen und Derivaten ab 2014 vorsieht. Besteuern will die Kommission jede Finanztransaktion, an der ein Marktteilnehmer aus der EU beteiligt ist.
Das heißt: Eine Bank mit Sitz in Deutschland oder Frankreich müsste diese Abgabe auch dann entrichten, wenn sie ihre Geschäfte an der Wall Street oder in Hongkong tätigt. Ein Ausweichen auf andere Handelsplätze, vor dem vor allem die FDP warnt, würde durch dieses "Standortprinzip" erheblich erschwert.
Der von der EU-Kommission vorgesehene Steuersatz soll beim Handel mit Aktien und Anleihen bei 0,1 Prozent liegen, beim Derivatehandel sind 0,01 Prozent geplant. Sie hofft nicht nur auf Einnahmen von 55 Milliarden Euro im Jahr, sondern auch, dass die Spekulationsgeschäfte eingedämmt werden, die vor allem durch den computergesteuerten Hochfrequenzhandel aberwitzige Dimensionen angenommen hat.
Großbritannien besteuert bereits Aktiendeals
Ausgenommen sind etliche Versicherungen, Hypotheken und Kredite, sodass viele Geschäfte von Privatpersonen gar nicht betroffen sind. Damit die Kapitalbeschaffung von Regierungen nicht erschwert wird, soll auch die Ausgabe von Staatsanleihen befreit bleiben.
Kritik einer solchen Steuer kommt wie erwartet vom Bankensektor. Die Interessenvertretung der deutschen Kreditwirtschaft wettert, die Steuer sei ein Minusgeschäft und würde einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts von 1,76 Prozent auslösen. Mit Steuereinbußen von 80 Milliarden Euro sei zu rechnen.
Die Sorge der FDP, dass die Finanzindustrie nach London abwandert, weist Attac zurück: Mit der sogenannten Stamp-Tax hätten die Briten eine Börsenumsatzsteuer, die Geschäfte mit britischen Aktien bereits besteuert. Diese Steuer gelte bislang bloß eben nicht auf sämtliche Finanzgeschäfte. Und die Briten sind nicht allein: Die Schweiz, Belgien, Griechenland, selbst Brasilien und China erheben ebenfalls Umsatzabgaben bei Wertpapiergeschäften zwischen 0,15 und 2 Prozent.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
FDP-Krise nach „Dday“-Papier
Ex-Justizminister Buschmann wird neuer FDP-Generalsekretär
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“