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Streit der WocheVolkssport Blitzerwarnung

Für die einen ist es ein Akt der Solidarität, Autofahrer vor Blitzern zu warnen; für andere Ausdruck, dass gesellschaftliche Normen im Auto nicht gelten.

Ist es solidarisch oder unmoralisch vor Blitzern zu warnen? Bild: dpa

Die Frage, ob Warnungen vor Blitzern im Straßenverkehr, die im aktuellen Streit der Woche gestellt wurde, moralisch sind, trennen die Bevölkerung. Die einen, Autofahrer in der Regel, finden nichts Verwerfliches dabei, andere Autofahrer vor Radarkontrollen zu warnen. Im Gegenteil, die schiere Existenz dieser Kontrolltechniken empört sie.

Sie fühlen sich in ihrer Autofahrerfreiheit eingeschränkt, fühlen sich betrogen, hintergangen, abgezockt wie der Generalsyndikus des ADAC Werner Kaessmann im sonntaz-Streit sagt: „Wenn beim Blitzen aber offensichtlich finanzielle Überlegungen überwiegen, um damit marode kommunale Haushalte statt maroder Straßen zu sanieren, fühlt sich der Autofahrer abgezockt.“

Ganz anders beantworten Leute, die die Gefahren des Autofahrens im Blick haben, die Frage. Für sie sind Warnungen vor Blitzern, wie sie halbstündlich über die Radiostationen gesendet werden, wie man sie im Netz abrufen oder sich gar aufs Handy laden kann, im höchsten Maße verwerflich.

„Während wir gemeinhin Menschen schätzen, die ihre Mitmenschen uneigennützig vor Fallstricken schützen, bewahrt die Blitzerwarnung den Autofahrer vor den Folgen seines egoistischen und gefährlichen Tuns“, sagt etwa Dirk Flege vom Verkehrsbündnis Allianz pro Schiene.

Die Macht der Autofahrer

Bild: taz

sonntaz

Den kompletten Streit der Woche und viele spannende Texte lesen Sie in der sonntaz vom 08./09. September 2012. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz.

Bei vierzig Prozent der Unfälle ist zu schnelles Fahren Unfallursache. Jeder dritte Unfalltote geht auf Geschwindigkeitsüberschreitung zurück. Im ersten Halbjahr 2012 gab es 1,16 Millionen Unfälle mit 184500 Verletzten und 1693 Toten – horrende Zahlen sind das.

Trotzdem beharren Autofahrer, darunter auch der Leiter der Zeitenspiegel-Reportageschule und ehemalige taz-Kolumnist Philipp Mausshardt darauf, dass Geschwindigkeitsbegrenzungen für solche AutofahrerInnen sind, „die nicht selbst entscheiden können oder wollen, wie schnell oder langsam sie in bestimmten Situationen oder an bestimmten Gefahrenstellen fahren sollen.“

Und er geht noch weiter: „Alle anderen, also diejenigen, die sich ein eigenes Urteil über die Höhe ihrer Geschwindigkeit erlauben, werden durch Radarmessungen in ihrer Entscheidungsfreiheit eingeschränkt.“ Mausshardt wurde kürzlich wegen zu schnellen Fahrens verurteilt und geht demnächst für zwei Tage dort in den Knast.

In die Zuständigkeit von Anja Ritschel, die in Bielefeld Beigeordnete für Umwelt und Klimaschutz ist, fällt die angeblich berühmteste Blitzerfalle Deutschlands auf der A2. Pro Jahr werden dort etwa 200.000 Autofahrer geblitzt, die sich nicht an die Geschwindigkeitsbegrenzung bei diesem neuralgischen Unfallschwerpunkt halten. Und dies, obwohl von amtlicher Seite vor der Radarfalle zwei Mal groß auf die Radarfalle hingewiesen wird. Die einen, vornehmlich eben die Autofahrer, sehen nur die Blitzerfalle, die anderen sehen das Problem.

Die Gesellschaft im Auto

Studien belegen, dass Geschwindigkeitskontrollen wirkungslos wären, wenn sie nicht mit Verwarnungen und Bußgelder kombiniert sind. Nur aufgrund der Androhung von Strafe also, sind Autofahrende bereit, sich an Regeln zu halten. Dass sich dahinter im Grunde eine grobe Missachtung gesellschaftlicher Vereinbarungen verbirgt, bringt Moritz Maus, der die Frage, ob Blitzerwarnungen unmoralisch sind auf taz.de kommentierte, auf den Punkt.

Er vergleicht Autofahrer mit einer Spezies, die von ihren Kommunikationsmöglichkeiten eher dem Tierreich als dem Homo sapiens nahe steht. Tiere kommunizieren durch Körpersprache und Laute. Dem entsprechen Fahrverhalten und etwa die Hupe oder Lichthupe der Autofahrer. Einen direkten sozialen Kontakt mit anderen hat ein Autofahrer, der in der Regel alleine im Auto sitzt, nicht.

Er fühle sich im Auto „frei von Gesellschaft“. Eine falsche Wahrnehmung ganz klar. Eine effektive Verkehrskontrolle bedeute daher auch: die Gesellschaft „ins Auto zu bringen“. „Warnungen vor Kontrollen suggerieren hingegen, dass die gesellschaftlichen Normen im Auto eigentlich nicht gelten.“ Besser bringt es niemand auf den Punkt.

Die sonntaz-FrageSind Warnungen vor Blitzern unmoralisch" diskutieren außerdem Maria-Sibylla Lotter, Philosophiedozentin an der Universität Stuttgart, Bettina Cibulski, Pressesprecherin der Allgemeinen Fahrrad-Clubs und Hartmut Hoffmeister, Verkehrssicherheitsexperte beim Radargerätehersteller Jenoptik – in der sonntaz vom 08./ 09.September. Die sonntaz gibt es auch im Wochenendabo.

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12 Kommentare

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  • S
    systemix

    Was den US-Amerikanern die National Rifle Association (NRA) ist, heißt in der BRD eben ADAC. Was will man von einem Volk erwarten, welches nach dem Motto lebt: "Erst ein eigenes Auto, dann ein eigenes Häuschen im Grünen und zum Schluss vielleicht eine eigene Meinung." Dieses "Freie Fahrt für freie Bürger!" zeigt doch, welchen Stellenwert Demokratie besitzt. Nämlich keinen, Hauptsache man kann schnell fahren.

     

    Geistig und moralisch gesehen lebt dieses Volk immer noch im Stadium nach Kriegsende. Dort lautete die Maxime: "Man muss sehen, wo man bleibt." Darum werden Gesetze nur befolgt, wenn sie nicht unbequem sind. Da ist gar nicht soviel Tiefenpsychologie notwendig. Ein Volk, welches täglich sieht, dass sich nur Egoismus auf Kosten anderer auszahlt, das entwickelt eben kein soziales Mitgefühl. Lediglich dann, wenn ich wieder einmal eine Beerdigung gestalten muss, bei der es ein Verkehrsunfallopfer gab, spürt man etwas von kollektiver Trauer. Diese ist dann aber auch von Selbstmitleid und Furcht geprägt, dass es einen selbst demnächst erwischen könnte.

     

    Denn, wer unsere Münsterländer Bauern auf den Landstraßen rasen sieht, der ahnt, was dort so alles an Persönlichkeitsdefekten kompensiert werden muss.

  • J
    JadotA

    Vertippt.

    Es heißt natürlich PuLITzer-Preis und nicht wie ich da schrieb. (Ursprung ist Pulitzei, nehme ich an).

  • 4
    4tehlulz

    "Ich fahre auch nur mit dem Fahrrad und empfinde gegenüber den Autofahrern nichts als Verachtung."

     

    aha. ein stadtmensch, nehme ich an?

     

    sollen die auf dem land halt den fast nichtexistenten öpnv benutzen! oder 10 km in alle richtungen mit dem fahrrad fahren, für dinge der grundversorgung!!1

     

    außerdem, autofahrer sind wahrscheinlich eh _alles_ nazis, wenn nicht schlimmer! alle!

     

    "In 30er Zonen, beschildert mit "Schulkinder", wo

    Busse einer zur Stadt gehörenden Verkehrsgesellschaft fahren, wo diese Drecksfahrer ihre Geschosse mit

    weit überhöhter Geschwindigkeit bedienen, wird nicht kontrolliert."

     

    GENAU! diese dreckigen busfahrer gehen mir auch schon die ganze zeit auf die nerven! was beschweren die sich, die sind bestimmt alle vollkommen überbezahlt und müssen sich bestimmt nicht den ganzen tag von Drecksfahrgästen annerven lassen, und haben bestimmt auch keinen druck weil viel zu wenige fahrer viel zu viele stationen bedienen müssen!

     

    "Noch besser wäre es eine GPS-Blackbox zur Pflicht für alle Autos zu machen."

     

    das könnte man dann auch einfach automatisch nach flensburg schicken!

  • H
    Heiner

    Das Problem ist, dass Radarkontrollen hauptsächlich dazu dienen, das Staats/Stadtsäckel zu füllen und nicht dazu, die Verkehrssicherheit zu erhöhen.

    Ein Beispiel: bei uns Nahe Mühldorf gibt es eine sehr gefährliche Kreuzung, die nicht einsichtig ist. Dort ist Geschwindigkeit 7o erlaubt. Ich fahre diese Strecke täglich mehrmals und habe dort noch NIE eine Radarkontrolle erlebt, obwohl dort in den letzten Jahren mehrere Menschen gestorben sind.

    Dafür wurde an einer anderen völlig geraden breiten Strasse die Geschwindigkeit vor einem Jahr von 100 auf 70 reduziert (es gibt keine Kreuzungen, keine uneinsichtigen Ecken). Keinem ist ersichtlich wozu die Geschwindigkeitsbegrenzung eingeführt wurde und die meisten fahren dementsprechend schnell. Gerade hier finden sich wöchentlich mindestens einmal eine Radarkontrolle. Für die meisten (und auch für mich) eine gesteuerte Abzocke. Und dazu könnte ich mehrere Beispiele nennen.

    Nicht dass mich jemand falsch versteht: Dass gerade an gefährlichen Stellen Geschwindigkeitsbegrenzungen und Radarkontrollen notwendig sind, ist selbstverständlich.

  • R
    RedHead

    Also zum einen existieren ja wohl tatsächlich Blitzer an Stellen, an denen schwer einzusehen ist, wie das der Verkehrssicherheit dienen soll. Zum anderen existieren aber auch reale Unfallschwerpunkte, an denen die Leute regelmäßig zu schnell fahren - was man vernünftigerweise ändern will, indem zu schnelles fahren sanktioniert wird. Nun schützt eine Blitzerwahrnung vor eben solchen Sanktionen, aber wie tut es das? Indem die Leute an entsprechender Stelle langsam fahren! Das sollte doch gerade der gewünschte Effekt von Blitzern sein, wenn es nicht um Abzocke geht, richtig?

    Interessant ist jetzt eigentlich nur noch die Frage, ob die Blitzerwarnungen den Effekt haben, dass die Autofahrer sich durch die Blitzerwarnungen beim zu schnell fahren an den Orten sicher fühlen, an denen gerade nicht gewarnt wird und deshalb zu schnell fahren. Sollte dem nicht so sein, kann ich darin lediglich einen positiven Effekt auf die Verkehrssicherheit erkennen, andernfalls hat es womöglich einen negativen. Das ganze sollte wissenschaftlich untersuchbar sein, wodurch die Diskussion um bloße Meinungen sinnlos werden würde. Sollte sich durch wissenschaftlich saubere Untersuchungen heraus stellen, dass durch Blitzerwarnungen die Verkehrssicherheit real sinkt, wäre ich dafür diese zu sanktionieren.

  • J
    JadotA

    Kein Blitzer hat je einen Unfall fotographiert, ein Beweis dass es nicht um Geld geht, sondern um Kunst.

    Etwa wie à la Newton mit Aktfoto.

     

    Hupen bzw. warnen heißt für Introvertierten "Vorsicht, da lauert ein Voyeur, der will an deine nackte Nummer ran, und dich damit erpressen."

     

    Inzwischen ist die Bildmafia festen Bestandteil der Gesellschaft. Die Erweiterung mit Cam, Röntgen und manuell per FH-securitate ist die logische Entwicklung dieser Krankheit und die Passivität der Opfer.

     

    Selten erlangt ein Radarbild den Putlizer-Preis.

  • R
    reblek

    "Generalsyndikus des ADAC Werner Kaessmann" - Was soll der wohl schon sagen, als dass jede Maßnahme "gegen" Autofahrer(innen) ein Frevel ist?

    "Nur aufgrund der Androhung von Strafe also, sind Autofahrende bereit... Eine falsche Wahrnehmung ganz klar." - Vorschlag: Komma hinter "also" weg und hinter "Wahrnehmung" rein, dann stimmt's.

    "Warnungen vor Kontrollen suggerieren hingegen, dass die gesellschaftlichen Normen im Auto eigentlich nicht gelten." - Nirgends wird so häufig gegen Rechtsvorschriften verstoßen wir hinter dem Steuer eines Autos.

  • SM
    Stephan Mirwalt

    Man sollte dem deutschen Spießer das Autofahren komplett untersagen.

     

    Ich fahre auch nur mit dem Fahrrad und empfinde gegenüber den Autofahrern nichts als Verachtung.

  • A
    Anno

    Gegen Blitzer vor Schulen und Kindergärten (tagsüber!!) habe ich nichts.

     

    Problematisch wird es dann, wenn auf freier Strecke eine erhebliche Absenkung des Tempos stattfindet, kombiniert mit einem Blitzer, nur um die Gemeindekasse zu füllen.

  • W
    Wolf

    Volkssport "Blitzerwarnung".

     

    Richtig !

     

    Die Kontrollwagen stehen stetig nur in Bereichen, wo es viel abzuzocken geht, also in Zonen, wo starker Verkehr fließt.

     

    In 30er Zonen, beschildert mit "Schulkinder", wo

    Busse einer zur Stadt gehörenden Verkehrsgesellschaft fahren, wo diese Drecksfahrer ihre Geschosse mit

    weit überhöhter Geschwindigkeit bedienen, wird nicht kontrolliert.

     

    Na ja, eine kommunale Dreckskrähe oder unmotivierte Polizei, hackt seinen Krähen-Kollegen bei der Verkehrsgesellschaft halt kein Auge aus.

     

    Deshalb rate ich in solchen Fällen Petition

    beim zuständigen Bundesland über einen Abgeordneten

    einer Partei, die nicht i.d. Landesregierungsverantwortung steht, einzureichen.

    Der Petitionsausschuss fordert dann bei allen beteiligten Dienststellenleitungen Stellungnahmen an.

    Zudem sollte immer in Fällen der behördlichen Untätigkeit zusätzlich die diverse Presse eingeschaltet werden.

     

    Es ist zum kotzen, was in diesem Land an Rechtsbeugung und Untätigkeit abläuft !

  • F
    felix

    Wer ein Schild mit einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit nicht lesen, geistig verarbeiten und umsetzen kann, sollte nicht nur zahlen, sondern den Führerschein bei der zweiten Übertretung innerhalb von einem Jahr abgeben müssen.

     

    Noch besser wäre es eine GPS-Blackbox zur Pflicht für alle Autos zu machen. Anhand des GPS-Standortes weiß man, ob sich ein Auto innerhalb einer Ortschaft, auf einer Landstrasse oder Autobahn befindet. Eine automatische Motordrossel sollte den Motor dann einfach auf die erlaubte Geschwindigkeit drosseln - egal wie tumb der Autofahrer aufs Gaspedal latscht - das Auto soll einfach nicht schneller wie erlaubt fahren.

  • TL
    Tim Leuther

    An sich finde ich das ganze Rasen auch Pubertär. Aber als Nichtautofahrer und Städter hat man da vielleicht auch leicht reden. Auf einigen Landstraßen fragt man sich nebenbei schon, warum man da nur 100 fahren soll.

     

    Vor allem wenn man aber weiß das Blitzen sehr wohl sich in der Regel an den Verdienstmöglichkeiten orientiert, und wenn es sogar Firmen gibt die Blitzer an Gemeinden gegen einen Anteil der Strafen vermieten, dann ist das Ende der Fahnenstange erreicht. Das ist dann Privatisierte Steuererhebung. Um Unfälle geht es dann gar nicht mehr.

     

    Ein besonders absurdes Beispiel wurde mal realer Irrsinn:

    http://www.youtube.com/watch?v=vsENcmBOrnI

     

    Da regt sich tatsächlich ein Landrat auf, das die Leute sich an die Geschwindigkeit halten.