Streit über Migranten: Frankreich fordert "Notbremse"
Ein bilateraler Flüchtlingsgipfel zwischen Frankreich und Italien findet am Dienstag in Rom statt. Paris fordert eine neue Klausel im Schengen-Abkommen, die Grenzkontrollen erlaubt.
PARIS taz | Bei einem italienisch-französischen Gipfel in Rom möchte Silvio Berlusconi am Dienstag mit dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy eine Lösung für das Flüchtlingsproblem finden, das in den letzten Wochen für politische Spannungen zwischen den Nachbarländern gesorgt hat. Noch immer versuchen zahlreiche der bisher 29.000 Migranten, die via Mittelmeerinsel Lampedusa aus Tunesien oder Libyen nach Italien gelangt sind, in andere Länder weiterzureisen. Vor allem in Frankreich, wo viele von ihnen Verwandte oder Bekannte haben, hoffen sie Arbeit und Zuflucht zu finden. Die französischen Behörden hatten deswegen bereits die Polizeipatrouillen in der Grenzregion zu Ventimiglia an der Riviera verstärkt und Mitte April vorübergehend sogar Zugverbindungen unterbrochen, um einen Zustrom von Migranten zu verhindern.
Zugespitzt hatte sich der Konflikt, weil Italien einem Teil der Neuankömmlinge aus "humanitären Gründen" eine provisorische Aufenthaltsgenehmigung erteilt hat, die ihnen grundsätzlich die Weiterreise in jeden anderen Schengen-Staat erlaubt.
Am Osterwochenende eskalierten die Meinungsverschiedenheiten zu einer europäischen Krise: Präsident Sarkozy drohte kurzerhand damit, das Schengen-Abkommen zu "suspendieren". Europaminister Laurent Wauquiez erklärte im Journal du Dimanche, Schengen brauche eine "Notbremse", damit Mitgliedsstaaten einen plötzlichen Flüchtlingsstrom an der Grenze stoppen könnten. "Europa heißt nicht Freizügigkeit für illegale Einwanderer", betont Wauquiez. Da sich Paris nicht auf die bisherige Klausel für Ausnahmesituationen berufen kann, die nur vorübergehende Grenzkontrollen im Fall außergewöhnlicher Ereignisse wie im Präzedenzfall der Fußballweltmeisterschaft in Deutschland oder bei Gefahr für die Staatssicherheit vorsieht, müsse das Schengen-Abkommen von 1985 aktualisiert werden. Eine neue Klausel soll Grenzkontrollen erlauben, wenn ein Anrainerstaat seiner Pflicht der Sicherung der äußeren Grenzen das Schengen-Raums nicht gerecht werde.
Italien antwortete auf diese Forderungen zunächst lediglich mit dem Angebot verbesserter "technischer Kontrollen", unterstützt nun aber laut Außenminister Franco Frattini "eine Revision dieses Abkommens, um es einer sich rasch ändernden Welt anzupassen". Weder Paris noch Rom wollten "Schengen torpedieren", sagte er der Zeitung 24 Ore.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Der Fall von Assad in Syrien
Eine Blamage für Putin