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Streit über illegal erworbene BeweiseWahrheitssuche oder Rechtstreue

Jemand wird belauscht ohne Anfangsverdacht, eine Wohnung durchsucht ohne Richterbeschluss. Dürfen die Beweise vor Gericht verwendet werden? Das bewegt nun den Deutschen Juristentag.

Was passiert, wenn die Polizei rechtswidrig Verdächtige abhört - und so Täter überführt? Bild: dpa

FREIBURG taz Sind Beweise, die die Polizei auf rechtswidrige Art erhoben hat, vor Gericht verwertbar? Mit dieser für viele Strafverfahren zentralen Frage beschäftigt sich ab heute der Deutsche Juristentag in seiner strafrechtlichen Abteilung. In Erfurt kommen rund 2.500 Juristen zusammen, um über rechtspolitische Themen zu beraten.

Absichtlich oder in der Hitze der Ermittlungen verletzt die Polizei immer wieder Regeln, die sie eigentlich beachten muss. Da verhört sie Verdächtige, die nicht über ihre Rechte belehrt wurden, oder sie belauscht Telefone ohne triftigen Anfangsverdacht. Doch was ist die Folge, wenn die Polizei die Strafprozessordnung ignoriert oder falsch auslegt, dabei jedoch wichtige Beweise erlangt?

Nur in wenigen Fällen ist die Verwertung solcher Beweise gesetzlich verboten, etwa wenn eine Aussage erfoltert wurde oder wenn die Polizei ein Gespräch des Verdächtigen mit seinem Verteidiger abhört. Ansonsten ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zwischen den Interessen des Beschuldigten und dem Ziel einer "funktionstüchtigen Strafrechtspflege" abzuwägen. Gerade bei schwerer Kriminalität und Terrorismus wollen die Gerichte auf rechtswidrig erlangte Beweise in der Regel nicht verzichten.

Diese Abwägungslogik wird beim Juristentag von dem Erlanger Rechtsprofessor Matthias Jahn kritisiert. In seinem umfassenden Gutachten, das der taz vorliegt, fordert er, dass Beweise immer dann unverwertbar bleiben, wenn zuvor gegen die Menschenwürde oder den Wesensgehalt anderer Grundrechte verstoßen wurde. Wenn die Polizei etwa eine Wohnung ohne richterliche Anordnung durchsuchte, weil sie irrig einen Eilfall annahm, dann sollen die dort gefundenen Gegenstände vor Gericht keine Rolle spielen. "Es kann hier nicht darauf ankommen, ob der Richtervorbehalt absichtlich oder aus Versehen verletzt wurde", so Jahn zur taz.

Ein Referent hat bereits Widerspruch angekündigt: Rainer Griesbaum, der für Terrorbekämpfung zuständige Vizechef der Bundesanwaltschaft. Für ihn ist die "Feststellung der Wahrheit" das entscheidende Ziel im Strafprozess. Er lehnt deshalb die von Jahn vorgeschlagene Ausweitung von Beweisverwertungsverboten ab, dafür gebe es "keine Veranlassung".

Streit wird es beim Juristentag auch in der Frage geben, welche Wirkung ein Verwertungsverbot hat. Ist nur der konkrete Beweis gesperrt oder - wie in den USA - alle "Früchte vom verbotenen Baum"? Der BGH hat bisher eine solche Fernwirkung grundsätzlich abgelehnt. Wenn etwa ein Verdächtiger im Gespräch mit seinem Pfarrer einen Mittäter belastet und die Polizei hört zufällig mit, dann ist zwar das Abhörband als Beweismittel tabu, doch der so verratene Komplize darf observiert werden.

Strafrechtler Matthias Jahn hält in solchen Fällen eine Fernwirkung des Verwertungsverbots für erforderlich: Die Polizei soll gegen den Mittäter also nicht ermitteln dürfen. Terror-Ankläger Griesbaum lehnt eine solche Fernwirkung jedoch grundsätzlich ab, um die "Wahrheitsermittlung" nicht zu sehr einzuschränken.

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8 Kommentare

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  • OA
    Osc ar

    3 Jahre später hat sich die ganze Sache verschärft. Mittlerweile scheint es ganz normal zu sein, daß Richter Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmungen anordnen, ohne einen Anfangsverdacht zu haben. Diesen "konstruieren" sie mittels reiner Unterstellung und verlassen sich darauf, schon irgendwas zu finden, um die Maßnahme im nachhinein zu legalisieren! Mir ist solches passiert, und ich habe wenig Hoffnung, die beschlagnahmten Gegenstände wiederzubekommen. Diese werden irgendwann bei einer Versteigerung verhökert werden und verringern somit ein wenig die ausufernden Kosten der "Rechtspflege"!

  • W
    Willy

    Für mich stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, wieso Staatsanwälte und die Polizei überhaupt straflos gegen die Bestimmungen der StPO vestoßen können? Wieso sind nicht auch Verstöße gegen die StPO strafbewehrt?

    Zumal der Artikel 20 des Grundgesetzes eindeutig ist:

    "Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden."

    Ich finde es irrwitzig, überhaupt darüber zu diskutieren, ob illegal erlangte Beweise verwertet werden dürfen oder nicht.

    Es sollte in einem Rechtsstaat normal sein, rechtwidrig erlangte Beweise nicht zur Rechtssprechung heran zu ziehen.

  • A
    AstraFan

    Wenn unzulässig erworbene Beweise vor Gericht verwertet werden dürfen, wird es in Zukunft immer mehr solcher Beweise geben. Gerade im Bereich der Repression etc. gegen politische Randgruppen wird dann auf politischen Druck illegal gehandelt weil diese Ergebnisse ja verwendet werden können.

  • M
    Martin

    Ein schweres Thema:

    Was wenn sich Hausdurchsucher in der Wohnung irren und dort dann aber zufällig eine Leiche finden? Die Leiche als Beweismittel tabu? Alle Früchte tabu in den USA? Bliebe dort dann der zufällig entdeckte Mord ungesühnt?

  • A
    Asam

    Ja,ja ist schon seltsam, das einzige was den Rechtsstaat schützen kann, in diesen Zeiten, ist

    Polizei Willkühr Tür und Tor zu öffnen.

    Gut das es Leute gibt die dagegen zu Felde Ziehen!

  • P
    Pranger

    Recherchiert man bei der taz eigentlich gelegentlich auch? Dieser Artikel gehört doch ganz sicher auch in die taz, oder? Gerade in DIESEM Zusammenhang!

    http://www.heise.de/tp/r4/artikel/28/28774/1.html

  • FH
    F. Hasselbach

    Wenn alles andere der "Wahrheitsfindung" unterstellt wird, wäre ja z.B. Wolfgang Daschner rückwirkend rehabilitiert (rein rechtlich; die menschliche Bewertung seines Vorgehens lasse man in diesem Zsammenhang außen vor).

     

    Wenn sich diese Einstellung vor Gerichten durchsetzt, öffnet man der Willkür Tür und Tor: "Uups, da haben wir 'aus Versehen' gegen die Strafprozeßordnung verstoßen - macht nix, wir haben ja sooo spannende Informationen dabei gewonnen..."

    Das wird man dann wohl öfter in Gerichtssälen hören. Da werden sich die Ermittler immer ganz reuig und zerknirscht geben, wie ihnen sowas passieren konnte, und sich heimlich ins Fäustchen lachen.

     

    Das bedeutet das Ende des Rechtsstaats. Denn in einem solchen gelten Regeln. Und zwar auch für diejenigen, die Regelverletzungen anderer untersuchen und ahnden. Wer als Staatsanwalt solche Thesen verbreitet, gehört ernsthaft kontrolliert, und ggf. diszipliniert.

     

    Wie der Name wohl ursprünglich bedeutet, ist der Staatsanwalt der "Anwalt des Staates". Und für mein Verständnis ist das nicht eine nebulöse Organisation (in Wirklichkeit natäürlich doch) sondern ein Organ für die Vertretung der BürgerInnen.

    Von jemanden mit dieser Einstellung will ich aber gewiss nicht vertreten werden!

  • E
    Elvenpath

    Die bisherige Rechtssprechung war bis vor kurzem vernünftig.

    In letzter Zeit schlägt der Staat über alle Stränge, Verfassungsbruch, illegale Aktivitäten, Missachtung von Menschenrechten werden zur Tagesordnung. Man nimmt, was man irgendwie kriegt. Das bedroht unsere Demokratie viel mehr als jeder Terroranschlag.

     

    Aus diesem Grund ist eine Änderung in der Rechtssprechung notwendig, um ein weiteres Ausufern der staatlichen Willkür einzudämmen.

     

     

    So long...