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Streit statt Bierjazz

■ Das kleine Kulturwunder des Bremer Nordens: Das „Kito“ in Vegesack feiert seinen fünften Geburtstag/ Interview mit Claus Hößelbarth

Das gerade erschienene Hochglanzmagazin „Feine Adressen“ nennt das Vegesacker „Kito“ eine „dynamische Kulturstätte“. Tatsächlich ist der urige Veranstaltungsort am Hafen inzwischen auch aus dem Bremer Kulturleben nicht mehr wegzudenken. Angestoßen durch das Wirtschaftsressort, das den Kulturstandort im Bremer Norden stärken wollte, gehen hier seit nunmehr fünf Jahren Jazz-, Folk- und Blues-Konzerte über die Bühne, aber auch Klassik und Neue Musik sind zu erleben – neben viel Kleinkunst, Kabarett und wissenschaftlichen Symposien. 750 Veranstaltungen zählte das Unternehmen in fünf Jahren. Jetzt, wo der Laden gut läuft, soll die staatliche Unterstützung vom Wirtschafts- an das Kulturressort übergehen. Die Brüder Claus und Lutz Hößelbarth sind die alleinigen künstlerischen und organisatorischen Leiter der Kito-Veranstaltungen. Der taz erzählte Ersterer, wie das Kulturwunder zu Vegesack gelang.

taz: Wie kommt denn das eigentlich zustande: Sie sind von Beruf Gestalter, 1989 sind Sie aus der DDR gekommen; heute sind Sie ein nicht mehr aus dem Bremer Kulturleben wegzudenkender Konzertveranstalter.

Claus Hößelbarth: Musik war mir nichts Fremdes. Ich habe ein Instrument gespielt und Jazzkonzerte organisiert. Trotzdem wollte ich eigentlich Glas herstellen – auch im Kito. Aber das Konzept für den Kito-Verein stand an, das Haus sollte nach dem Umbau für acht Millionen Mark einer kulturellen Nutzung zugeführt werden. Und da kann ich nur sagen, der wunderbare Holzbalkenraum hat selbst entschieden. Nach verschiedenen Analysen über die kulturellen Angebote des Bremer Nordens war es für mich dann ganz zwangsläufig: Zeitgenössische Kunst sollte hier stattfinden, auf einem grundsätzlichen Niveau von Streitkultur.

Was macht Ihr Bruder?

Den habe ich noch vor dem Mauerfall herübergeholt. Lutz macht die Technik, die Rechnungen, die Künstlerbetreuungen.

Können Sie – sehen wir eimal vom grundsätzlichen Niveau der Konzerte ab – auch noch andere Gründe für den Erfolg der Vegesacker Entwicklung nennen?

Abgesehen von dem teuren Paukenschlag der Eröffnung – wir hatten damals einen Straßentheaterkompagnie eingeladen – habe ich vorsichtig angefangen. Zunächst einmal gab es Gagen nur gegen Kasseneinnahmen. Unser Plus ist unsere Flexibilität. Wir können ganz schnell reagieren, wenn mal ein Großer auf der Durchreise ist, tritt er oder sie bei uns auch noch auf, anstatt herumzuhängen. Wir müssen deswegen niemanden fragen. Entscheidend waren die Kontakte zu Radio Bremen, zu Peter Schulze, Volker Steppat und damals Thorsten Müller. Dann konnte ich meinen eigentlichen Beruf nutzen: gestalten. Und ich wollte dem Haus ein unverwechselbares Gesicht geben, eine Atmosphäre, ein Klima. Es ist hier familiär, alle sind sich nah: Das wiederum macht eben dieser phantastische Raum.

Das ist ja auch gelungen. Sie halten relativ streng an avantgardistischen und innovativen Positionen fest. Für viele ist genau das das gesicht. svhreckt es auch viele ab?

Natürlich. Das kann und will ich nicht ändern. Operette findet im Kito nicht statt, auch keine Volkskunst und kein Mainstream. es gibt hier auch nicht das, was mit „Bierjazz“ bezeichnet wird. Wenn ich aber bedenke, wieviel Publikum zu den Jazzkonzerten aus Hamburg und Hannover kommt, dann habe ich meine kulturpolitische Aufgabe erfüllt. Da freuen die sich von der Wirtschaftsbehörde. Natürlich kann man auch sagen, es ist ein Spartenprogramm für eine „elitäre“ Minderheit. Diese Vorwürfe kamen auch, besonders aus der Jugendszene. Aber es gibt bei uns keine Ausgrenzung, alle Leute können in der Pause ohne Eintritt hinein, das gibt es sonst nirgendwo. Nein, dazu stehe ich, ich will geistige Querdenker, ich will weg von der reinen Unterhaltung, ich will einen Ort des Diskurses.

Haben Sie deswegen Ihr Programm so ausgeweitet? Sie machen regelmäßig Kabarett, und sie bieten unter dem Titel „Kito-Kolleg“ Vorträge und Diskussionen zu aktuellen gesellschaftspolitischen Fragen an.

Ja, sicher. Die Vorträge sind immer ausverkauft, es gibt also eindeutig diesen Bedarf. Die Angst davor, schwierige Inhalte nicht vermitteln zu können, nicht populär genug zu sein – das kann ich nicht verstehen. Deshalb haben wir nach den „Japantagen“ die Länderprojekte weiterentwickelt: „Indien verstehen“ ist das nächste. Mir wird's ganz schlecht von Ihrem Arbeitspensum. Wie informieren Sie sich denn überhaupt, damit am Ende wirkliche Qualität dasteht?

Das mache ich nicht allein. Ich dilettiere schon in so vielen Feldern, aber hier habe ich einen Lehrer, der zum Beispiel die Vorträge betreut. Ich kenne eine sehr gute Frau aus Berlin, die mir das Indienprojekt entwickelt. Nein, das kann ich nicht allein. Ich weiß nur immer sehr genau, was ich will und was nicht.

Bitte legen Sie noch einmal die Finanzen offen.

Der Etat, der jetzt auf das Kulturressort übergehen soll, wird gänzlich für die Personal- und Hauskosten verwendet. Das sind 400.000 Mark. Etwa der gleich Betrag kommt über Eintrittsgeld, aber auch über Sponsoren herein. Im vergangenen Jahr hatten wir 280.000 Mark Einnahmen.

Zum Jubiläum haben Sie sich drei Perlen geleistet.

Ja, heute abend singt die samische Sängerin Marie Boine, für mich eine der ganz großen Stimmen. Die nordnorwegischen Samen bezeichnen sich selbst als die „Indianer des Nordens“ und beklagen ihre jahrtausendelange politische und kulturelle Unterdrückung. Morgen ist Jasper van't Hof zu gast, ein Pionier des europäischen Jazzrock. ich meine, die unglaubliche Intensität seiner Kunst ist nur live wirklich zu erleben. Und für den Sonntag habe ich den Klavierkomiker Hans Liberg eingeladen, dessen neue Show „Jetzt auch für Frauen“ heißt. Fragen: Ute Schalz-Laurenze

Heute, 20 Uhr: Marie Boine (ausverkauft); Sa., 20 Uhr: Jasper van't Hof; So., 20 Uhr: Hans Liberg, „Jetzt auch für Frauen“; sämtlich im KITO, Vegesack, Alte Hafenstr. 30

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