Streik der Journalisten: Nichtstun ist keine Option
Wie die Redakteure des "Schwäbischen Tagblatts" sich gegen die Kürzungen bei ihrer Zeitung wehren: Die einen streiken, die anderen arbeiten für zwei.
TÜBINGEN taz | Die Angst sitzt ihr im Nacken. Was, wenn immer mehr Leser ihr Zeitungsabo stornieren? Wenn sie es leid sind, dass seit nunmehr 27 Tagen nur noch ein billiger Abklatsch ihres Schwäbischen Tagblatts im Briefkasten liegt – so dünn wie ihr Marmeladenbrot zum Frühstück, aber leider nicht so schmackhaft. Denn vor allem Agenturmeldungen und Pressemitteilungen füllen die Seiten.
Eigentlich sollte Ulla Steuernagel jetzt in der Redaktion vor ihrem Computer sitzen, recherchieren, schreiben und informieren. Stattdessen sitzt sie mit vielen anderen Kollegen auf der kalten Steintreppe des Tübinger Holzmarkts und streikt, mal wieder. "Ich fühle mich wie das Kaninchen vor der Schlange", sagt sie, denn das Letzte was sie wolle, sei, ihrer Zeitung schaden. "Doch hier geht es um die Zukunft unseres Berufsstands", sagt sie kämpferisch, einfach wegschauen und Nichtstun sei keine Option.
Hinter ihrem Rücken prangt ein riesiger Banner: "Journalisten gegen Lohnkürzung" steht da in großen, dicken Buchstaben. Drei Worte für viel Wut und Verbitterung, denn der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZ) wollte neu eingestellten Redakteuren in Tageszeitungen den Lohn um rund 25 Prozent, ihren Alt-Kollegen um 5 Prozent kürzen. Die neunte Tarifverhandlung am Dienstag in Hamburg brachte für die rund 14.000 Redakteure an Tageszeitungen endlich einen Durchbruch, der Dumping-Tarifvertrag für Berufseinsteiger scheint vom Tisch.
Annäherung, aber noch keine Einigung
"Plötzlich ist Bewegung in die Verhandlung reingekommen, die Verleger sind von ihren Forderungen nach radikal abgesenkten Gehältern abgewichen", freut sich Hendrik Zörner vom DJV. Es lohne sich jetzt, die Verhandlungen weiterzuführen. Die Vertreter des BDZ, des Deutschen Journalisten-Verbands und der Gewerkschaft Verdi einigten sich auch darauf, den Manteltarifvertrag in seiner bestehenden Form bis Ende 2013 wieder in Kraft zu setzen.
Eine Kündigung der Altersversorgung soll bis Ende 2013 ausgeschlossen werden. Eine grundsätzliche Übereinstimmung gibt es, dass Verlage in wirtschaftlicher Not die Möglichkeit erhalten, unter genau umrissenen Bedingungen zeitweise Urlaubs- und Weihnachtsgeld abzusenken. Über Erhöhungen von Gehältern und Honoraren muss nun in einer weiteren Tarifrunde zeitnah verhandelt werden. "Die Gremien müssen jetzt tagen, solange geht der Streik weiter", sagt Zörner.
Die Verleger zeigten sich überrascht ob der starken Reaktion der Journalisten. Eine überwältigende Mehrheit in Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Bayern hatte bei einer Urabstimmung vor knapp zwei Wochen für einen unbefristeten Streik gestimmt. Seitdem sind die Zeitungen merklich dünner. Auch die des Schwäbischen Tagblatts in Tübingen, dessen Mitarbeiter normalerweise den Lokal-und Regionalteil gestalten, der überregionale Mantelteil wird von der in Ulm ansässigen Südwest Presse zugeliefert.
Eine sogenannte "Notausgabe" sei das, erklärt Redaktionsleiter Eckhard Ströbel seinen Lesern in einem Kommentar. Zusammen mit anderen Redaktionsleitern hält er am Neckar die Stellung – sehr zum Missfallen der streikenden Fraktion. Zwar finden auch sie die Verzichtsforderungen der Arbeitgeber unangemessen, doch anders als ihre streikenden Kollegen meinen sie jedoch, dass durch ganz ausfallende Ausgaben den Lesern ein Schaden entstünde und die Zeitung einen Imageverlust erleiden würde, der schwerer wiegt als der Druck, der gleichzeitig auf die Verlegerseite ausgeübt werden soll. "Denn nichts wäre schädlicher für unser Gewerbe als eine Öffentlichkeit, die auf Zeitungen verzichten kann", kommentiert Ströbel.
"Ich warte seit Jahren auf diesen Protest"
"Lieber keine Zeitung als eine Notzeitung!", ärgert sich Sepp Wais. Der 58-jährige Lokalredakteur ist ein Urgestein des Schwäbischen Tagblatts. Seit 31 Jahren treibt er sich schreiberisch in der 88.000-Einwohnerstadt um. Heute hängt er zusammen mit seinen Kollegen eine Wäscheleine auf, an der Portraitfotos der Journalisten baumeln. "Schon seit Jahren warte ich auf diesen Protest", sagt er und seine hellen Augen blitzen kämpferisch. Sie müssten immer mehr leisten in weniger Zeit, mit weniger Personal – und jetzt auch noch für weniger Geld.
Dennoch, als Streikbrecher mag er die arbeitenden Kollegen nicht beschimpfen, auch wenn dies ein Solidaritätsblatt der IG-Metall an die Redakteure mit einem Verweis auf den Sozialisten und Schriftsteller Jack London tut. Der hatte zu Streikbrechern nämlich eine deutliche Meinung: "Ein Streikbrecher ist ein aufrechtgehender Zweibeiner mit einer Korkenzieherseele, einem Sumpfhirn und einer Rückgratkombination aus Kleister und Gallert."
Nein, so weit mag Sepp Wais nicht gehen, er weiß, dass die Chefs sich den Verlagsspitzen gegenüber zu Loyalität verpflichtet fühlen. Aber er merkt, wie die Journalisten selbst immer mehr in eine Parallelwelt abdriften. Da sind die streikenden Redakteure, die seit Wochen ihre Arbeitsplätze in den Redaktionen verlassen haben, Flugblätter verteilen, Unterschriften sammeln, Kundgebungen organisieren und Streikzeitungen verfassen. Und dann gibt es die Redakteure, die in leeren Redaktionsräumen arbeiten und die Aufgaben der Streikenden mit übernehmen.
Streiken für den Nachwuchs
Wais zeigt auf die Volontäre des Schwäbischen Tagblatts, die den Passanten auf dem Holzmarkt eine Suppe anbieten, von "Billigjournalisten zusammengerührt". "Ich streike vor allem für den Nachwuchs", sagt er. Die Verlage würden das überhaupt nicht verstehen. "Die sagen, was geht das euch alte Säcke überhaupt an, ihr steht doch mit eurem alten Tarifvertrag gut da."
Mit Infotafeln erklären die jungen Journalisten, was den Passanten blüht, wenn sich der Billig-Journalismus breit macht: Content ohne Kontext, Instant News statt Nachrichten, Oberfläche statt Tiefgang, Kommerz statt Fakten und keine Zeit für Recherche. Der Streik geht sie besonders an, denn der BDZ will vor allem beim Nachwuchs sparen. Nur so könnten die Zeitungen in Deutschland überleben, sagen die Verlage.
Sie verteilen einen offenen Brief, in dem sie die hohen Anforderungen der Verlage den schlechten Arbeitsbedingungen entgegen stellen: "Wir haben nach dem Abitur im Durchschnitt fünf Jahre an der Universität verbracht. Mit rund 4.000 Euro Uni-Schulden starten wir in die Ausbildung. Wir sind im Schnitt 29 Jahre alt. Wir haben jahrelang als Freiberufler geschrieben und recherchiert. Auch abends und nachts. Vor allem an Wochenenden und Feiertagen. Ohne Zuschläge. Umgerechnet sprangen in dieser Zeit anfangs 2,60 Euro, später 5,50 Euro pro Stunde heraus." Sie fordern von den Verlagen, gute Leute durch faire Löhne zu locken und nicht mit Dumping-Bedingungen zu vergraulen.
Ulla Steuernagel schaut dem Treiben ihrer Kollegen auf dem Tübinger Holzmarkt zu. "Ich will endlich wieder arbeiten", sagt sie. Dieser Streik geht einfach schon zu lange. Immerhin, der Durchbruch am Dienstag ist für sie ein großer Erfolg. Ihr Kampf war nicht umsonst.
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