Strategien der Sekte: Scientology macht auf divers
Sängerin Emily Armstrong steht wegen mutmaßlicher Scientology-Nähe in der Kritik. Die Sekte hat ihre Blütezeit zwar hinter sich, bleibt aber gefährlich.
Eine Frau mit langem blondem Haar geht durch die Reihen eines dunklen Konzertsaals. Sie betritt die Bühne, nimmt das Mikrofon in die Hand, die Lichter blenden auf. Aus voller Kehle singt sie den neuen Song der US-Band Linkin Park. Nachdem sich Frontmann Chester Bennington im Juli 2017 suizidierte, feiert die Band nun mit der Sängerin Emily Armstrong ihr Comeback. Dieser weibliche queere Zugang dürfte der rein männlichen Band guttun. Doch es hängt ein Damoklesschwert über ihr. Man sagt Armstrong nach, Mitglied in der Sekte Scientology zu sein. Dadurch würde sie in einer Reihe mit Hollywood-Stars wie Tom Cruise, John Travolta, Michael Peña und Danny Masterson stehen.
Kurz nach Armstrongs Debüt im September sprachen Fans und Medien sie an, warum sie auf Bildern einer Scientology-Gala zu sehen sei und Kontakte zu Mitgliedern pflege. Öffentlich distanziert hat sich Armstrong von der Sekte nie. Zwar ist diese nicht mehr in ihrer Blütezeit wie noch in den 1990er Jahren, doch die Organisation ist weiterhin eine Gefahr für die Gesellschaft – auch in Deutschland. Besonders in Krisenzeiten locken extremistische Vereinigungen mit simplen, manipulativen Lösungen.
Auf den ersten Blick ist Scientology nur eine von vielen neuen religiösen Bewegungen des 20. Jahrhunderts. Dahinter aber steht ein hierarchisches, autoritäres System, das Leute durch ein Schneeballsystem finanziell ausbeutet und körperlich wie seelisch misshandelt. Mitglieder erhalten für ihre Arbeit in der Sekte niedrige Löhne, müssen aber selbst Tausende Dollar in Kurse investieren, um in der Organisation aufzusteigen.
Seit über 70 Jahren baut Scientology auf diesem klassistischen System seinen Reichtum auf. In vielen Ländern ist die Organisation als eingetragene Religion von Steuerabgaben befreit. Durch Mitgliedsbeiträge und ein enormes Immobiliengeschäft beläuft sich das Kapital der Sekte nach Schätzungen auf zwei Milliarden US-Dollar. Offizielle Zahlen, darunter Anzahl und Alter der Mitglieder, hält die Organisation geheim. 2023 schätzte der Scientology-Aussteiger Aaron Smith-Levin die Mitgliederzahl auf maximal 35.000 Mitglieder weltweit.
Expansion im Immobiliengeschäft
Der Verfassungsschutzbericht von 2023 zählt etwa 3.600 deutsche Mitglieder. In Deutschland hat die Sekte als eingetragener, steuerpflichtiger Verein Immobilien und Kirchengebäude in Hamburg, München, Berlin, Hannover, Düsseldorf, Stuttgart, Frankfurt, Karlsruhe und Wiesbaden. Obwohl die Mitgliederzahlen stagnieren, vergrößert die Sekte ihre Finanzen durch eine Expansion im Immobiliengeschäft. Auch ihr Medienauftritt hat sich professionalisiert.
In aufwendigen Werbevideos gibt sich die Organisation divers und inklusiv. Diese strahlt sie auf prominenten Werbeplätzen wahrend des Superbowls aus und verbreitet ihre Anzeigen auch in den deutschsprachigen Medien. Wie perfide die Sekte inzwischen vorgeht, zeigt ein Bericht des bayerischen Verfassungsschutzes. Während der Fußball-EM 2024 machte Scientology mit der Tarnorganisation „Sag Nein zu Drogen – Sag Ja zum Leben“ verstärkt Werbung. Eine Verbindung zu Scientology ließ sich bewusst nicht erkennen. Der Verfassungsschutz geht davon aus, dass man mit dem Infomaterial eine junge Zielgruppe gewinnen wollte. Auch Tarnorganisationen wie „The Way To Happiness“ und „United for Human Rights“ lassen auf den ersten Blick keine Rückschlüsse zur Sekte zu.
Bewusste Verschleierung
Besonders für Menschen mit geringer Medienkompetenz stellt das ein Risiko dar. Die Social-Media-Strategie von Scientology ist zum einen die bewusste Verschleierung. Gleichzeitig präsentiert sich die Organisation in offiziellen Medienauftritten als seriöse, harmlose Gemeinschaft und lockt mit kostenlosem Infomaterial und dem eigenen Sender Scientology Network. Die Plattformen Facebook, Youtube, X und Instagram bespielt die Organisation nur sporadisch. Die dortigen Kommentare zeigen, dass dort nur undifferenzierte Echokammern von Mitgliedern sind.
Auf taz-Anfrage, warum die Sekte in Deutschland seit 1997 beobachtet wird, sagt der Verfassungsschutz: „Die Scientology-Organisation beabsichtigt, weltweit eine ‚scientologische Gesellschaft‘ zu etablieren. In einer solchen Gesellschaft – basierend auf den Schriften des Gründers Lafayette Ron Hubbard – würden wesentliche Grund- und Menschenrechte verletzt werden.“ Der Psychotherapeut Michael Utsch präzisiert das weiter: „Scientology hat ein sehr hierarchisches Modell vom Menschen, wo letzten Endes nur Scientologen das Wahlrecht haben, weil die restlichen Menschen einer niederen Gattung angehören. Im Grunde sind das rassenideologische Anklänge.“
„Es geht um eine Erfolgsideologie“
Utsch ist wissenschaftlicher Referent der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) und beschäftigt sich seit 1997 mit Scientology: „Ich sehe nicht, dass es um eine Religion geht. Es geht im Grunde um eine Erfolgsideologie und darum, glücklich und reich zu werden. Scientology sagt, dass dieser Weg für jeden möglich ist, wenn man nur den Anweisungen ihrer Kurse folgt. Die Organisation ist nicht mehr als ein moderner Psychokurs-Anbieter.“ Dazu sagt die EZW in ihrem ABC der Weltanschauungen: „Aussteiger berichten von Plänen der Scientology, die gesamte deutsche Wirtschaft zu infiltrieren, ihren politischen Einfluss zu vergrößern und in der gesamten deutschen Gesellschaft die Macht zu übernehmen. Selbst wenn das maßlos übertrieben sein sollte, so unterstreicht die Idee jedoch den politischen Anspruch der Scientology-Organisation.“
Der Science-Fiction-Autor L. Ron Hubbard gründete die Sekte mit Weltherrschaftsfantasien 1954. Anfangs ging es in seinen Lehren noch um das Gemeinwohl und das Potenzial einer unsterblichen Seele. Erst ab dem „OT III“-Level, für das man mehrere hunderttausend Dollar investieren muss, erfährt man vom vorgeblichen Weltraumherrscher Xenu, der vor 75 Millionen Jahren als Anführer einer galaktischen Föderation die Erde und Menschen erschuf. Über diese Geschichte à la „Star Wars“ haben sich inzwischen viele Aussteiger:innen und Medien wie „South Park“ lustig gemacht.
Zieht Menschen an, die überfordert sind
Doch wenn Leute in Scientology einsteigen, begrüßt man sie nicht mit Weltraummärchen. Die Sekte zieht Menschen an, die eine Gemeinschaft suchen, die vom Alltag, der Politik und der Weltlage überfordert sind. Sie werden aufgenommen und finden einen Sinn im Kollektiv. Durch die aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen schätzt Referent Utsch das Potenzial für extremistische Organisationen wie Scientology besonders hoch ein: „Gerade in Krisenzeiten sind die Leute anfällig für simple Lösungsvorschläge und Gruppenangebote. Mit den Kriegen und der Klimakatastrophe leben wir momentan in großen Krisen und vieles ist unsicher.“
Während Scientology besonders in Hollywood prominente Namen anzieht, gibt es in Deutschland keine bekannten Scientologen. Laut Utsch hat die Organisation aber „auch hierzulande einen Expansionsgedanken. Es ist eine weltweit operierende Firma, die ihre Kurse verkaufen möchte. Aber die Deutschen sind da relativ hartnäckig und wenig empfänglich dafür.“ Laut dem Verfassungsschutz stagnieren die Mitgliederzahlen seit 2021. Doch für extremistische Organisationen ist Stagnation nicht zwingend schlecht. Sie zeigt, wie ideologisch gefestigt die Basis ist.
Ohnehin kommt es bei Scientology nicht primär auf die Anzahl der Mitglieder an, sondern vielmehr auf die Größe und Reichweite des Einzelnen. Wenn Tom Cruise mal wieder von Gebäuden springt wie zuletzt bei der Schlusszeremonie der Olympischen Spiele, profitiert auch die Sekte von dieser Publicity.
Die britische Autorin Catherine Bennett nannte es den „besten Scientology-Stunt aller Zeiten“. Und wenn Emily Armstrong sich als neue Frontfrau einer der beliebtesten Bands nicht von der Sekte distanziert und Kontakte zu ihr pflegt, verharmlost sie damit eine zutiefst menschenfeindliche Organisation.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja