Streit über Guantanamo-Gefangene: Aufnahme trotz niederer US-Motive
SPD und Grüne verlangen Aufnahme von Guantanamo-Häftlingen, selbst wenn Obama nur Prozesse vermeiden will.
BERLIN taz Selbst wenn die US-Regierung aus schnöden finanziellen Motiven versucht, Guantanamo-Häftlinge abzuschieben, sollte die Bundesregierung solche Häftlinge aufnehmen. Dies finden jedenfalls SPD und Grüne und verlangen, dass die Union, insbesondere Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU), Aufnahmebereitschaft zeigt.
In der Union kursiert das Argument, dass die Regierung des US-Präsidenten Barack Obama die Häftlinge des Folter- und Gefangenenlagers bloß an Europa loswerden wolle, damit diese keine teuren Haftentschädigungs- oder Schadenersatzklagen anstrengen. "Schwachsinn", urteilt darüber der SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz. "Das ist ein Fehlweg, der da in der Union diskutiert wird." Die USA müssten ohnehin den größten Teil der rund 250 Guantanamohäftlinge selbst aufnehmen.
Zudem sei klar, dass Europa nur den "leichteren Teil" übernehmen werde, sagte Wifelspütz der taz. "Wir werden keine gefährlichen Leute nehmen." Nach deutschen Recht sei dann auch frei zu prozessieren. Es sei allerdings möglich, dass Häftlinge, die nicht in ihre Heimatstaaten zurückkönnen und deshalb nach Deutschland kommen, durch das amerikanische Recht gehindert würden, die US-Regierung zu verklagen.
Der Grünen-Fraktionsvize Christian Ströbele erklärte, dass die Obama-Regierung in der Tat Schadenersatzforderungen in Millionenhöhe fürchte. "Es kann aber nicht sein, dass über Veantwortlichkeiten gestritten wird und die Unschuldigen in ihrem früheren Folterknast ausharren müssen", sagte er den Stuttgarter Nachrichten. "Sie müssen erst einmal raus, und haben dann selbstverständlich alle Freiheiten - auch die, zu klagen."
Zwar hat Schäubles Ministerium mittlerweile durchblicken lassen, dass man sich nicht ganz grundsätzlich dagegen sperrt, einzelne, von den USA als "unschuldig" deklarierte Häftlinge nach Deutschland kommen zu lassen. Hierzu müsse die US-Regierung jedoch nach ihren mannigfaltigen informellen Vorstößen auch einen ganz formellen Antrag stellen. Weiterhin behalte sich die Regierung eine eigene Sicherheitsüberprüfung vor.
Dies hat jedoch der Koalitionspartner SPD nie in Frage gestellt. Auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD), der Mitte Januar dem neuen US-Präsidenten öffentlich Unterstützung funkte, hat erklärt, es sei notwendig, "sich die einzelnen Personen sehr genau anzuschauen".
Auf die Frage, wie es nun weitergehen könne, verwies das Auswärtige Amt zuletzt auf Brüssel. Dort formuliert der Außenbeauftragte Javier Solana gerade mit dem Anti-Terrorbeauftragten Gilles de Kerchove an einer gemeinsamen Haltung - nicht ganz leicht, nachdem die EU-Gremien bereits heftig in der Sache gestritten haben. Spätestens Ende Februar soll ein entsprechendes Papier vorliegen, heißt es.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen