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Streit um Nordhorn RangeRestrisiko aus der Luft

Nur acht Kilometer entfernt vom AKW Emsland liegt ein Übungsplatz der Luftwaffe, auf dem täglich Tiefflieger landen. Nach Jahrzehnten des Protests hoffen die Gegner auf einen Fukushima-Effekt.

Bombenabwurfplatz in AKW-Nähe: Das Gelände Nordhorn Range hinter einem Warnschild. Bild: dpa

NORDHORN taz | 30 Sekunden. Länger braucht ein Flugzeug nicht, um die Strecke vom Luft-Boden-Schießplatz Nordhorn Range zum Atomkraftwerk Emsland zurückzulegen. Der Flugplatz gehört der deutschen Luftwaffe, die dort eingesetzten Maschinen sind bewaffnete Militärflugzeuge. Acht Kilometer entfernt liegt, unweit der Stadt Lingen, das AKW Emsland. Es gehört zu den neueren deutschen Anlagen, nahm 1988 den Betrieb auf und wird bis mindestens 2020 am Netz bleiben.

Etwa 1.900 Überflüge pro Jahr gibt es auf Nordhorn Range - das Risiko eines Absturzes in Nähe des Atomkraftwerkes ist offensichtlich, die Folgen eines solchen Vorfalls sind kaum abzuschätzen. Noch 2003 kam eine Untersuchung der Internationalen Länderkommission Kerntechnik aus dem Jahr zuvor zu einem brisanten Ergebnis - kein einziges der deutschen Atomkraftwerke ist demnach ausreichend vor einem Flugzeugaufprall geschützt, als dass eine atomare Katastrophe ausgeschlossen werden könnte.

Die Gefahr besteht damit seit über 30 Jahren, den Protest gegen Nordhorn Range gibt es sogar noch länger: Die Notgemeinschaft Nordhorn Range fordert seit ihrer Gründung 1971 eine Schließung des Flugplatzes. Sie hält damit den fragwürdigen Rekord, die älteste Bürgerinitiative hierzulande zu sein. Geschäftsführer Wolfgang Egberdt ist seit 20 Jahren am Protest beteiligt. "Die Menschen hier nehmen die Gefahr wahr, sind aber schon lange verbittert", sagt Egberdt.

Nordhorn-Range

Der Flugplatz hat eine Größe von 2.193 Hektar und ist damit das größte deutsche Übungsgelände der Luftwaffe.

Militärisch genutzt wird das Gelände seit 1927 - nach Ende des Zweiten Weltkrieges ausschließlich von der britischen Royal Air Force. Seit dem Jahr 2001 gehört das Gelände wieder der Bundeswehr.

Aus Protest besetzten Anwohner am 8. Juli 1971 die Nordhorn-Range. Das führte zur Gründung der Notgemeinschaft. GOB

"Verarscht" fühle er sich von den Volksvertretern in Norhorn: "Die Range wird immer wieder als Wahlkampfmittel genutzt, dann auch wegen der Lärmbelästigung durch die Flugzeuge ist hier praktisch jeder gegen den Flugplatz - und das in einer Gegend, in der die Menschen eigentlich nicht sonderlich aufsässig sind. Passiert ist trotzdem noch nicht viel."

Auf eine Petition zur Schließung des Übungsplatzes hin kam im März 2010 ein Petitionsausschuss des Bundestages vorbei, um sich ein Bild von der Situation vor Ort zu machen. Die Entscheidung wurde dann immer wieder vertagt - zuletzt auf den 6. April dieses Jahres. Deshalb ruft die Notgemeinschaft wieder zur alljährlichen Demonstration vor dem Rathaus Nordhorn auf, am 16. April. "In den letzten Jahren nahmen nicht viele Teil", so Egberdt. Für dieses Jahr sei er optimistischer.

Vor dem Hintergrund der Katastrophe in Fukushima und den Auswirkungen auf die deutsche Energiepolitik scheint sich Einiges zu bewegen: Nordhorns Bürgermeister Meinhard Hüseman (SPD) forderte Bundeskanzlerin Merkel vergangene Woche per Brief dazu auf, den Übungsbetrieb auf Nordhorn Range "sofort und endgültig" einstellen zu lassen. Auch aus den Reihen der CDU werden kritische Stimmen lauter: Landrat Friedrich Kethorn forderte Ende März in einem Brief an den Petitionsausschuss ebenfalls eine Schließung des Flugplatzes.

"Das Atomkraftwerk Emsland ist eines der jüngsten Kraftwerke Deutschlands, so dass es unsinnig wäre, es jetzt vom Netz zu nehmen", sagt Kethorn. "Aber andere Risikofaktoren wie der Flugbetrieb auf Nordhorn Range müssen daher umso dringender ausgeschaltet werden." Der Landrat, der sich angesichts der Diskussion um die Energiefrage innerhalb seiner Partei jetzt Erfolg von der Petition verspricht, will auch an der Demonstration am 16. April teilnehmen.

Dort wird er nicht allein sein. Christel Steckel wohnt in Hesepe - dem Gebiet, das dem AKW am nächsten ist. Den Wasserdampf des Kraftwerks, sagt sie, kann sie jeden Tag aufsteigen sehen. Zur Demo wolle sie "auf jeden Fall gehen", sagt die Anwohnerin. Sie habe das Gefühl, dass die Menschen wegen Fukushima wieder für das Thema Nordhorn Range sensibilisiert sind. "Man muss sich mal klar machen", sagt Steckel, "dass im Umkreis von 50 Kilometern um das AKW eine Millionen Menschen wohnen." In einem Leserbrief an die Grafschafter Nachrichten stellte sie in diesem Zusammenhang die entscheidende Frage: "Nordhorn, hast du deinen Notfallplan schon fertig?"

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5 Kommentare

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  • LP
    Leter Pustig

    Anfang der neunziger Jahre besuchte der damalige Ministerpräsident Gerhard Schröder eine Demo in Nordhorn gegen die Range.

    ICh kann mich seeeeehr gut an seine Worte erinnern (jedoch frei zitiert):

    "Wenn ich einmal Kanzler sein werde, werde ich dafür sorgen das die Range abgeschafft wird."

    Leider konnte sich der spätere Kanzler Schröder nicht mehr an seine Worte erinnern.

    Wer keine räumliche Vorstellung über die kurze Distanz hat, möge doch mal bei Google-Maps schauen.

    ICh selbst kann mich an meine Schulzeit im Schulzentrum Deegfeld erinnern, teilweise war kein Unterricht möglich, weil die Maschinen über unsere Köpfe hinwegflogen und einen gewaltigen Krach machten. Die Kampfjets benutzten unser Schulzentrum als Wendepunkt. Der andere Wendepunkt dürfte das AKW Lingen gewesen sein.

  • DK
    Don Klaus

    Ist ja total klasse das die jetzt endlich auch auf der Range landen! Da mach ich Fotos. Echt super wie die Entwicklung weitergeht. Ich wusste gar nicht, das empfindliche Hochtechnologie jetzt in staubigen, unbefestigten Heidelandschaften landen kann. Da hat die Geheimhaltung funktioniert! Ich denke man sollte - der Vollständigkeit halber - die Bezeichnung nun zu "Nordhorn Range-Airport" erweitern.

     

    Chapeau! Gut recherchierter Artikel Herr Barnard.

  • A
    Altbrecht

    Die Brandenburger sind ihr Bombodrom losgeworden, weil die Stimmung in der Bevölkerung, in der SPD und der SPD-geführten Landesregierung absolut dagegen war.

    Die Landesregierung wäre nicht wiedergewählt worden, wenn sie sich für das Bombodrom eingesetzt hätte.

     

    In Nordhorn müsste man der Landesregierung klarmachen, dass man sie erstens nicht wegen des AKWs und zweitens nicht wegen des Bombodroms wiederwählt.

     

    So wie in Gorleben nicht wegen der Hochrisiko-Container und so weiter.

     

    Entweder ist man eine militaristische CDU-Atom-Landesregierung nach unbelehrbarer Gutsherrenart oder man wird wiedergewählt und vertritt alle Bürger. So klar kann Klossbrühe sein.

  • A
    atomfreund

    Falsch. Das Pferd wird von hinten aufgezäumt. Das (Jedes) Atomkraftwerk hat keine Existenzberechtigung, weil - letztlich bei allen ( nicht- ) denkbaren Zwischenfällen - unbeherrschbar. Dicht machen. Sofort.

    Ansonsten: Bürger verlangen zu Recht eine einsatzbereite, professionelle Bundeswehr, und damit auch eine dementsprechende Luftwaffe. Übung ist unerlässlich, damit Einsatzziele erreicht- und sogenannte „Kollateralschäden“ vermieden werden können.

    Das „Sankt Florians - Prinzip ist egoistisch.

  • S
    Schiaparelli

    Es war in der Amtszeit von Lügen-, äh, Verteidigungsminister Manfred "Tommy" Wörner, als ich am Elbstrand unweit des AKWs Stade ("Schrottreaktor") lag und beobachten konnte, wie die Tiefflieger ihre besonders schnittigen Flugkurven über dem Meiler absolvierten: Da log der Ministerdarsteller dreist in die Kamera, dass es sowas nicht gibt, weils ja verboten und gefährlich ist. Der Monitorbericht der dies aufdeckte und filmisch festhielt verhallte also ungehört und reaktionslos. Seitdem hat sich nichts geändert, außer dass wohl ein paar Nebelwerfer installiert wurden wege dr Islamischde. Die können zwar mit einem Satellitentelefon den Weltfrieden bedrohen, sind aber - Gott sei's gedankt- zu doof für GPS und Höhenmesser(!?!)

    Die Anwohner von Nordhorn Range sollten ihre Hoffnungen besser abschreiben. Luftwaffe und Kernkraft - gleich zwei Bundesfetische auf einmal beseitigen?