Streit im Lesben- und Schwulenverband: Mehr Lobby für Lesben
Seit 2013 leitete Constanze Körner das Regenbogenzentrum. Dann kündigte sie aus Protest beim Lesben- und Schwulenverband.
![](https://taz.de/picture/2770498/14/90679449.jpeg)
Etwas wehmütig blickt Constanze Körner zurück. „Ich war ein langjähriges, sehr loyales Teammitglied und habe, glaube ich, viel dazu beigetragen, dass das Thema Regenbogenfamilien nicht nur für den Lesben- und Schwulenverband Berlin Brandenburg (LSVD BB), sondern auch gesellschaftspolitisch nach oben kam“, sagt sie. Seit 2005 hatte Körner dort im Projekt Regenbogenfamilien gearbeitet, 2013 das Regenbogenfamilienzentrum maßgeblich aufgebaut und seitdem geleitet. Aber schon im Laufe des vergangenen Jahres konnte sie sich immer weniger mit den Haltungen des Landesverbandes identifizieren.
Die Kommunikation zwischen Geschäftsleitung und Mitarbeiter*innen war im LSVD BB nicht mehr möglich. Nach ergebnislosen internen Gesprächen organisierten einige Mitarbeiter*innen einen Arbeitskampf, der von der Freien Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union (FAU) unterstützt wurde.
Thema waren die prekären Arbeitsbedingungen unter befristeten Verträgen, die mit hohen Überstunden und Krankenständen einhergingen, sowie das Maß an Mitbestimmung. Gefordert wurden eine Entfristung der Arbeitsverträge, eine interne Beschwerdestelle und die Anerkennung der FAU-Betriebsgruppe als Mitbestimmungsorgan. Auch diese Verhandlungen scheiterten und die Leitung ließ zum Jahresende eine Vielzahl der befristeten Verträge auslaufen.
Als Constanze Körner erfuhr, wie mit ihren Kolleg*innen umgegangen wurde, entschied sie zu kündigen: „Es war irgendwann klar, dass ich mich da rausziehen muss. Das war nicht das, wofür ich stehen wollte.“ Diese Entscheidung fiel ihr trotzdem nicht leicht. Das Regenbogenfamilienzentrum war ihre Idee gewesen und über die Jahre hatte sie sich mit dem deutschlandweit ersten Zentrum mit Beratungsangeboten und Gruppentreffen für Regenbogenfamilien einen Namen gemacht. Sie hatte es genossen, Menschen in der emotionalen Phase der Familiengründung zu unterstützen, die bei LGBT-Eltern zusätzlich durch die heterosexistische deutsche Rechtslage erschwert wird.
Der Blick zurück schmerzt. „Für mich ist nach wie vor schwer, dass langjährige Freundschaften und kollegiale Beziehungen kaputtgegangen sind. Daran knabber ich immer noch.“ Es war ein langer Prozess des Loslassens, der mit viel Leiden, auch für ihre Familie, verbunden war. „Meine Partnerin musste sich das ständig anhören“, sagt sie zerknirscht. Der monatelange Stress wirkte sich auch auf die Gesundheit der Mitarbeiter*innen aus. Für einige ihrer ehemaligen Kolleg*innen bedeutete das Ende ihres Vertrags die plötzliche Erwerbslosigkeit. Bitterkeit und Enttäuschung sind die Gefühle des gescheiterten Arbeitskampfs.
Arbeitskampf mit Konsequenzen
Beim LSVD BB ist der Stellenwechsel offiziell bereits Geschichte. Auf Anfrage der taz, welche internen Konsequenzen der Arbeitskampf beim LSVD BB hatte, verweist Geschäftsführer und Pressesprecher Jörg Steinert auf eine Pressemeldung von Ende Januar. Darüber hinaus möchte er keinen Kommentar geben. Die Pressemeldung hatte eine „Geschäftsordnung inklusive Verhaltenskodex, neue Strukturen und Handlungsmaximen“ angekündigt, die online einsehbar sind. Einige Handlungsmaximen klingen nach einem Entgegenkommen auf die Forderungen des Arbeitskampfes, andere nach einer Zurückweisung.
Einerseits weiß Constanze Körner, dass sie ihre Expertise und Vernetzung unabhängig von ihrem ehemaligen Arbeitgeber behält. „Ich habe was zu sagen und bin einfach deutschlandweit und darüber hinaus bekannt mit dem Thema und will da auch anknüpfen“, kann sie selbstbewusst von sich behaupten. Auf ihre Berufserfahrung kann sie sich verlassen. Ihr Blick in die Zukunft bleibt also, wie sollte es anders sein, auf Regenbogenfamilien eingestellt.
Sie hat schon neue Energie und Visionen. Im Februar dieses Jahres hat sie mit zwölf weiteren engagierten Frauen einen Verein gegründet: Lesben Leben Familie (LesLeFam) versteht sich als feministisch, inklusiv, antirassistisch und antifaschistisch und vertritt die Interessen von lesbischen Frauen in Politik und Gesellschaft. Körners Steckenpferd, die Regenbogenfamilien, soll über die Themen Schwangerschaft und Co. hinauswachsen. „Wir wollen größer und lesbenspezifisch denken. Das Familienthema ist größer als Kinderwunsch und Krabbelgruppe, sondern es geht auch um andere Lebensphasen, vom Coming-out bis zum Sterben quasi.“
Auf dem schwul-lesbischen Stadtfest, dem Dyke* March und anderen LGBT-Sommertreffen wird sich der junge Verein vorstellen. Aber schon zum Internationalen Tag gegen Homo- und Trans*phobie am 17. Mai stand Körner im T-Shirt mit Aufdruck von LesLeFam und verteilte strahlend Postkarten des Vereins.
„Für mich fühlt es sich jetzt nach viel mehr Freiheit an. Ich kann ganz anders gestalten und hab Leute an der Seite, mit denen das wirklich Spaß macht“, sagt sie. Nach dem Arbeitskampf bedeutet auch die Freiheit, sich neu auszurichten und die eigenen Ziele und Ideale klar vor Augen zu haben. Für Constanze Körner sind das feministische Fragen und lesbische Sichtbarkeit.
Im Alter arm
Der Fokus von LesLeFam auf Lesben, ihre Vernetzung und Förderung, sei dringend notwendig, sagt sie, auch in einer Zeit der gemeinsamen Kämpfe unter den Oberbegriffen queer oder LGBTI. Denn die Lebenssituation von queeren Frauen* – neben Lesben auch bisexuelle Frauen, viele trans* und inter* Personen – sei neben Homo- und Trans*phobie gleichzeitig stark von Sexismus geprägt: Lesbische Paare sind beispielsweise wesentlich stärker von Altersarmut betroffen als heterosexuelle oder schwule Paare.
Andererseits leide ihre Interessenvertretung darunter, dass sich in leitenden Positionen zu wenige Frauen befänden. Die lesbische Sichtbarkeit erfahre also strukturell zu wenige Fördermittel und politischen Druck, erklärt Körner. Bei LesLeFam wird Frauen die ordentliche Mitgliedschaft vorbehalten – „alle anderen dürfen aber Fördermitglied werden“, fügt sie lachend hinzu.
In der Ambivalenz zwischen Frustration über das jähe Ende beim Lesben- und Schwulenverband und der neu gewonnenen Freiheit bleibt trotzdem eine Konstante: die unsichere und finanziell prekäre Jobsituation.
Einige ehemalige Kolleg*innen haben so schnell keine nächste Stelle gefunden, und der Verein LesLeFam wird bisher ehrenamtlich bespielt. „Bis Gelder fließen, können zwei Jahre vergehen“, meint Körner. „Langweilig wird mir wirklich überhaupt nicht“, sagt sie zwar im Hinblick auf ihren vollen Terminkalender für LesLeFam – nur eben bis auf Weiteres unbezahlt.
Die Kröte des Arbeitskampfes ist, ein besonderes Gespür für Arbeitsbedingungen zu entwickeln. Und die sind in vielen sozialen Projekten ganz schön mau, so wundervoll ihre Inhalte sein können. Nach dem Arbeitskampf ist auf eine Art leider auch vor dem Arbeitskampf.
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