piwik no script img

Streit um Hamburger Hamlet-InszenierungShakespeare vergewaltigt

In Hamburg sieht ein Kritiker das "weltliche Evangelium Hamlet" misshandelt, der Intendant des Thalia-Theaters empfindet seine Rezension als "Volksverhetzung".

Kurioser Schlagabtausch um ein Theaterstück: Hamlet in Hamburg. Bild: dpa

In der Redaktionsstube der Welt sitzt ein islamophober Volksverhetzer, der klammheimlich dazu aufruft, das Hamburger Thalia Theater niederzubrennen. Das meint Joachim Lux, der Intendant desselben. Er hat seine Gedanken in einem offenen Brief an die Chefredaktion der Welt formuliert, um sich dort über den "durchgeknallten Kritiker" zu beschweren.

Dessen Kritik einer "Hamlet"-Inszenierung erfülle "nahezu oder tatsächlich", ganz sicher ist sich der Intendant nicht, "den Tatbestand der Volksverhetzung und der Verunglimpfung anderer Religionen". Ein geistiger Brandstifter sei der Kritiker "allemal".

Die Affäre ist ein kurioser Schlagabtausch zwischen einem politisch besonders korrekten Intendanten und einem Kritiker, der Hamletland gegen die Türken verteidigen will. Bei Letzterem handelt es sich um Alan Posener. Er hatte den "Hamlet" des flämischen Regisseurs Luk Perceval am Thalia gesehen und hernach eine böse Rezension verfasst. Hamlet handelt von einem Usurpator namens Claudius, dessen auf Mord gegründete Herrschaft die gesellschaftliche Ordnung zerstört. Aber auch Rächer Hamlet geht zugrunde.

Posener missfällt an Percevals Inszenierung, dass dessen Hamlet buddhistisch verkündet, "es sei völlig gleich, ob man etwas tut oder es sein lässt". Posener hält das Shakespeare-Stück für eine Auseinandersetzung mit monotheistischer Moral und mit Realpolitik, "die auf Gewalt aufgebaut ist". Das kann man so sehen. Dass Hamlet und Ophelia aber einer ominösen "Verbindung von Gewalt und Religion" zum Opfer fallen, ist womöglich etwas kurz gegriffen. Das gilt auch für die Parallele zu aktuellen Verhältnissen, die Posener unvermittelt zieht: "Dieses Stück wird heute täglich gegeben; allerdings nicht in Helsingör, sondern in saudi-arabischen Palästen und in den Gangs unserer Großstädte."

Schlechtes Regietheater sucht in jedem Stoff auf Teufel komm raus die zeitgenössische Parallele. Wenn der Klassiker nicht dazu passt, schreibt man ihn um. Leute wie Posener ärgern sich dann drüber. Der Rezensent Posener macht es nicht viel besser. Aber wenigstens produziert er dabei - wie es hin und wieder ja auch dem Regietheater gelingt - einige lustige Stellen.

Der Neufassung von Feridun Zaimoglu und Günter Senke attestiert Posener "comicblasenhafte Dürftigkeit". Sie verhalte sich "zum Original wie der Koran zur Bibel". Der neue Text habe dem alten alles Widersprüchliche ausgetrieben. Für den Atheisten Posener ist das bitter. Denn er ist sich mit Heine einig, dass "Hamlet" das "weltliche Evangelium" sei. Joachim Lux findet das ungeheuerlich: "Der Koran als Verplattung der Bibel! Das macht wahrhaft sprachlos."

Die Erkenntnis, dass die alten mosaischen Schriften, die Psalmen oder das Buch Kohelet nicht nur mehr Sexappeal haben, sondern auch literarisch spannender sind als die der Evangelisten und mittelalterlicher Propheten, kann aber nur den sprachlos machen, der solche Texte für göttliche Offenbarung hält.

Posener ließ es damit nicht bewenden: Male ein dänischer Karikaturist "eine mäßig lustige Mohammed-Karikatur", würden überall dänische Botschaften abgefackelt. Werde dagegen Shakespeare vergewaltigt, werde das artig beklatscht. So schimpfte er weiter, indem er den nächsten Vergleich an den Haaren herbeizog. "Nicht, dass man dem Abfackeln von Theatern das Wort reden möchte. Aber wer Schauspielkunst mag, sollte Häuser meiden, wo selbstverliebte Regisseure das Wort führen."

Und dann schrieb er noch über den von Perceval eingesetzten singenden Klavierspieler, dieser gebe "eine Mischung aus mongolischem Obertongesang, Muezzin-Ruf und Jodeln". Das trieb Lux' Blutdruck endgültig in die Höhe. Solche rhetorischen Figuren kenne man allzu gut, schrieb er: "Man setzt mal irgendwas in die Welt, um es selbstredend zu negieren … und schlägt anschließend in irgendeiner Kristallnacht die Fensterscheiben ein."

Poseners Kritik nicht als Ausweis einer Obsession zu lesen, fällt schwer. Wenn sie aber den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllen würde, müsste man viele Zeitungen und auch Theater schließen. Wie heißt es so schön im "Hamlet"? "It harrows me with fear and wonder." In der Übersetzung Zaimoglus und Senkels: "Das kann nicht sein!"

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

2 Kommentare

 / 
  • A
    Anna-Kristina

    Wohl wahr! Auch wenn ich persönlich mich ebenso vehement von den Äußerungen des Kritikers distanzieren möchte wie der Intendant, die Inszenierung ist grauenvoll: Sie beraubt Shakespeare jeden Geistes und Witzes, und ist für den Zuschauer unerträglich. Das bedingt nicht nur der singende (?! - naja, jaulende) Klavierspieler, sondern unter vielem anderen auch die minutenlange Rezitation von beliebigen Antagonismen durch Hamlet gegen Ende, die unerklärbare Tatsache, daß wir Hamlet lange Zeit unbekleidet über die Bühne wetzen sehen (erkennt jemand eine metaphorische Bedeutung? ich jedenfalls nicht), daß Gertrude, deren einzig augenfällige Ähnlichkeit mit der Shakespeare'schen Gertrude ...nun ja, eben der Name ist, ebenfalls eher spärlich bekleidet herumläuft und so weiter und so fort. Es ist ein Graus. Aber, das muß man lobend erwähnen, die Idee, Hamlet und seinen Vater in ein Kostüm zu stecken, war eigentlich wirklich eine kluge Idee. Wenn man denn etwas mehr daraus gemacht hätte.

  • G
    grafinger

    Der Schlagabtausch zwischen Intendant und Kritiker ist allemal unterhaltsamer und auch tiefgründiger als die Inszenierung.