Löcher unter der Erde: Gasindustrie unterhöhlt Ostfriesland

Zwischen Aurich und Wilhelmshaven soll einer der größten Speicherstandorte für Erdgas gebaut werden. Anwohner befürchten, dass der Erdboden absacken könnte, wenn die Kavernen nicht mehr gebraucht werden.

Juchu, es ist Salz: dieser Standort ist für eine Kaverne geeignet. Bild: dpa

HAMBURG taz | Die Gemeinde Friedeburg in Ostfriesland soll zu einem der größten Speicherstandorte für Erdgas ausgebaut werden. Schon während des Betriebs werden die riesigen Höhlen im Untergrund den Erdboden absacken lassen. Doch so richtig fürchten sich die Anwohner vor der Zeit, wenn diese Kavernen einmal nicht mehr als Speicher gebraucht werden. Sollte es nicht gelingen, sie mit einer Füllung zu stabilisieren, könnte das Gemeindegebiet großflächig um beinahe sechs Meter einsinken – so hat es vor kurzem ein Gutachter geschätzt. Die Gemeinde fürchtet abzusaufen.

Friedeburg, genauer gesagt, dessen Ortsteil Etzel, liegt über einem 4.000 Meter hohen Salzstock. Steinsalzformationen eignen sich besonders, um Öl und Gas einzulagern. Zum einen ist das Salzgestein dicht – zum anderen lassen sich darin sehr einfach Hohlräume herstellen. Entsprechend viel Öl und Gas wird in dem von Salzstöcken durchwachsenen Untergrund Ostfrieslands gelagert.

Besonders viele Speicherkavernen sollen sich nach dem Wunsch der Firma IVG Caverns in Zukunft im Etzeler Salzstock drängen. 52 davon gibt es schon heute. Über die Felder verstreute Betonplattformen mit Leitungsstutzen zeugen davon. Dazu kommen Betriebsflächen mit Lagern und Büros – eine Industrielandschaft in der Pampa.

In etwa der Hälfte der Kavernen lagern die Rohölreserven Deutschlands, Portugals, Belgiens und der Niederlande. In den übrigen Kavernen speichert die IVG Erdgas, das in großen Pipelines aus Russland herbeigepumpt wird. Mit Hilfe der Speicher lassen sich Lieferengpässe und Preisschwankungen des immer wichtiger werdenden Brennstoffs Erdgas ausgleichen. IVG Caverns will deshalb weitere 92 Kavernen bauen. 47 davon sind schon genehmigt, 45 weitere beantragt.

Um eine Kaverne zu erzeugen, bohren Arbeiter ein Loch in den Salzstock, das sie mit Wasser so lange ausspülen bis sie einen Hohlraum der gewünschten Größe erhalten. Das Resultat sind zigarrenförmige Speicher, im Falle von Etzel im Schnitt 600 Meter hoch und 70 Meter im Durchmesser. Sind die Kavernen gefüllt, hält der Druck des Gases sie weitgehend stabil. Werden sie geleert, drückt sie das umgebende Gestein ein wenig zusammen – mit der Folge, dass der weit darüber liegende Erdboden nachgibt.

Der Kavernenspeicher in Etzel hat seinen Ursprung im Kalten Krieg. Zehn Millionen Tonnen Öl sollten eingelagert werden, um Deutschland im Krisenfall 90 Tage lang versorgen zu können. Die damals staatliche IVG erhielt 1971 den Zuschlag.

Heute lagern im Etzeler Salzstock die strategischen Erdölreserven Deutschlands, Portugals, Belgiens und der Niederlande.

1993 nahm Statoil in Etzel den ersten Untertagespeicher für Erdgas in Betrieb. In der Folge sorgte die Energiebranche für den Anschluss an das internationale Gasverteilungsnetz. Über Dornum und Emden ist Etzel an die Gasfördergebiete in der Nordsee angeschlossen.

Die Bunde-Etzel-Pipeline verbindet den Speicherstandort mit Handelspartnern in den Niederlanden.

In der Regel senkt er sich bruchlos und nur um wenige Zentimeter. Im Falle Etzels rechnet der von IVG beauftragte Gutachter Armin Lindert vom Leipziger Insitut für Gebirgsmechanik mit einer Senkung von 2,30 Metern bis zum Jahr 2060.

Noch dramatischer ist die Einschätzung des Geologen und Geochemikers Ralf Krupp, der im Auftrag der „Bürgerinitiative Lebensqualität“ gerechnet hat. Er prognostiziert eine Senkung von 5,90 Metern. Ein Gebiet, so groß wie die Nordseeinsel Juist, würde voll Wasser laufen – ähnlich, wie es beim Zwischenahner Meer geschehen ist, das über einem eingebrochenen Salzstock liegt.

Die schwerwiegendste Frage ist, wie gut sich die Kavernen nach dem Ende ihrer Betriebszeit stabilisieren lassen. Ein Versuch, sie mit Sole – salzhaltigem Wasser – auszusteifen, ging in den Jahren 1990 bis 1992 schief, wie kürzlich bei einer öffentlichen Veranstaltung bekannt wurde. Es gelang nicht, einen Wasserdruck aufzubauen, der ausgereicht hätte, um den Hohlraum auf Dauer zu stabilisieren. Nach Meinung Krupps zeigt der Versuch, dass das auch in Zukunft nicht gelingen kann.

Dabei ist offen, ob die Kavernen im Jahr 2060 tatsächlich verschlossen werden müssen. Die IVG Caverns denkt schon über das Zeitalter des Erdgases hinaus. Sie würde gerne eine Demonstrationsanlage zur Speicherung von Wasserstoff aus Windkraftanlagen bauen. „Das ist eine Perspektive besonders im Zuge der Energiewende“, sagt ihr Ingenieur Hans-Joachim Schweinsberg. In den nächsten fünf bis zehn Jahren solle die Anlage dann stehen.

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