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Streit der Woche"Entwicklungsminister Niebel? Peinlich"

Guido Westerwelle: Außenpolitik. Dirk Niebel: Entwicklungshilfe. Das neue Kabinett ist besetzt. Nach welcher Qualifikation es dabei geht, bleibt umstritten.

Umstrittene Personalentscheidungen: Minister der FDP. Bild: dpa

BERLIN taz | Kurz nach der Vereidigung des neuen Kabinetts kritisiert der Entwicklungsexperte Franz Nuscheler die Ernennung des FDP-Politikers Dirk Niebel zum Entwicklungsminister als "die größte Peinlichkeit der schwarz-gelben Regierungsbildung". Viel schlimmer als dessen fehlende Fachkompetenz sei, "dass sich der neue Minister durch populistische Sprüche gegen einen Politikbereich zu profilieren versuchte, den er nun im In- und Ausland verteidigen soll", schreibt der langjährige Leiter des Instituts für Entwicklung und Frieden im "Streit der Woche" in der sonntaz. Das beschädige nicht nur das Ansehen des Enwicklungsministeriums sondern die öffentliche Wertschätzung von Entwicklungspolitik im Allgemeinen.

Die fünfzehn Minister des neuen Bundeskabinetts wurden in dieser Woche vereidigt. Die FDP besetzt fünf Ministerien, die CSU drei, die CDU sieben. Kritiker warfen der schwarz-gelben Koalition vor, einige Personalentscheidungen ließen die Frage offen, welche Sachkenntnis einzelne Minister für ihren Posten qualifiziere.

Der Politikwissenschaftler Claus Offe bezweifelt in der sonntaz, dass sich in Deutschland genügend Fachleute finden würden, die Minister wollen würden. "Der Vorrat an ministrablen Persönlichkeiten ist viel zu knapp, weil es sich stets um Jobs mit fraglicher Bestandsgarantie handelt", schreibt Offe. Für die nötige Sachkunde sei deshalb die Ministerialbürokratie zuständig. Für den Minister bleibe das Management seines Politikbereiches.

Im Gegensatz dazu spricht sich die frühere FDP-Politikerin Hildegard Hamm-Brücher für Minister mit Sachverstand aus. "Ich bin der Meinung, dass jeder Minister eine grundlegenede Fachkompetenz mitbringen sollte", schreibt Hamm-Brücher im "Streit der Woche". Um die Rechtfertigung einzelner Personalentscheidungen zu stärken, schlägt sie ein Anhörungs- und Zustimmungsrecht nach us-amerikanischem Vorbild vor. "Das Parlament sollte also nicht nur den Bundeskanzler wählen, sondern auch die Minister der Regierung", schreibt Hamm-Brücher.

Außer Nuscheler, Offe und Hamm-Brücher schreiben im "Streit der Woche" Cornelia Goesmann, Vizepräsidentin der Bundesärztekammer, der Satiriker Martin Sonneborn, der Rechtsanwalt Markus Deutsch und die taz.de-Userin Wiebke Meyer. Burkhard Schwenker, Chef der Unternehmensberatung Roland Berger, erklärt, warum es seiner Meinung nach keinen Unterschied zwischen einem guten Minister und einem Spitzenmanager gibt.

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19 Kommentare

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  • F
    Fränk

    GTI DRIVER ins Verkehrsministerium!

  • T
    ThomasR

    Alles halb so schlimm. Selbstverständlich werden in unserer Demokratie Ministerposten nicht aufgrund von Sachkompetenz, sondern aufgrund von parteiinterner Macht vergeben.

    2005 führte das zu einem neuen Kulturstaastminister Bernd Neumann. Und die Kulturszene fragte: Bernd wer?

     

    Dann hat er seinen Job doch nicht ganz so schlecht gemacht und sogar seinen Etat deutlich erhöht. Also erstmal abwarten.

     

    Niebel wäre schön blöd, wenn er nun sein eigenes Ministerium demontieren und abschaffen würde. Das hat bisher nur der letzte Postminister Wolfgang Bötsch geschafft.

  • P
    Pimpo

    Entwicklungszusammenarbeit mit China beschränkt sich heute weitgehend auf Technologietransfer und Beratung im Bereich Umwelt und Klimaschutz. Man kann von diesen Ländern nicht ernsthaft mehr Anstrengungen im Klimaschutz fordern und gleichzeitig die dafür erforderliche Technologie verweigern.

    So sieht dann wohl die im Koalitionsvertrag festgeschriebene neue Kohärenz in den Außenbeziehungen aus.

  • SM
    Stefan Meier

    Und zur Personalie Niebel: Das ist wohl keine Entscheidung von Merkel, sondern ein Koste-Nutzen-Kalkül von Westerwelle. Der sieht sich einem starken Guttenberg in einem anderen Aussenressort gegenüber, der ihm als Verteidigungsminister Kompetenzen streitig machen dürfte. Niebel hingegen wird den Ball im BMZ flach halten und die AA-Politik "abnicken". Aus meiner Sicht ist diese Besetzung kein Zeichen dafür, dass die Merkel Entwicklungshilfe nicht wichtig findet. Sie kann sehr gut einschätzen, dass das BMZ auch mit Niebel nicht kleinzukriegen sein wird.

  • SM
    Stefan Meier

    Die Diskussion über Entwicklungshilfe für China zeigt, was für ein verqueres Bild über die entwicklungspolitischen Realitäten in der deutschen Öffentlichkeit vorherrscht.

     

    Entwicklungshilfe ist mehr als eine Schüssel Reis für einen Armen oder eine Arme in der dritten Welt. Ersten gehören zu Entwicklungshilfe auch die technische Unterstützung im Klimabereich oder Wissenstransfer. Zweitens kann man lang gewachsene Beziehungen nicht von heute auf Morgen einfach so abschneiden. Das würde in China und Indien verständlicherweise auf Unverständnis stossen. Das würde für Deutschland langfristig mehr Schaden anrichten als nutzen.

     

    Vielmehr sollte man eine transparente Strategie zum Ausstieg aus den Entwicklungskooperationen mit diesen Ländern planen und bestehende Kooperationen in Angebote zu Marktpreisen überführen.

  • KB
    karin bryant

    Entwicklungshilfe fuer Laender wie China und auch Indien sollte umgehend gestrichen werden.Diese Laender sind sehr wohl in der Lage sich und seine Bevoelkerung selber zu unterhalten.Das Geld dass dann eingespart werden kann sollte in D. fuer die eignen Armen benutzt werden.

  • P
    Pimpo

    Diese Besetzung sagt wohl vor allem etwas über den Stellenwert der Entwicklungszusammenarbeit in dieser Regierung aus, es war die letzte zu vergebende Stelle, und nach dem aushandelten Proporz musste diese an die FDP gehen, da ist es dann auch egal, dass dem Herrn Niebel bisher zum Thema Armut nur "selber schuld" eingefallen ist.

     

    Die Ankündigung, aus der EZ mit China auszusteigen,ist denn auch purer Populismus, dieser Ausstieg ist nämlich bereits von der Vorgängerregierung entschieden worden. Peinlich, dass Medien so eine Null-Meldung überhaupt aufgreifen.

  • V
    vic

    Für Niebel wurde noch ein Posten gesucht, da er ein spezielles Verhältnis zu diesem Ressort pflegt, gab man ihm eben "Gedöns".

    Alle Vorteile des MdB, stressfrei und ohne Zeit oder Engagement zu investieren. Ein Traumjob für den Herrn.

  • GD
    GTI DRIVER

    PERESTROIKA - ENTWICKLUNGSHILFE BRAUCHT NEUES DENKEN

     

    Ich finde es gut, wenn ENDLICH mal ein Politiker mit kritischem Bewußtsein an dieses Ministerium herangeht. Entwicklungshilfe ist kein Selbstzweck. Wer meine Steuergelder als Entwicklungshilfe bekommt, der muß das auch wert sein.

     

    Es ist richtig, einmal über China als Entwicklungshilfeempfänger nachzudenken. Eine Atommacht, eine Weltraum-Macht, die von mir Entwicklungshilfe bekommt? Hallo? Sonst geht's Euch noch danke?

     

    Noch gar nicht lange her, da standen sogar die Saudis noch auf der Liste. Die Scheichs haben sich bei mir nie bedankt für die goldenen Wasserhähne, die ich ihnen finanziert habe.

     

    Pakistan hat seit 2002 gut 0,5 Milliarden von uns bekommen - eines der schauerlichsten, hyper-korruptesten Länder, das es auf der ganzen weiten Welt gibt. Dreimal dürft ihr raten, wo die Knete hingegangen ist.

     

    Hat die EU nicht den Palästinenser auf der letzten donor's conference 900 Millionen zugesagt? Wieviele Sprengstoffgürtel kann man davon kaufen?

     

    Es gibt soviel totale Drecksländer auf der Welt. Wir finanzieren sie alle. Ich bin froh, wenn das endet.

  • DG
    Dirk Gober

    Peinlich sind nur solche Artikel.

    taz, Linke, schon mal etwas von Argumenten gehört? Sie können, falls vorhanden, bloße Hetze nicht nur ersetzen.

    Traurig anzusehen, wie die Linken versuchen, die neue Regierung mit allen primitiven Vorschul-Mitteln schlecht zu reden. Ärmlich...

  • T
    TroyMcLure

    "Der Vorrat an ministrablen Persönlichkeiten ist viel zu knapp, weil es sich stets um Jobs mit fraglicher Bestandsgarantie handelt", schreibt Offe.

     

    Und damit beschreibt er vortrefflich die Unterschiede: während im Uni-, Forschungs- und Berufsbereich befristete Stellen völlig normal sind und auch den Reiz bieten nicht in einer Postion festzufahren, ist das auf einmal in der Politik ein Problem was dazu führt das in einem Land mit 80 Millionen Einwohnern angeblich zu wenige fähige Menschen für Ministerposten ausfindig gemacht werden können.

    Ich habe die Vermutung das es nicht an der sog, Bestandsgarantie des Ministerposten liegt, sondern an den Parteien in denen einfach keine fähige Menschen soweit aufsteigen, dass sie Anspruch auf Ministerposten hätten. Niebel ist da das beste Beispiel!

  • K
    kiki

    Sachkompetenz? Fachkenntnis? Oder gar Integrität? Alles total nebensächlich, solange die Personen "Muttis" Vertrauen haben.

  • GH
    G. H. Pohl

    Niebel - peinlich?

    Angesichts der heutigen „Politiker-Elite“ wird man zwangsläufig bescheiden. So freue ich mich inzwischen schon, wenn jemand nur peinlich, nicht aber schädlich ist…

  • S
    Schulz

    "Ich bin der Meinung, dass jeder Minister eine grundlegenede Fachkompetenz mitbringen sollte"

     

    Grundsätzlich ja richtig. Aber meiner Meinung nach hat Herr Niebel mit der beabsichtigten Streichung der Entwicklungshilfe für China auch schon etwas anderes mitgebracht, was bei sehr vielen Menschen mit immenser Fachkompetenz scheinbar nicht vorhanden ist: einen gesunden Menschenverstand.

  • A
    Anneliese

    Liebe Frau Strothmann,

    jetzt tun Sie mal bitte nicht so, als haetten andere Koalitionen es anders gemacht. Auf dieser Ebene ist Sachkenntnis kein Einstellungskriterium, traurig, aber wahr.

  • PB
    Peter Braun

    "'Ich bin der Meinung, dass jeder Minister eine grundlegenede Fachkompetenz mitbringen sollte', schreibt Hamm-Brücher..." Fachkompetenz wäre auch beim Schreiben nicht ganz unangebracht.

     

    "Der Politikwissenschaftler Claus Offe bezweifelt in der sonntaz, dass sich in Deutschland genügend Fachleute finden würden, die Minister wollen würden." Och, Minister wollen die wohl schon, aber Minister werden eher nicht.

  • J
    Jakob

    Verglichen mit Heidemarie Wieczorek-Zeul ist jeder auf dem Posten des Entwicklungsministers eine Starbesetzung, schon die Streichung der Hilfe für China ist der Schritt in die richtige Richtung.

    Wir müssten noch die Entwicklungshilfe an eine Geburtenkontrolle koppeln und erst dann würde sie überhaupt Sinn ergeben.

    Ich kann nur hoffen, dass Herr Niebel mehr Mut hat, als seine mut- und ideenlosen Vorgänge.

  • V
    vic

    Niebel verfügt durchaus über Fachkompetenz in seinem Ressort.

    Leider über negative.

    Aber was solls. Wer reisen kann, wird Außenminister und wer lügen kann Kanzlerin.

  • E
    eilbekermicha

    Herr Niebel wird sich in seiner Aufgabe als Entwicklungshilfeminister sicher noch entwickeln... wahrscheinlich braucht er dabei Hilfe... um dann ansatzweise ministrabel zu sein.

     

    Es gibt viele Deutungsmöglichkeiten für diese Entscheidung Merkels. Mit Sicherheit sagt Niebels Ernennung etwas über ihr Verhältnis zur Entwicklungshilfe aus. Wertschätzung für dieses Gebiet hätte zu einer anderen Personalie geführt.