Streit um Migrantenqoute: Sarrazin demütigt die SPD
Erneute Schmach für die SPD: Thilo Sarrazin ätzt gegen die geplante Mindestquote für Migranten in der Partei. Für Bayerns SPD-Chef ist Sarrazin nur noch "schizophren".
BERLIN taz | Führende Sozialdemokraten äußern sich nach einer erneuten Polemik von Thilo Sarrazin ungewöhnlich scharf über den umstrittenen Autor. Bayerns SPD-Chef Florian Pronold bezeichnete Sarrazin gegenüber der taz am Mittwoch als "schizophren". Wer sich in einer Erklärung von seinem bisherigen Verhalten erst distanziere, um bei der nächstbesten Gelegenheit Menschen erneut zu beleidigen und zu diskriminieren, "ist nicht mehr ganz dicht. Damit hat er endgültig belegt, dass man ihn nicht mehr ernst nehmen kann", sagte Pronold.
Bei seinem ersten öffentlichen Auftritt nach dem Ende des Ausschlussverfahrens hatte Sarrazin am Dienstagabend seine Partei gedemütigt. Bei einer Lesung aus seinem umstrittenen Buch im nordrhein-westfälischen Waltrop betonte er, dass er in seiner Erklärung vor der SPD-Spitze kein Wort von den Aussagen seines Buches zurückgenommen habe.
Als wäre das nicht Schmach genug, kritisierte er die Migrantenquote, die die SPD-Spitze angekündigt hat: "Der Verstand kommt und geht ja nicht damit, dass man Migrant ist." Und ätzte im Anschluss erneut in diffamierender Weise über Menschen mit Migrationshintergrund: "Je migrantischer diese Leute eingestellt sind, desto weniger neigen sie dazu, Probleme oder Schwierigkeiten objektiv zu sehen."
Idee: Künftig sollen 15 Prozent der Posten in Spitzengremien der Partei von Migranten besetzt werden. So wollen es Parteichef Sigmar Gabriel und Generalsekretärin Andrea Nahles dem Bundesvorstand vorschlagen. Bisher gibt es in diesem 45-köpfigen Gremium kein Mitglied mit Migrationshintergrund.
Kritik: Nils Schmid, SPD-Chef in Baden-Württemberg, äußerte sich zurückhaltend. "Ich bin skeptisch angesichts der Quote", sagte er. Man müsse aufpassen, "dass man nicht die ganze Partei durchquotiert". Er unterstütze aber das Vorhaben, Migranten in der Parteispitze sichtbarer zu machen. "Nur ob die Quote da der richtige Weg ist, bezweifle ich."
"Das zeigt, dass Sarrazin nur das juristisch Notwendige getan hat, um dem Ausschluss zu entgehen", sagte Nils Schmidt, SPD-Chef in Baden-Württemberg. "Thilo Sarrazin ist der Letzte, von dem wir uns in Sachen Integrationspolitik Ratschläge geben lassen", kommentierte Schleswig-Holsteins SPD-Chef Ralf Stegner den Auftritt Sarrazins gegenüber der taz. Er forderte ihn auf, die Partei freiwillig zu verlassen.
"Sarrazin möchte nur sein strohdummes Buch verkaufen"
Auch Juso-Chef Sascha Vogt will sich am liebsten gar nicht mehr mit dem Thema Sarrazin beschäftigen. "Mich interessiert nicht, was ein frustrierter Ex-Bundesbanker sagt, der nur sein strohdummes Buch verkaufen möchte", sagte er der taz.
SPD-Parteichef Sigmar Gabriel hatte am Montag gesagt, es bleibe abzuwarten, ob sich Sarrazin an seine schriftliche Erklärung hält. "Ob diese Brücke trägt, wird die Zeit zeigen", betonte er skeptisch. Jetzt scheint die Brücke bereits eingebrochen. Nachdem das zweite Ausschlussverfahren gegen Sarrazin gescheitert war, fühlt er sich jetzt sicher. Er kann weiter auf dem SPD-Ticket durch die Republik tingeln und seine kruden Thesen verbreiten. Die SPD muss tatenlos zusehen. Eine neue Debatte um den Nicht-Rauswurf will sie vermeiden. Die neue Strategie lautet: Ignorieren - und beleidigen.
Unter SPD-Anhängern ist die Sympathie für Sarrazins Thesen weiter verbreitet, als es der Parteispitze lieb ist. 49 Prozent der SPD-Wähler finden es richtig, dass Sarrazin in der Partei bleibt, wie eine aktuelle Forsa-Umfrage für den Stern ergab.
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