Streit um Klassikfestival in Ostfriesland: Vernichtungssonaten
Eine Musikerfamilie investiert jahrelang in einen Klassiksommer. Es kommt zum Streit mit den staatlichen Förderern – und zum Gerichtsprozess.
AURICH/HAMBURG taz | Kennen Sie den? Treffen sich zwei Ostfriesen zum Geigespielen. Sagt der Eine: „Morgen spiele ich alleine. Dann hört das Publikum nur noch mir zu.“ Doch als er am nächsten Tag die Bühne betritt, steht der andere Ostfriese schon längst dort und spielt selbst. Also beginnt auch er zu fiedeln, so laut er kann – bis niemand mehr die Melodie des anderen versteht.
Die Pointe fehlt? Wolfram König trägt seinen Geigenkasten in den Gerichtssaal. Wie dieser Witz ausgeht, entscheiden die Richter.
Vor 30 Jahren gründete Wolfram König ein Kammermusikfestival und nannte es „Musikalischer Sommer in Ostfriesland“, so fing es an. Mehr als 100 Musiker spielten Jahr für Jahr in jenen beschaulichen Nordseeküstenstädtchen, die Emden heißen oder Aurich. Konzerte in Parks, Burgen und Kirchen. Das Festival wuchs, auf 10.000 Zuhörer, Sommer für Sommer. Bis vor drei Jahren. Bis zur „feindlichen Übernahme“, wie König sie nennt, obwohl man es auch eine „freundliche Übernahme“ nennen könnte – von langjährigen Unterstützern.
In den neunziger Jahren hatte König den Staat gebeten, ihm zu helfen. Die Behörde, deren Aufgabe es ist, Kultur an der Küste zu fördern, ist die Ostfriesische Landschaft – ein höherer Kommunalverband aus den Landkreisen Aurich, Leer und Wittmund sowie der Stadt Emden. In ihrem roten Haus, unter spitzen Giebeldächern, saß König mit den Herren der Landschaft zusammen und sie tranken Tee mit einem Schuss Sahne.
Fortan wollten sie die Aufgaben teilen: König kümmert sich um die Geiger und Pianisten, die Behörde um das Geld von Sponsoren und Spendern. Sie gaben sich die Hand darauf, so wie sie es hier immer tun.
Kosten von 1,1 Millionen Euro
Die Jahre vergingen und bald kümmerten sich mehrere Mitarbeiter fast ausschließlich um das wachsende Event: Dirk Lübben und seine Lebensgefährtin, zum Beispiel. Man kennt sich ja in Ostfriesland.
Doch als Lübben im März 2011 dem Kulturausschuss der Ostfriesischen Landschaft vom Musikalischen Sommer berichtet, kommt es zum Streit. Das Festival sei zu teuer: Mehr als 1,1 Millionen Euro habe es in den vergangenen Jahren gekostet, kritisiert ein Landschaftsrat, und damit seien die Mitarbeiter noch nicht entlohnt gewesen. Lübben wehrt sich. Er und der Rat vertreten „unterschiedliche Auffassungen über die finanzielle und personelle Ausstattung des Festivals“, steht anschließend im Protokoll.
Wolfram König wundert sich darüber. Die Gagen für die Kammermusiker seien doch gar nicht so hoch. Er lässt sich die Abrechnung des vergangenen Jahres zeigen und wundert sich noch mehr.
Wohin floss das Geld?
Er beginnt nach Ungereimtheiten zu suchen. Ein Zahlungseingang vom Fernsehsender NDR fällt ihm auf: 17.500 Euro hat die Ostfriesische Landschaft als Spende verzeichnet, doch im Geschäftsbericht, den er auf der Internetseite des Medienhauses findet, steht ein anderer Betrag: 25.000 Euro. Wohin ist die Differenz geflossen? Bedient sich die Behörde am Spendentopf seines Festivals? König will mehr Bilanzen sehen – „aber es gab keine Reaktion“, sagt er. Vertraglich sei König nämlich, so Vertreter der Landschaft, „einzig für die künstlerische Leitung zuständig“.
Ostfriesen begegnen sich mit Starrsinn. Wolfram König fordert die Entlassung von Dirk Lübben und seiner Freundin aus dem Festivalbüro. Als Alternative schlägt er vor: seinen Sohn, Iwan König, und dessen Partnerin.
Neues Personal für das Klassikfestival? Die Landschaft reagiert: Der künstlerische Leiter des Festivals, verkündet die Behörde, ist von nun an nicht mehr der Geiger König. Sondern der Pianist Matthias Kirschnereit.
Drei Sommer sind seitdem vergangen. Auf Ebbe folgte die Flut.
Es geht um ein Lebenswerk
Vielleicht wäre es für König nicht schlimm gewesen, seinen Posten abzugeben. Er ist Musiklehrer, er kann mit Missklängen umgehen. Ihn schmerzen die Lügen. Das Hamburger Landgericht verhandelt an diesem Junitag: sein Lebenswerk.
In schwerer Robe sitzt sein Anwalt auf einer Holzbank und sagt: „Die wollen uns vernichten.“ In Ostfriesland gibt es jetzt ein neues Festival. Kammermusik im Sommer, in Parks, Burgen und Kirchen. Es heißt: „Gezeitenkonzerte“.
Die Königs haben ein dickes Gutachten anfertigen lassen, von einem Musikwissenschaftler aus Lübeck. Die Klavierabende und die Weltmusik, die Barockkonzerte und der Erlebnistag – in Tabellen listet der Professor auf, welche Festivalelemente die Ostfriesische Landschaft mit ihren Gezeitenkonzerten vom Musikalischen Sommer übernommen haben.
Er hat gegen die Gezeitenkonzerte geklagt. Er will zumindest Schadenersatz.
Denn die Sponsoren von damals überweisen nach wie vor Dirk Lübben und seinem Festivalbüro ihr Geld. „Wir setzen die Zusammenarbeit mit der Ostfriesischen Landschaft im vierten Jahr in Folge fort und sehen den Gezeitenkonzerten mit Matthias Kirschnereit erwartungsfroh entgegen“, schreibt die Statoil Deutschland GmbH im Jahr 2012 auf ihrer Homepage. Dabei war der Ölkonzern noch bis 2011 der Hauptförderer des Musikalischen Sommers.
Sponsoren sind abgewandert
Zu diesem Gerichtstermin ist Wolfram König aus Wien angereist. Dort lebt er jetzt. Sein Sohn Iwan sieht ihm ähnlich, auch wenn dessen Haar dunkel ist und seins schon schlohweiß: die blauen Augen, das spitze Kinn. Iwan König ist jetzt ebenfalls künstlerischer Leiter – in Stellvertretung. Den „Musikalischen Sommer in Ostfriesland“ organisieren er und seine Freundin nun trotzdem selbst. In Parks, Burgen und Kirchen. Parallel zu den Gezeitenkonzerten.
Auch wenn die „Freunde des Musikalischen Sommers in Ostfriesland“ jetzt der „Freundeskreis der Gezeitenkonzerte“ sind. Auch wenn statt der Geldinstitute, die früher Königs Kammermusik bezahlt haben, heute nur noch das Sanitätshaus Moormerland Geld spendet oder die Firma Thiele Tee aus Aurich. Herr Thiele ist einer der Ostfriesen, die ihre Spenden unter den beiden Konzertreihen aufteilen, die in seiner Region konkurrieren.
Die Behörde hat längst zurückgeklagt. Der Landschaftsdirektor, der die neue Kammermusik für Ostfriesland veranlasste, ist eigentlich kein Mann, der sich viel mit Violinen beschäftigt. Rolf Bärenfänger ist Archäologe. Seinen Anwalt lässt er jetzt nach Fundstücken im Internet graben. Wegen verletzter Fotorechte will die Behörde jetzt Schadensersatz von den Königs.
Zwei Ostfriesen können sich nicht vertragen und liefern sich stattdessen ein Wettrüsten der Klaviermusik. Keine schlechte Komödie, gäbe es da nicht eine bittere Note: Auf der einen Seite kämpft eine Künstlerfamilie mit ihrem privaten Vermögen. Auf der anderen Seite der Staat.
Einstweilige Verfügung erwirkt
Die Ostfriesische Landschaft gab es schon, als der Norden weder Kommunen kannte noch deren Kulturetat. In ihrem historischen Ständesaal debattierten früher Ritter, Bürgern und Bauern. Mit der Zeit verschwanden die Ritter, die Behörde aber blieb. Heute überweisen ihr die umliegenden Gemeinden Steuergelder, damit sie Denkmäler schützt und Kulturschaffende fördert. Im Moment landet ein beträchtlicher Teil dieser Summe auf dem Konto einer Oldenburger Anwaltskanzlei.
Gegen die Vermutung der Königs, die Landschaftsmitarbeiter hätten Sponsorengelder für den Sommer in die eigene Tasche abgezweigt, erwirkte der Anwalt eine einstweilige Verfügung: Öffentlich dürfen sie so etwas nun nicht mehr sagen.
Wenn Journalisten um einen Einblick in die Finanzen der Behörde bitten, schreibt der Anwalt einen Brief: Man habe „gravierende Zweifel hinsichtlich der Begründetheit der Anfrage“.
Auch die Landkreise, von denen die Mittel der Kulturbehörde stammen, können keine Auskunft darüber geben, wie genau die Landschaft sie an kulturelle Einrichtungen verteilt – genauso wenig wie das niedersächsische Kulturministerium, obwohl es bis 2011 allein den Musikalischen Sommer mit bis zu 25.000 Euro im Jahr finanzierte. Wie die Landschaft das Geld verwendete, müsse man sie schon selbst fragen, heißt es von der Landesregierung in Hannover. Königs Vorwürfe von damals lässt sie unkommentiert.
In Aurich sitzt Iwan König in der Stube, in der auch der Flügel steht, und legt neben Teestövchen, Kluntje und Sahne die Programmhefte der vergangenen Jahre auf den Tisch.
Im Jahr 2012 spielte eine Pianistin Bachs Goldberg-Variationen in der Kirche in Backemoor für seinen Musikalischen Sommer. 2014 spielt ein Pianist eines der Gezeitenkonzerte in der Backemoorer Kirche: die Goldberg-Variationen, nämlich. „Das ist ein Plagiat“, sagt König.
„Wir wollten eigentlich versuchen, hier eine Einigung zu finden“, sagt der Hamburger Richter und dreht sein lächelndes Gesicht abwechselnd den Königs zu und dem Behördenanwalt.
Große Namen angefragt
Wolfram König hat für dieses Jahr große Namen angefragt. Midori Goto aus Japan, zum Beispiel, für ein Konzert in der Lambertikirche in Aurich. „Eine Weltviolinistin“, sagt er. Das verstehen „kultivierte Leute“. König hat sein Programm dem Kulturministerium in Hannover vorgelegt, in der Hoffnung auf Förderung – so wie in den Jahren vor den Gezeitenkonzerten.
Doch auch unterhalb von Ostfriesland hat sich der Wind gedreht: „In den letzten Jahren konnte aufgrund der programmatisch-künstlerischen Ausrichtung des Festivals keine Förderung mehr gewährt werden“, schreibt ihm das Ministerium. Die Behörden-Konzerte erhalten dagegen seit 2012 eben jene 25.000 Euro vom Land, die Königs früher für ihr Festival bekamen.
Wolfram König will nicht aufgeben, das hat er sich jetzt in den Kopf gesetzt. Er gibt seine Kammermusik nicht auf – auch dann nicht, wenn ein Urteil fällt. In diesem August wird er seinen Musikalischen Sommer in Ostfriesland zum 30. Mal eröffnen. Das erste Konzert wird auch ein Jubiläumsfest.
Die Gezeitenkonzerte haben ihr Eröffnungskonzert 2014 schon hinter sich. In der Volkswagenfabrik in Emden spielte im Juni das erste Ensemble zum Auftakt der Musikreihe und – wie es der Zufall will – gab es auch hier einen Jahrestag zu feiern: Das Auto-Werk wird in diesem Jahr 50. „Typisch“, sagt König.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?