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Streik im öffentlichen DienstSollen doch die Reichen den Gürtel enger schnallen

Am Donnerstag und Freitag streiken Beschäftigte des öffentlichen Dienstes. Die Gewerkschaft fordert Umverteilung und ein Ende der Sparpolitik.

Ohne die Beschäftigten der BSR versinkt Berlin im Müll Foto: Florian Boillot

Berlin taz | Was der etwas abstrakte Begriff „öffentliche Daseinsvorsorge“ bedeutet, dürfte vielen Ber­li­ne­r:in­nen klar werden, wenn ab Donnerstagmorgen Mülltonnen unabgeholt am Straßenrand stehen und nicht notwendige Behandlungen in den Krankenhäusern verschoben werden.

Im Vorfeld zur zweiten Verhandlungsrunde am Montag für den Tarifvertrag im öffentlichen Dienst (TVöD) ruft Verdi Donnerstag und Freitag zu einem Warnstreik auf. Neben der Stadtreinigung BSR und den landeseigenen Krankenhauskonzernen Vivantes und Charité legen auch Beschäftigte der Verwaltung und des Studierendenwerks die Arbeit nieder.

Verdi will mit dem Warnstreik Druck aufbauen. Doch die Hoffnung, dass der kommunale Arbeitgeberverband, der die Länder in den Verhandlungen vertritt, am Freitag ein gutes Angebot vorlegt, sind gering. „Die Fronten sind verhärtet“, berichtet Anja Vogt, Mitglied der Tarifkommission, der taz. In der ersten Verhandlungsrunde am 24. Januar habe die Arbeitgeberseite durchblicken lassen, dass sie eine Nullrunde erwarte.

Verdi fordert einen Lohnzuwachs von acht Prozent, höhere Zuschläge für Schichtarbeit und zusätzliche freie Tage. „Der Verlust der letzten Jahre wurde nie ausgeglichen“, begründet Vogt die Forderungen.

Immer weniger Personal, immer mehr Arbeit

Weitere Lohnzurückhaltung gefährde die Zukunft der öffentlichen Daseinsvorsorge, argumentieren die Beschäftigten. „In den öffentlichen Diensten herrscht Fachkräftemangel“, sagt Krankenpflegerin Vogt. Die Intensivstation am Neuköllner Vivantes-Krankenhaus bilde da keine Ausnahme. Das Personal kündigt, gleichzeitig steigen die Aufgaben und damit die Belastung. „Du hast immer weniger Personal, arbeitest immer mehr, du fühlst dich wie ein Hamster.“

Ähnliches berichtet BSR-Mitarbeiter Carlos Seefeldt. Besonders in der Müllabfuhr sei es schwierig, alle Schichten zu besetzten. „Es fehlt an allen Ecken und Enden.“

Die Tarifverhandlungen

Wer streikt? Aufgerufen sind die Beschäftigten von BSR, Wasserbetrieben, Berliner Bäderbetrieben, Jobcenter, Bundesagentur für Arbeit, Deutschen Rentenversicherung, des Logistikunternehmens Behala, StudierendenWERKs, der Bundesministerien und nachgeordneter Einrichtungen sowie der Krankenhäuser Charité und Vivantes.

Worum geht’s? Der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst regelt die Bezahlung der bundesweit 2,5 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst. In Berlin sind rund 226.000 Menschen im öffentlichen Dienst beschäftigt. Bundesweit fehlen bereits rund eine halbe Million Beschäftigte. (wah)

Die Situation droht sich weiter zu verschärfen, wenn in wenigen Jahren die geburtenstarke Baby-Boomer-Generation in Rente geht. Laut Schätzungen des Senats werden bis 2030 rund 30 Prozent der Beschäftigten aus dem Dienst ausscheiden.

Eine deutliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen ist der beste Weg, um für genügend Nachwuchs zu sorgen, argumentiert Vogt. „Wenn man die Arbeitsbedingungen verbessern will, muss man höhere Löhne zahlen.“ Viele der Forderungen der Gewerkschaft zielen auch darauf ab, die hoch verdichtete Arbeitszeit zu entzerren oder wenigstens zu kompensieren. Zusätzliche Urlaubstage, höhere Schichtzulagen und ein Arbeitszeitkonto.

Länder knapp bei Kasse

Doch angesichts knapper Kassen sind die Länder nicht erpicht darauf, den Forderungen Verdis nachzugeben. „Die Forderungen der Gewerkschaften verursachen für die Kommunen Mehrkosten von rund elf Prozent“, schreibt die Vereinigung Kommunaler Arbeitergeber VKA in einem Statement. Die zusätzliche Belastung würde viele Kommunen finanziell überlasten. Dies hätte Einsparungen an anderer Stelle zufolge.

Es ist Krise, also sollen die Beschäftigten zum Wohle der Allgemeinheit den Gürtel mal wieder enger schnallen, lautet die Botschaft des Arbeitgeberverbands. „Es kann nicht sein, dass die öffentliche Daseinsvorsorge die Rechnung zahlen muss“, sagt dagegen BSR-Mitarbeiter Carlos Seefeldt.

Die Senatsverwaltung für Finanzen wollte sich auf taz-Anfrage mit Hinweis auf die laufenden Verhandlungen nicht dazu äußern, welche Folgen ein hoher Tarifabschluss für Berlin haben könnte. Das Land ist Teil des VKA, aber kein direkter Verhandlungspartner.

Damiano Valgolio, arbeitspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, ist skeptisch, dass sich das Land für die Beschäftigten einsetzt. „Wir haben keine Anzeichen, dass Berlin seine Macht nutzt, um eine hohe Vergütung durchzusetzen. Es wird weiter die Daseinsvorsorge kaputt gespart.“

Wenn man Vermögen anständig besteuert, hätte man mehr als genug Geld

Damiano Valgolio, Linke

Die Frage, woher das Geld für die Lohnsteigerungen kommen soll, ist maßgeblich für den Verlauf der Verhandlungen – und letztendlich hochpolitisch. „Wenn man Vermögen anständig besteuert, hätte man mehr als genug Geld, um die öffentliche Daseinsvorsorge zu finanzieren“, sagt Valgolio. Ein Ende der Schuldenbremse sei ebenfalls richtig, jedoch sollten die Lohnsteigerungen als laufende Ausgaben nicht durch Kredite, sondern durch Mehreinnahmen finanziert werden.

Angesichts der aktuellen politischen Mehrheiten im Land gilt die schnelle Einführung einer Vermögenssteuer nicht als sehr wahrscheinlich. Doch auch die Macht der Beschäftigten dürfe nicht unterschätzt werden. „So eine Tarifrunde ist eine Chance, einen politischen Richtungswechseleinzuleiten“, hofft Valgolio.

Drohen längere Streiks, ist die Gewerkschaft auf den Rückhalt der Bevölkerung angewiesen. Unterstützt werden die Tarifverhandlungen daher von „Berlin steht Zusammen“, einem Bündnis aus Beschäftigten, Gewerkschaft und Ak­ti­vis­t:in­nen. Mitglieder der Initiative unterstützen Streikposten und sorgen für mehr Akzeptanz. „Die Arbeitsbedingungen gehen uns alle was an“, sagt Pressesprecherin Celine Bittger.

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