Der Shitstorm durch die religiösen Fundamentalisten und die Demagogie, mit der sachorientiert argumentierende Diskussionsteilnehmer in Deutschland fertig gemacht werden sollen, ist zutiefst erschreckend. Ebenso die - wieder einmal - typische Getriebenheit unserer Volksvertreter, die beim Wort Beschneidung von Jungen lediglich an die medial mittlerweile gut aufgestellten religiösen Hardliner und vor allem Millionen von Wählerstimmen, aber nicht an unser Grundgesetz und Menschenrechte denken.
Zu den FAKTEN:
Es geht hier NICHT um die Beschneidung als solche, sondern NUR um die medizinisch NICHT indizierte, VÖLLIG UNNÖTIGE Beschneidung eines Menschen aus rein religiösen Gründen, der selber aufgrund seines jungen Alters darüber nicht entscheiden kann und die ihn einem erheblichen Risiko aussetzt, in einem relevanten Prozentsatz der Fälle lebenslang sexuell und seelisch im täglichen Leben behindern kann und über den er sich besser SELBER problemlos später im entscheidungsreifen Alter SELBER entscheiden kann und auch sollte. Dafür oder eben dagegegen.
Wer behauptet, daß der Eingriff harmlos sei, wird schon durch das zu dem völlig korrekten Urteil des Kölner Landgerichtes überhaupt erst führenden KLAGE EINER MUSLIMIN nach Komplikationen in der Folge einer Beschneidung (stärkere Nchblutungen) eines besseren belehrt.
Auch der muslimischen Mutter des im Kölner Gerichtsurteil betroffenen Kleinkindes war dieses Risiko bereits ZUVOR BEWUSST. Genau dieses WISSEN um das RISIKO führte nämlich zu der Suche eines Arztes, dem sie vertrauen können wollte und genau dieses WISSEN um das Risiko führte zu der raschen Konsultation einer kinderchirurgischen Universitätsklinik nach erfolgter Komplikation.
Wohlgemerkt: Die Beschneidung , welche zu der Klage führte, wurde von einem muslimischen Arzt und keinem Hinterhofbeschneider durchgeführt (!) - und zwar medizinisch korrekt, inklusive einer gutachterlich festgestellten, einwandfreien Nachsorge durch den Arzt. Es kam zu einer UNTRENNBAR auch mit einem einwandfrei erfolgten Operation verbundenen Komplikation, die zu einem Krankenhausaufenthalt und einer weiteren operativen Maßnahme führte - nochmals: Das Landgericht hat festgestellt, daß der Arzt den Eingriff korrekt vornahm. Ein Restrisiko bleibt eben stets - auch bei lege artis durchgeführten medizinischen Eingriffen. Wir sprechen hier übrigens jeweils nicht von einem, sondern zwei medizinischen Eingriffen, nämlich Operation und Anästhesie. BEIDE haben ein nicht vermeidbares RESTRISIKO.
Es sind aber in der Literatur auch wesentlich gravierendere und lebenslang wirkende, schwere Komplikationen als die zur Anklage führenden chirurgischen Nachblutungen beschrieben, bis zur versehentlichen Teilamputation.
Zu dem chirurgischen Risiko kommt stets das Risiko der Anästhesie hinzu. Rein statistisch beträgt das zur zeit aufgrund der Fortschritte der Medizin etwa 1:250.000 für eine TÖDLICHE anästhesiebedingte Komplikation - leider gibt es keine exakten Daten für nichttödliche, aber schwerwiegende Komplikationen, die man noch hinzufügen muss. Rein statistisch werden also jedes Jahr mehrere Kinder schwere Komplikationen aufgrund eines völlig unnötigen Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht des Kindes erleiden, bis hin zum Tod.
Zu den in höchst demagogischer Art angeführten angeblichen "medizinischen Vorteilen" der Beschneidung:
Die Hygiene:
der Umgang mit Wasser und Seife sollte allen Menschen bekannt sein und wird auch bei beschnittenen Menschen nötig sein.
Der angebliche Schutz vor AIDS:
Wird ja wohl bei KINDERN ein absolut absurdes Argument sein.
Zudem empfiehlt die WHO eine Beschneidung nur bei ERWACHSENEN Männern – und das auch nur in aussereuropäischen Ländern.
Die ECHTE Phimose:
Die zu operieren war stets möglich und wird stets möglich sein, weil sie im Gegensatz zur UNNNÖTIGEN rituellen Beschneidung ein medizinisch NÖTIGER Eingriff ist.
Und es wird sogar das Pseudo-Argument angeführt, beschnittene Männer "könnten länger" - nun... DAS ist ja wohl ebenfalls kein Argument für die Beschneidung von Säuglingen und Kindern, oder etwa doch?
Wer meint, sich einen guten Teil der lustgebenden Vorhaut wegschneiden lassen zu müssen, kann das ja jederzeit als Erwachsener selbstbestimmt tun.
Ich möchte mir gar nicht erst vorstellen, was in den Medien ZU RECHT los wäre, wenn das "Ausdauerargument" nicht als Argument für die Beschneidung von wehrlosen Jungen, sondern von wehrlosen Mädchen aufgekommen wäre.
Im Übrigen gibt es auch bei Mädchen durchaus vergleichbar verstümmelnde Eingriffe, wie die Vorhaut der Klitoris und die Teilentfernung der inneren Schamlippen („milde Sunna“ ) betreffen - diese sind ebenso kategorisch abzulehnen wie die bestialische Entfernung der Klitoris.
Ein vergleich der Beschneidung mit dem Stechen von Ohrenlöchern oder der Korrektur von abstehenden Ohren ist schon bei oberflächlicher Betrachtung Nichts als reine Demagogie. Eine Parallele besteht nur insoweit, als nichtbeschnittene Jungen oftmals ebenso gehänselt werden wie Jungen mit abstehenden Ohren.
Hier ist eine Erziehung von gegenseitiger Toleranz elterlicherseits dringend nötig – in beide Richtungen.
Es gibt so etwas wie den Segen der europäischen Aufklärung, auf den wir sehr stolz sein können. Auch Religionen haben das Recht und die Pflicht, sich positiv weiter zu entwickeln. Die christlichen Kirchen haben das zu einem gewissen Teil getan, aber noch weiteren Bedarf. Immerhin haben sie von vielen mit dem modernen Bild des selbstbestimmten Menschen unvereinbaren Methoden und "Traditionen" glücklicherweise abgelassen.
Auch im muslimischen und jüdischen Bereich gibt es Modernisierer, nicht alle Juden beschneiden ihre Jungen, sondern ein nicht unbeträchtlcier Teil machen nur noch eine rein symbolische Beschneidung - ebenso, wie heutzutage in der christlichen Kirche ein paar Tropfen für eine Taufe reichen und ein vollständiges Untertauchen der Person im Wasser nicht mehr üblich ist.
Und es gibt auch - gerade in Deutschland - moderne Muslime, die einer Beschneidung im KINDESALTER kritisch gegenüber stehen. Übrigens - um mal wieder zum konkreten Kölner Fall zurückzukommen:
Untersuchungen zufolge WÜRDEN rund 30 Prozent der Jüdischen Bürger der Welt keine Beschneidung IM KINDESALTER vornehmen lassen, wenn nicht ein extremer sozialer Druck dazu in ihrer Gemeinde bestünde.
Nicht überraschend ist, dass die katholische Kirche hier die anderen religiösen Fundamentalisten unterstützt. Denn die kindliche Beschneidung war und ist immer noch ein probates Mittel, um Selbstbefriedigung und die normale sexuelle Entwicklung des Kindes zu VERHINDERN. Die Eichel wird gefühlloser und die Lust wird reduziert, weil ein Teil der lustbringenden Vorhaut amputiert wird.
So mancher wird sich auch fragen, woher die katholische Kirche das Recht und die Courage nimmt, amputierende operative Eingriffe am Genital öffentlich zu befürworten, wo sie nicht einmal fähig ist, schwersten Kindesmißbrauch in ihren eigenen Reihen konsequent zu unterbinden und wenigstens erfolgten Kindesmißbrauch angemessen aufzuklären.
Aber zurück zur dem Diktat der Beschneidung von hilflosen Kindern:
Die beiden die Beschneidung propagierenden Religionsgemeinschaften üben auf das Individuum der Eltern wie des Kindes einen extremen sozialen Druck aus, der EBENFALLS mit moderner Aufklärung unvereinbar ist und auch im klaren Widerspruch zum Gedanken des Grundgesetzes ist, daß jeder Mensch in seinen Entscheidungen FREI sein sollte.
An dieser Stelle wird nämlich Religionsfreiheit des Individuums zum Religionsterror der Gemeinschaft, wie er auch in anderen Religionen mit extremem sozialen Druck überdeutlich wird: beispielsweise dem Verbot der Bluttransfusion bei den Zeugen Jehovas BEI KINDERN.
Unser Grundgesetz erlaubt ausdrücklich jedem ERWACHSENEN, eine Bluttransfusion abzulehnen - aber es verbietet einem Elternteil, dem KIND eine Bluttransfusion vorzuenthalten.
Auch, wenn die beiden Vorgänge auf den ersten Blick völlig unterschiedlich erscheinen und in vielem auch sind: Hier die vorenthaltene lebensrettende Bluttransfusion, dort die aufgezwungene Beschneidung - so liegt in beiden doch juristisch und ethisch-aufklärerisch der GEMEINSAME TATBESTAND zugrunde, daß Eltern (und nicht selten in Wirklichkeit sogar nur der Gruppendruck der religiösen Gemeinschaft auf die Eltern) ihren Kindern aus rein religiösen Gründen in mit unserem Grundgesetz unvereinbarer Art den Lebensweg durch körperlichen Eingriff (hier: Unterlassung von Hilfe durch Nichttransfusion, dort: Nichthilfe durch Ausliefern an einen archaischen, verstümmelnden religiösen Ritus) diktieren wollen.
Unser in aller Welt bewundertes Rechtssystem und insbesondere unser Grundgesetz wurden aufgrund unserer schweren geschichtlichen Schuld aufgestellt. Wir können STOLZ darauf sein, daß dieses Grundgesetz die menschliche Würde so konsequent schützt und auch nun immer mehr die kindliche Menschenwürde ihren Platz einnimmt. In vielen Bereichen unserer Gesellschaft, insbesondere dem Bereich anderer, in unserer Gesellschaft ebenfalls weitgehend schutzloser Gruppen, die über keine laut lärmende und finanziell unterstützte Lobby verfügt - wie die Behinderten, die Alten, die gestrauchelten Menschen, - ist da ebenfalls noch viel mehr zu tun.
Zum Schluss noch ein paar Worte zum medial ubiquitär skandalisierenden Demagogismus, der insbesondere von den Lobbyisten betrieben wird:
Jüdisches Leben ist natürlich auch ohne Beschneidung von Kindern möglich und ich sage jetzt schon voraus, daß ein nicht unwesentlicher Teil der Eltern froh darüber sein werden, durch die Entscheidung des Kölner Landgerichts nicht mehr zu der Beschneidung ihrer jeweiligen Religion gedrängt werden zu können.
Und ein bewusstes Entscheiden im entscheidungsfähigem Alter für eine Beschneidung wird sowohl für Juden als auch Muslime ein viel beeindruckenderes Bekenntnis zu ihrer Religion sein als die Zwangsbeschneidung eines wehrlosen Säuglings oder Kleinkindes .
Der hierzulande übliche Reflex, das Fehlen von Sachargumenten durch Holocaust-Vergleiche und die Stigmatisierung von aufgeklärten Menschen als Nazis zu ersetzen, hat leider fast unwidersprochen auch bis in oberste Ebenen der Religionsvertreter hierzulande stattgefunden. Ich persönlich frage mich, ob diese Personen wie Herr Graumann sich nicht der Verharmlosung des millionenfachen Mordes schuldig machen, wenn sie diese völlig unzulässige gedankliche Gleichstellung rhetorisch nahelegen?
Wenn die fundamentalistischen Lobbyisten also von religiöser Toleranz reden, so können sie gerne zeigen, daß sie selber dazu fähig sind:
Indem sie dafür sorgen, daß jüdische und muslimische Jungen, die NICHT beschnitten sind, nicht in dem Grundgesetz widersprechender Art und Weise ausgegrenzt und verspottet und gedemütigt werden, wie es heutzutage der Fall ist.
Wir leben in keinem Gottesstaat, sondern in einem aufgeklärten Land mit vorbildlichen Menschenrechten - auch, wenn die unüberlegten und reflexartigen Reaktionen von willfährigen Politikern mitunter starke Zweifel daran aufkommen lassen.
Insbesondere, wenn man jetzt erfährt, dass von oberster POLITISCHER Stelle der Staatsanwaltschaft Köln verboten wurde, in dem gerichtsanhängigen Fall in die Berufung zu gehen.
Ich persönlich halte die politische bindende Weisungsbefugnis der Politik an die Staatsanwaltschaften für einen der wenigen Geburtsfehler unseres ansonsten vorbildlichen Rechtssystem der GEWALTENTEILUNG, die durch den Beschluss des Bundestags der letzten Tage ebenso infrage gestellt wurde wie der respektlose Umgang populistischer Politiker aller Parteien mit den Organen der Rechtsprechung.
Zur Versachlichung ein sachlicher Artikel über das Urteil:
http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/beschneidungen-das-urteil-11820431.html
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