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Streit der Woche Gesundheitssystem"Herzinfarkte sind die Folge"

Haben wir das weltbeste Gesundheitssystem? Ja, sagt die grüne Gesundheitspolitikerin Bender. SPD-Experte Lauterbach widerspricht.

„Zu den besten gehören wir, weil der Zugang zu Leistungen allen offen steht": medizinische Versorgung in Deutschland. Bild: dpa

Gesundheitsexperten kritisieren eine Zwei-Klassen-Versorgung in Deutschland. Im Streit der Woche der sonntaz benennen der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Karl Lauterbach, und die Präsidentin des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe, Gudrun Gille, Missstände des Gesundheitssystems.

Lauterbach macht das deutsche Gesundheitssystem für eine unterschiedliche Lebenserwartung zwischen Arm und Reich verantwortlich. Es werde zu wenig in Vorbeugung investiert, nur vier Prozent der Ausgaben, argumentiert Lauterbach in der sonntaz. „Folge sind überdurchschnittlich viele Schlaganfälle und Herzinfarkte. Dies betrifft besonders die Einkommensschwachen“, schreibt Lauterbach. Durch die Zweiklassenmedizin, die Patienten ohne Privatversicherung oder Zusatzversicherung benachteilige, würden die Gesundheitsunterschiede verstärkt, sagt der gesundheitspolitische Sprecher.

Auch Gudrun Gille benennt die „Schattenseiten“ des Gesundheitssystems: „Hinter den Kulissen baut sich eine Zwei-Klassen-Versorgung auf.“ Zwar sei der Solidargedanke im System und in den Köpfen der Menschen verwurzelt. Doch viele Pflegebedürftige tragen gemeinsam mit den Angehörigen große Lasten der Versorgung ohne Hilfe der Solidargemeinschaft, sagt Gille. Denn die international anerkannte Pflegeversicherung gehe noch immer von einem überholten Pflegebedürftigkeitsbegriff aus. Auch das Verhältnis von Pflegepersonal und Patienten sowie die Qualität pflegerischer Ausbildungen fielen laut Gille im internationalen Vergleich ab.

taz

Den gesamten Streit der Wochen lesen Sie in der aktuellen sonntaz vom 17./18. April - ab Sonnabend zusammen mit der taz am Kiosk erhältlich.

Die gesundheitspolitische Sprecherin von Bündnis90/ Die Grünen, Birgitt Bender, hält das deutsche Gesundheitssystem dagegen für das weltbeste. „Zu den besten gehören wir, weil der Zugang zu Leistungen allen offen steht. Innovationen werden direkt eingeführt und kommen allen zugute“, sagt Bender. Anders als in den USA stürze man in Deutschland mit einer schweren Erkrankung wie Krebs nicht in die Armut. Gerade in der Akutmedizin ist Deutschland laut Bender Spitzenklasse. Aber die Grünen-Politikerin kritisiert, dass sich Privatversicherte der Solidarität entziehen können: „Deutschland leistet sich den überflüssigen Luxus des Nebeneinanders zweier sehr unterschiedlicher Versicherungssysteme.“

Im Streit der Woche debattieren außerdem Doris Pfeiffer vom Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung, Patientin Doris Dell'Antonio, Medizinjournalistin Gaby Guzek und Rudolf Henke vom Ärzteverband Marburger Bund.

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10 Kommentare

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  • HT
    Huber Tus

    Das Gesunheitswesen ist ein wunderbares Beispiel einer Solidargemeinschaft, deren Interesse es ist, dass die Menschen eine ärztliche Versorgung bekommen, wenn sie benötigt wird.

     

    Finanziert werden muss dieses Solidarsystem von allen die davon betroffen sind, also jeder (vom Baby bis zum Greis), von den Krankenhäusern, Ärzten, Apotheken, Heilpraktiker und der Pharmaindustrie. Der soziale Ausgleich wird von der Lebensweise der Menschen und deren Einkommen festgelegt. Alle anderen werden zur Kasse gebeten, je nachdem wie hoch der Profit war. Frei nach dem Motto: Mit der Krankheit der Menschen wird kein Geschäft gemacht, sondern sie wird durch gesunde Lebensweise und optimaler Behandlung ausgerottet.

  • H
    heikemai

    Das Grundübel unserer Gesundheitspolitik ist in meinen Augen die Tatsache, dass dem Verantwortungsgefühl des einzelnen Menschen für seine eigene Gesundheit, viel zu wenig Bedeutung beigemessen wird. Man streitet darüber, wer soll wem was und wieviel bezahlen. Anstatt zu fragen: "Was, mein Lieber tust Du selbst, um gesund zu bleiben?"

    Ob man ein gutes "Gesund"-heitssysthem hat, sollte nicht davon abhängen, wer die Medikamente und Therapien bezahlt, sondern ganz klar davon, was man dafür tut, die Menschen erst gar nicht krank werden zu lassen.

    Ich befürchte allerdings, dass daran wenig Interesse besteht, denn damit ist nicht allzu viel Geld zu verdienen.

  • C
    claudia

    Erhaltung der Gesundheit und hoher Standard bei der Behandlung von Krankheiten sind zwei verschiedene Dinge.

    Möglicherweise könnte die Menge der medizinischen Behandlungen geringer sein, wenn gesundheitschädigende Einflüsse von Lebens- und Arbeitsbedingungen abgebaut würden.

    Weder der als normal angesehene Arbeitsstreß noch die Unmöglichkeit, sich bei langanhaltender Arbeitslosigkeit und mit Armutslöhnen gesund zu ernähren gelten nicht als "gesundheitspolitische” Themen, weil die Opfer als Sündenbock für die Kostensteigerung gebraucht werden.

     

    ---

    Daß die Finanzierungsprobleme zu einer "Klassenmedizin" führen, wird eigentlich von niemand direkt bestritten.

    Die Ursache der Krankenkasseninsolvenz ist bekannt, wurde aber von oben erfolgreich aus den Diskussionen eliminiert: Die Arbeitsentgelte und damit die Einnahmen der gesetzlichen Krankenkassen sinken seit langer Zeit koninuierlich ab.

    Es wird immer wieder gesagt:

    a) „Wir haben einen hohen Behandungsstandard”.

    b) „Die Kosten sind zu hoch, wir müssen Kostensenkung betreiben.”

    Ob einfach die Beitragszahler zu arm geworden sind, wird nicht gefragt.

    Die Sorgfalt, mit der „Gesundheitspolitiker” die Tabuisierung dieses Problems betreiben finde ich sehr auffällig.

     

    ---

    Pauschalaussagen über einen grundsätzlich hohen Behandlungsstandard sagen nichts über die Fehlerquote aus.

    Wenn Behandlungsfehler moniert werden, dann gehen auffällig oft Untersuchungs- und Behandlungsunterlagen „verloren”. An anderen Ort wurde dazu schon mal der Begriff „Facharzt für Datenverlust” geprägt.

    Gerichtsgutachter betreiben oft eher Kollegenschutz als objektive Beurteilung des Falles. Juristen sind in der Regel überfordert.

    So wird dafür gesorgt, daß die hohe „Dunkelziffer” bei Behandlungsfehlern nicht beleuchtet werden kann. Die Folgen von Behandlungsfehlern sind aber ein kostentreibender Faktor, der den Kassen aufgebürdet wird, obwohl eigentlich die Haftpflichtversicherer dafür aufkommen müßten.

     

    ---

    In großen Städten haben sich privatkapitalistische „Medzinische Versorgungszentren” etabliert. Sie sind mit Laboratorien und Diagnosetechnik ausgerüstet, die früher nur große Kliniken hatten.

    Ist gewährleistet, daß teure Untersuchungen immer nur zielführend angewandt werden und nicht einfach profitorientiert?

     

    ---

    >>Auch das Verhältnis von Pflegepersonal und Patienten sowie die Qualität pflegerischer Ausbildungen fielen laut Gille im internationalen Vergleich ab.>„Deutschland leistet sich den überflüssigen Luxus des Nebeneinanders zweier sehr unterschiedlicher Versicherungssysteme.“

  • N
    Nigredo

    Die Frage ist völlig überflüssig, denn in Bezug auf das Gesundheitssystem hat ja jeder das weltbeste System. Die Amis, die Kanadier, die Briten, die Franzosen, die Deutschen usw, jeder weiss, dass gerade er das beste System hat. Jedenfalls behaupten das die Politiker.

     

    Ersteinmal muss man definieren, was denn das Beste ist: Geht es um die beste medizinische Versorgung der Patienten? Dann stehen vermutlich Staaten die Kanada, Kuba oder Großbritannien recht weit vorn.

    Geht es um die beste finanzielle Versorgung der Ärzte, Apotheker und vor allem Krankenkassen? Dann geht nichts über das amerikanische System, bei dem einem gekündigt werden kann, weil(!) man krank wird.

    Geht es darum, für eine plutokratische Elite eine sehr gute Versorgung zu gewährleisten, für den Rest aber gerade so eine halbwegs vernünftige Grundversorgung? Dann haben wir wohl das weltbeste...

  • TM
    Thomas Meyer

    Unsere Medizin liegt auf dem Teller. Gerad Departieux

  • QW
    "anonym" - Wels in Oberösterreich

    Deutschland leistet sich, die Pflanzenheilkunde

    des Fernen Ostens in seinem Versicherungssystem

    nicht zweckmäßig zu bewerten:

     

     

    Antwort auf "Judas, der Verräter" - "17.04.2010,

    09:35" (auf dem "Gästebuch der Stadt Graz")

     

    1738 habe die Statue des "Gegeißelten Heilands"

    der Wieskirche bei Steingaden vor der Bäuerin

    Maria Lori zu weinen begonnen. Ich schlief zuletzt

    unweit der Kirche im Freien - geübt als euro-

    päischer Autostopper zwischen Trondheim und

    Madrid schon vor 1968. Die Wieskirche ist im Le-

    xikon SCHNELLKURS WELTWUNDER von Matthias

    Vogt genau vor der Shwedagon-Pagode von Yan-

    gon eingetragen: in welcher sich 8 Haare des

    Buddha Siddharta Gautama befinden sollen.

    Aber: wenn Sie die Jahreszahl 1738 lesen, an

    welche zweite Jahreszahl denken Sie da?

  • V
    vantast

    Kann mir nicht vorstellen, daß es das beste sein sollte, wenn es von mafiösen Strukturen beherrscht wird. Wo ist die Positivliste geblieben? Als ein Abgeordneter der CSU vor vollem CSU-Haus behauptete, daß etwa 2/3 der Abgeordneten von der Pharmamalobby subventioniert werden, regte sich keine einzige Gegenstimme, auch Seehofer sagte nichts, der doch die Positivliste durchbringen wollte.

  • FV
    Franz von Hahn

    Naja, man sollte sich auch die Frage stellen, ob geringere Lebenserwartung bei ärmeren Bevölkerungsschichten vielleicht auch zu weiten Teilen anders bedingt sein könnte als durch schlechtere medizinische Versorgung.

     

    Mit hohem Einkommen ist man eher bereit Zeit und Geld aufzuwenden, die um seine Gesundheit relativ zu verbessern. Mit niedrigeren Einkommen gibt man vielelicht Konsum in anderen Bereichen den Vorzug. Die Präferenz für Gesundheit steigt mit dem Einkommen nachweislich.

     

    Niedrige Einkommen sind außerdem sehr stark mit niedrigem Bildungsniveau korreliert. Gesundheitsbewusstsein geht mit dem Bildungsniveau einher. Folglich sind Empfänger niedriger Einkommen auch bei gleicher medizinischer Versorgung ungesünder.

     

    Ferner sind körperliche Belastungen bei Berufen niedriger Einkommen tendenziell höher. Es gibt u.U. mehr Verschleißerscheinungen.

     

    Ich wage zu beweifeln, dass bei den meisten dieser Gründe als Politiker zu vertretbaren Kosten ernsthaft eingreifen kann. Arbeitsschutz bringt es vermutlich und etwas Ernährungskunde in der Schule. Dazu kenne ich aber keine Empirie.

     

    Ich bin zwar kein Freund der momentanen PKV-Öffi Trennung, doch ist es in diesem speziellen zusammenhang Quatsch die schlechtere Gesundheit bei niedrigeren Einkommen auf diese Trennung zurückzuführen oder gar zu meinen, dass die Versorgung sich bessern würde, wenn man die PKV einstampft. Das Problem liegt ja gerade am anderen Ende des Systems.

  • N
    nichtvermietbar

    "...in welcher kasse sind sie? ah, nicht in der tk? also da müssen sie schon mit einem halben jahr wartezeit rechnen....." so geschehen im atriu-med, hamburg, jarrestrasse. zwei-klassen medizin? ja....

  • J
    jumboklickert

    Nun ist es ja so, dass natürlich der immerwährende Stress wegen der Sorge um das Morgen gerade bei denjenigen, die materiell nicht gut abgesichert sind, dafür sorgt, dass Herz- und Kreislaufkrankheiten ihr Leben gefährden. Klar ist: Dick, faul und reich lebt man durchschnittlich länger als schlank, fleißig und arm. Aber: Gesundheitsökonomen haben nachgewiesen, dass in Gesellschaften mit gerechterer Verteilung, also mit geringeren Unterschieden zwischen Reich und Arm, nicht nur die am unteren Ende länger leben sondern eben auch die Reichen davon profitieren! Es ist also sowohl volkswirtschaftlich als auch aus Eigeninteresse der Einzelnen sinnvoll, wenn wir endlich gerechter verteilen...