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Streikwelle in FrankreichDie Eskalation ist beabsichtigt

Der Konflikt um die Arbeitsmarktreform könnte sich in dieser Woche entscheiden. Weder Gewerkschaften noch Regierung wollen nachgeben.

Straßenblockade der Gewerkschaft CGT bei Rouen im Nordwesten des Landes Foto: afp

Paris taz | Das Wort „Generalstreik“ ist in Frankreich in aller Munde. Die Gewerkschaften, die gegen eine Liberalisierung des Arbeitsrechts mobilisieren, rufen zu „unbefristeten“ Streiks in der Bahn, Metro und im Flugverkehr auf. Diese Woche könnte in Frankreich im seit Wochen andauernden Streit um die Arbeitsmarktreform vielleicht eine Entscheidung bringen.

Jeden Tag sagen Präsident François Hollande und Premier Manuel Valls, ein Nachgeben komme nicht infrage. Doch der Druck ist enorm, und die Versuche der Regierung, die Situation schönzureden, überzeugen nicht.

Die Versorgungslage mit Benzin und Diesel hat sich zwar tatsächlich ein wenig entspannt, nachdem die Polizei die blockierten Zufahrten zu den Depots mit den Notvorräten an Treibstoff mit Gewalt geräumt hatte. Die Erdölraffinerien sind aber durch Streiks weitgehend lahmgelegt. Auch werden die Flughäfen aus den Erdöl-Terminals der Atlantikhäfen Le Havre und Dunkerque nicht mehr regelmäßig mit Kerosin versorgt.

Zudem kann die Gewerkschaftszentrale der CGT den Druck im Energiesektor noch verstärken und die Stromzufuhr aus den ebenfalls bestreikten Atomkraftwerken verringern. Um die Lohnausfälle (durchschnittlich mindestens 50 Euro pro Tag) für die eigenen Mitglieder auf ein Minimum zu beschränken, verfolgt die CGT eine Strategie der punktuellen, aber sehr schmerzhaften Nadelstiche. So haben Streikende als exemplarische Drohung in Saint-Etienne die Müllabfuhr blockiert, um zu zeigen, dass sie zu einer Eskalation fähig wären.

Am Wochenende voller Stillstand

Am Dienstagabend hat ein Bahnstreik begonnen, der bis Montag dauern soll. Am Donnerstag legen die Beschäftigten der Pariser Metro und Busbetriebe „auf unbefristete Zeit“ die Arbeit nieder. Für das Wochenende vom Freitag bis Sonntag haben sämtliche Gewerkschaftsverbände der Zivilluftfahrt einen Streik angekündigt.

Nachdem schon nach den Attentaten vom November 2015 zahlreiche Touristen einen Bogen um Frankreich gemacht hatten, klagt das Gastgewerbe erneut über Abbestellungen. Längst überschattet der Konflikt auch den Beginn der Fußball-EM am 10. Juni. Das wissen natürlich auch die Gegner der Arbeitsmarktreform, die damit erst recht Druck machen, indem sie schon einen landesweiten Aktionstag am 14. Juni, mitten in der Startphase der EM, ankündigen.

Längst überschattet der Konflikt auch den Beginn der Fußball-EM am 10. Juni

Das hält die Regierung für unverantwortlich. Der Vorsitzende des Arbeitgeberverbands, Pierre Gattaz, gießt Öl ins Feuer. Die CGT-Aktivisten würden sich mit ihren Störaktionen wie „Schurken“ benehmen, schimpft er. „CGT, das ist eine Abkürzung für Arbeitslosigkeit“, polemisiert Gattaz, der die Druckergewerkschaft der CGT, die kürzlich die Zeitungen am Erscheinen gehindert hatte, mit einer „stalinistischen Diktatur“ vergleicht. CGT-Boss Philippe Martinez droht ihm deswegen mit einer Strafklage.

Obwohl laut Umfragen die Franzosen zu rund 70 Prozent gegen die Arbeitsmarktreform und überhaupt gegen die Wirtschaftspolitik der Regierung sind, haben sie mehrheitlich kein positives Urteil über die CGT und deren ultimatives Vorgehen.

Die reibungslose Organisation der Fußball-EM zu bedrohen, ist für die CGT ein Spiel mit dem Feuer. Denn womöglich ist Fußball noch mehr eine heilige Kuh als die sakrosankten „sozialen Errungenschaften“, welche die CGT, koste es, was es wolle, gegen die Liberalisierungsbestrebungen verteidigen will.

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3 Kommentare

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  • Hoffentlich halten die Franzosen durch und zeigen, dass Widerstand gegen die neoliberale Politik, die wenige immer reicher und alle anderen immer ärmer macht, tatsächlich etwas bringt.

    • @Frank Fischer:

      Solange sie es selber und nicht über "Solidarität" finanzieren können sie das gerne machen.

  • Eines der Kernprobleme ist, dass die Arbeitsmarktreform nicht im Wahlkampf angekündigt wurde, sondern den Bürgern einfach aufoktroyiert werden sollte - auf Anordnung der EU-Administration, heisst es. Das kann man mit den Franzosen nicht machen. Überhaupt hat Hollande keine Autorität mehr, da kann er reden und machen, was er will. Er gilt als ein Mann, der sich lediglich einen persönlichen Wunsch erfüllen wollte: Präsident sein. Er hat keine Visionen, wirkt orientierungslos, bietet keine Konzepte zur Problemlösung, hält sich an altbackene Rezepte, die nichts ausrichten. Aber er wird wohl noch einmal als Präsidentschaftkandidat antreten, weil er sonst der Öffentlichkeit gestehen würde, dass er in seiner Amtszeit gescheitert ist.