piwik no script img

Streit über Reform in HamburgBemühungen um Schulfrieden

Ab Freitag ringen in Hamburg Senat und Schulreformgegner um einen Kompromiss. Die Regierung möchte einen Volksentscheid abwenden.

Umkämpfte Reform: Die Gegner in Hamburg mobilisieren. Bild: dpa

Zwei Monate ist es her, dass die Volksinitiative "Wir wollen lernen" mit 182.000 Unterschriften das schwarz-grüne Vorzeigeprojekt einer Primarschulreform ins Wanken brachte. Sie hat mehr als genug Stimmen, um einen Volksentscheid zu beantragen. Jetzt bemühen sich Bürgermeister Ole von Beust (CDU) und Schulsenatorin Christa Goetsch (GAL) um einen Kompromiss.

Hamburg plant eine Megaschulreform. Ohnehin war Hamburgs CDU im Vergleich zu anderen Landesverbänden sehr reformfreudig. Sie zeigte sich bereit, die Hauptschule zugunsten einer Stadtteilschule abzuschaffen, die neben dem Gymnasium auch zum Abitur führen soll. Doch die Grünen wollten neun Jahre Schule für alle. Um sie von einer Koalition zu überzeugen, machte Ole von Beust 2008 ein überraschendes Angebot: Die Grundschulzeit, in der alle Kinder gemeinsam lernen, solle statt bisher vier sechs Jahre dauern.

Die CDU-Basis machte den Schwenk knurrend mit, nicht so ein Großteil ihrer Wähler. Der Rechtsanwalt Walter Scheuerl startete eine Volksinitiative mit zwei schlichten Forderungen: Erhalt der Gymnasien ab Klasse 5 und Erhalt des Elternwahlrechts - so heißt in Hamburg die Option, auch gegen die Empfehlung des Lehrers ein Kind aufs Gymnasium zu schicken. Genau mit diesem Punkt gewann "Wir wollen lernen" viele Stimmen. Auch wenn ein Viertel der Kinder das Gymnasium wieder verlässt, ist den Hamburgern diese Regelung aus den 1970er Jahren wichtig. Bliebe das Elternwahlrecht, so wäre vermutlich die Mehrheit für sechs Jahre Grundschule.

Die schwarz-grüne Regierung stand nach dem 182.000-Unterschriften-Erfolg erst mal unter Schock. Solle doch das Volk entscheiden, erklärten die Grünen, man werde es darauf ankommen lassen. Dabei hatten gerade mal 14 Prozent der Hamburger bei "Wir wollen lernen" unterschrieben.

Doch diese Strategie gilt inzwischen als riskant. Bis zum März kann die Initiative den Volksentscheid beantragen, der dann im Sommer stattfände. Für die Schulen, die sich jetzt auf die Reform vorbereiten, bedeutete dies eine unzumutbare Hängepartie. Schon im August sollen die ersten und vierten Klassen der Primarschule mit neuem Unterrichtskonzept starten. Und auch die 52 Stadtteilschulen würden gegründet, ohne dass sie wüssten, ob sie mit der fünften oder siebten Klasse beginnen.

Deshalb streben von Beust und Goetsch einen parteiübergreifenden Schulfrieden an. Als Moderator zwischen den Fronten wurde der Unternehmer Michael Otto gewonnen, der in der Vorweihnachtszeit mit allen Beteiligten Einzelgespräche führte und vorigen Freitag seine Ideen vorlegte.

Sie sind geheim und derzeit nur Goetsch, von Beust und Initiativensprecher Walter Scheuerl bekannt. Alle drei erklärten, auf dieser Basis sei "ein Kompromiss möglich", obwohl die Positionen recht unversöhnlich zu sein schienen.

Goetsch und von Beust könnten sich Zugeständnisse beim Elternwahlrecht vorstellen, das reicht Scheuerl (siehe Interview unten) aber nicht. Er will Ausnahmen für Gymnasien, die mit Klasse 5 beginnen.

Von einer organisatorischen und zeitlichen Entzerrung bei der Einführung der Reform ist nun die Rede. Das Hamburger Abendblatt berichtete, Otto wolle "die Qualitätsverbesserung des Unterrichts in den Mittelpunkt" rücken und der Primarschule ein "inhaltliches Stufensystem" vorschalten. Die Auswertung solle ein unabhängiges Gremium übernehmen, in dem "auch die Kritiker sitzen". Die Folge wäre eine weitere Verzögerung der Reform.

Das Problem dabei: Im März 2012 sind wieder Wahlen. Startet die erste 5. Klasse der Primarschule erst nach diesem Termin, könnte eine neue Regierung die Reform aushebeln.

Die Debatte, ob man einen Volksentscheid riskieren sollte, geht durch alle Lager. Auch in der SPD gibt es Reformbefürworter und -gegner, und sogar die FDP ist in dieser Frage zerstritten. Schwierig wird die Lage für die Grünen. Christa Goetsch darf nicht zu sehr von der Reform abweichen, sonst würde sie ihre Unterstützer vergällen.

Käme es aber zu einem Volksentscheid und würde er verloren, stünde die Koalition zur Disposition. Ole von Beust hat für diesen Fall die Fortsetzung von Schwarz-Grün angeboten. Den Grünen stünde eine neue Zerreißprobe bevor.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

8 Kommentare

 / 
  • RD
    Roman Dudley

    @gerd

    Herr Otto hat die Schülerkammer befragt, also die Schüler mit in dem Prozess eingebunden.

     

    @Bittner

    Verbreiten Sie bitte nicht Unwahrheiten + werfen die Töpfe wieder durcheinander. Diese Verdrehung ist uralt. Es gibt eine klare Trennung der Finanzmittel und deren Verwendung. Ich dachte die Reformgegner sind etwas weiter mit ihrer Argumentation.

     

    @Fritz

    Wohl war, dass der Schulreform größter Schwerpunkt der GAL ist, aber es gibt auch andere wie Stadtbahn. Insgesamt merkt man sehr stark den Einfluss der GAL, sei es nur auch bei "Kleinigkeiten" wie Umwelthauptstadt Hamburg, Hamburg Energie usw. Ein Volksentscheid wird übrigens die Reform bestätigen, dass zeigen alle Entwicklungen z.Z..

  • RD
    Roman Dudley

    @Kristin

    @Christiane

    Ich glaube die Befürchtung, dass die Gesamtschulen mit Langform "zerschlagen" werden nicht begründet ist. Die vorhandenen Klassen 0-6 bleiben ja weiterhin bei den Gesamtschulen, werden aber jetzt nur "Primarschule" genannt und getrennt verwaltet. Die meisten Gesamtschulen betreiben bereits die neuen Lernmethoden die eingeführt werden sollen. Und die Schulen haben wie bisher recht große Bestimmungsrecht, wie unterrichtet wird. Bei diesen Schulen wird der Zusammenarbeit besonders eng sein. Einziger "Wermutstropfen" ist, dass die Homogenität (ER, SL usw.) nicht durchgehend ist und dass die Stadtteilschulen Kinder aus anderen Primarschulen aufnehmen "müssen", die vielleicht andere Unterrichtsmethoden kennen. Aber sich dagegen "abzuschotten", halte ich nicht für richtig.

  • RD
    Roman Dudley

    @Christiane

    Es waren nicht 184500, sondern realistischerweise etwa 150.000 tatsächlich gültige Unterschriften. Die Zahl 184500 kommt von WWL, der Wahlleiter hat nur bis für den Volksentscheid entscheidende 62000 gezahlt und geprüft, was danach kam interessierte ihm nicht. Die WWL Zahl wurde nie offiziell bestätigt. Aber egal, sind ja trotzdem eine Menge.

  • G
    gerd.

    Und wieder einmal wird alles auf dem Rücken der Schüler/innen und über deren Köpfe hinweg ausgetragen - wann werden die Kinder und Jugendlichen, die Schulsprecher/innen, die Abiturient/innen, die Grundschüler/innen, die Schulabbrecher von Herrn Otto gefragt, wie ihre Schule aussehen solle?

  • CB
    Carsten Bittner

    Bemerkenswert ist, mit welchem Geschick sich Frau Goetsch bis heute um eine seriöse Prüfung der Finanzierbarkeit ihrer Pläne herumgemogelt hat. In der Debatte über den als "Sondervermögen" euphemisierten Schattenhaushalt für den Schulbau ist mittlerweile von einem Zubaubedarf von 1,2 Milliarden Euro die Rede (Nein, das sind nicht die Sanierungskosten, die betragen 3 Milliarden und kommen noch on top!). Das ist ein vielfaches der ursprünglich einmal angekündigten 190 Millionen Euro, deren Finanzierung schon im letzten Jahr bestenfalls auf dem Papier gesichert war. Die Primarschulpläne müssen gestoppt werden, sonst hilft nur der Volksentscheid.

  • F
    Fritz

    Und nun stellen wir uns mal vor, die BI käme mit ihrem Volksentscheid durch. Dann könnten wir konstatieren das die GAL - abgesehen von den Posten natürlich - nichts, nicht das Geringste von den gerne kolportierten "grünen Inhalten" verwirklicht hat, sondern schlicht und ergreifend der Steigbügelhalter für von Beust war. Und die Schwatten lachen sich tot. Aber das tun sie ja ohnehin.

  • KL
    Kristin Langenstein

    Ich kann der Vorschreiberin nur recht geben. Als Grünen-Wählerin fühle ich mich von GAL-Goetsch verschaukelt, weil ausgerechnet die Gesamtschulen (Klasse 1 - 13) zerstückelt werden sollen. Dabei steht keine andere Schulart so sehr für langes gemeinsames Lernen! Nein, wir Grünen-WählerInnen (ich kenne viele andere) wollen den Bundeszauber nicht mehr mitmachen und hoffen, dass DIESE Reform gekippt wird. Danach ist der Weg dann frei für vernunftorientierte Lösungen.

  • CF
    Christiane Franksen

    Meine Kinder besuchen die Gesamtschule und deshalb musss ich hier in der taz mal eine Lanze für "Wir wollen lernen!" brechen:

     

    Es waren 184.500 (nicht 182.000, wie Sie schreiben) Unterschriften und die Initiative setzt sich nicht nur für die Erhaltung der Gymnasien ein, sondern auch für die Erhaltung der Stadtteilschulen und vor allem auch Gesamtschulen ab Klasse 5.

     

    Nur so kann es erfolgreiche Stadtteilschulen geben und die ausgerechnet von Christa Goetsch betriebene Zerschlagung der Gesamtschulen in zwei separate Schulen (Primarschule + Stadtteilschule) vermieden werden.

     

    Wir Gesamtschul-Eltern wollen die Goetsch-Primarschule nicht!