Streit um Feriendorf an Schutzgebiet: Vogelfan bestraft
Im Dithmarscher Speicherkoog sollen Touristen neben einem Naturschutzgebiet übernachten. Naturschützer wollen das verhindern – und kassieren Bußgeld.
Teile des Speicherkoogs stehen unter Naturschutz. Doch auf den angrenzenden Flächen planen die Umlandgemeinden eine Ferienhaussiedlung und Wohnmobilstellplätze für mehr Tourismus. Eine Gruppe Naturschützer*innen will das nicht hinnehmen.
Die Aktivist*innen gründeten eine Bürgerinitiative, sammelten 3.000 Unterschriften und brachten den Fall vor den Petitionsausschuss des Landtags. Zuständig ist jedoch der Kreis Dithmarschen und der geht nun gegen eine der Naturschützer*innen vor: Er verhängte ein Bußgeld in Höhe von 896 Euro gegen die Sprecherin der Bürgerinitiative, weil sie sich beim Betreten des Naturschutzgebietes filmen ließ.
Als Mitglied des Naturschutzbundes Nabu war Tanja Matthies, heute Sprecherin der Bürgerinitiative für Naturschutz im Speicherkoog (Bins), als ehrenamtliche Aufpasserin im Koog unterwegs. Was sie erlebte, habe sie geschockt und geärgert: „Es wird trotz der Verbote gebadet und gesurft, Autos parken im Vogelschutzgebiet, daneben wird gegrillt, Kinder spielen Fußball“, berichtete die Juristin vor dem Petitionsausschuss. All das werde noch viel schlimmer werden, wenn die Pläne der angrenzenden Gemeinden in die Tat umgesetzt werden, fürchtet Matthies.
Wohnmobilstellplätze und Häuschen
Tanja Matthies, Bürgerini Bins
Denn „der Speicherkoog soll sich zu einer beliebten Destination für naturnahen und nachhaltigen Tourismus entwickeln“, heißt es auf der Homepage der Tourismusförderung Speicherkoog. Hinter den Plänen steht ein Kommunalunternehmen, das von drei Gemeinden gegründet wurde, darunter die Stadt Meldorf. Seit fast einem Jahrzehnt laufen die Planungen.
Entstehen sollen ein Ferienhausgebiet mit 70 Parzellen, Flächen für Wohnmobile und ein „Nationalparkhaus“, in dem auch die Verwaltung der Ferienhäuser und ein Lokal untergebracht werden soll. „Allen Beteiligten ist die Berücksichtigung von Naturschutzaspekten ein großes Anliegen“, verspricht die Tourismusplanung.
Die Planungen entsprächen den Gesetzen, darauf verwies auch der Vertreter des Umweltministeriums vor dem Petitionsausschuss: „Ich habe keinen Punkt gefunden, an dem ich fachaufsichtlich einschreiten muss.“ Denn die Neubauten sollen nicht im Natur- und Vogelschutzgebiet entstehen, sondern auf angrenzenden Flächen.
Schon heute liegt in unmittelbarer Nähe zu den Schutzzonen der Meldorfer Sportboothafen, eine Gemeindestraße führt zwischen den Naturschutzgebieten hindurch. Tourismus ist und war erwünscht: Der Nabu, der die Aufsicht über das Gebiet hat, errichtete 2007 die Nationalparkstation „Wattwurm“, in deren Ausstellung es Informationen über den Nationalpark auf der anderen Seite des Deiches, aber auch über die Schutzgebiete binnendeichs gibt. Der Nabu tritt nicht gegen das Feriendorf ein. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) schon.
„Ich gebe ja zu: Total blöd, dass kurz vor Schluss der Planungen auf einmal viele Leute was dagegen haben“, sagt Naturschützerin Matthies. „Aber die Zeiten haben sich geändert.“ So seien Probleme wie Lebensraumverlust für bedrohte Arten und Bodenversiegelung nah am Wasser angesichts des Klimawandels stärker im Bewusstsein als zu Beginn der Planungen vor einem Jahrzehnt. Entsprechend verändere sich die Stimmung in Meldorf und Umgebung.
Erste Grüne trat zurück
Und dieser Streit um den Koog hat auch die Gemeindepolitik erreicht: Die frühere grüne Meldorfer Bürgermeisterin Anke Cornelius-Heide verließ die Partei, nachdem der Ortsverband für einen Planungsstopp gestimmt hatte. In einem Schreiben, das die Dithmarscher Landeszeitung zitiert, klagt sie über ein zerrüttetes Vertrauensverhältnis: „Mir und dem Kommunalunternehmen wird unterstellt, ein Gefälligkeitsgutachten in Auftrag gegeben zu haben.“
Dabei geht es um eine Verträglichkeitsprüfung nach den Regeln der Flora-Fauna-Habitate (FFH). Auch gegenüber der taz verweist Bins-Sprecherin Matthies darauf, dass dieses Gutachten von den Kommunen in Auftrag gegeben wird und daher mutmaßlich nicht neutral sei. Noch liegt es nicht vor.
Der Petitionsausschuss des Landtages berät den Fall zurzeit intern. Doch der Vorsitzende Hauke Göttsch (CDU) hat schon eine Richtung gewiesen: Unter anderem könnten neue Besucherlenkungskonzepte und der Einsatz von Rangern helfen, die Menschen auf den Wegen zu halten.
Matthies sieht trotz solcher Verbesserungsvorschläge weiter ein Grundproblem: „Mehr Menschen bedeuten mehr Verkehr, mehr Lärm, mehr Müll, mehr Licht.“ Die scheuen Bodenbrüter flögen bereits auf, wenn ein Mensch sich im Umkreis von einigen Hundert Metern bewegt.
Eben das wollte die Bins-Sprecherin zeigen, als sie vor einer Fernsehkamera des NDR an einem Verbots-Schild vorbei einen ausgetretenen Pfad zum Ufer hinunter betrat und damit eine Schar Enten auffliegen ließ. Für diese Störung der Tiere verhängte der Kreis das Bußgeld von knapp 900 Euro – mehr als etwa für das Verschütten von Altöl oder den illegalen Bau eines Fischteiches fällig würde. Auch die Behörden scheinen keine Lust auf Frieden zu haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Liberale in der „D-Day“-Krise
Marco Buschmann folgt Djir-Sarai als FDP-Generalsekretär