Straßenplaner pro Autobahn: "Die A 100 würde entlasten"
Der Straßenplaner Thomas Richter sieht in der geplanten Autobahn eine Chance für die Anwohner. Lärm und Schleichverkehr in engen Straßen nähmen ab. Polarisieren werde so ein Projekt immer.
taz: Herr Richter, der Senat wirbt für den geplanten Ausbau der A100 mit der Entlastung der Anwohner, die Bürgerinitiative erwartet genau das Gegenteil. Wer hat denn nun recht?
Thomas Richter: Im Prinzip haben beide Seiten recht. Die Argumente der Gegner stimmen insofern, als mehr Straßen mehr Kapazität bedeuten und zu einem gewissen Teil mehr Verkehr erzeugen. Es muss aber auch ein verkehrsfähiges Netz in einer Millionenstadt geben.
Bedeutet die Autobahn nun mehr oder weniger Verkehr für die Anwohner?
Auch hier gilt: sowohl als auch. In den Parallelstraßen wird der Verkehr sicher abnehmen - wer sich bisher von A nach B quält, kann dann zügig auf der Autobahn fahren. Im Zulauf zu den Auffahrten werden mehr Fahrzeuge rollen.
Entlastung oder Belastung?
Insgesamt bedeutet der Bau für die Bevölkerung auf jeden Fall eine erhebliche Entlastung. Denn der Straßenbau muss ja ganz andere Lärmschutzrichtwerte erfüllen als noch vor Jahrzehnten. Wenn ich mir anschaue, wie sich der Verkehr jetzt auf den engen Straßen durchschlängelt - dort ist die Lärmbelastung auf jeden Fall größer. Und wenn auf so einer alten Wohnstraße 5.000 Wagen weniger fahren, ist das schon eine massive Erleichterung. Auf der Autobahn fallen 5.000 mehr hingegen kaum auf.
Die Bürgerinitiative und die Grünen sehen das aber anders. Sie sagen, die Verkehrsplanung orientiere sich an den 60er-Jahren und missachte jüngste Verkehrsprognosen.
Grundsätzlich ist Straßenbau immer ein ideologisches Thema, eines, das polarisiert. Ich sehe nicht, dass sich die geplante Ergänzung der A 100 an veralteten Plänen orientiert. Berlin hat nun einmal 3,5 Millionen Einwohner, und ein großer Teil davon fährt Auto. Dieser Verkehr muss abgewickelt werden. Ein leistungsfähiger Nahverkehr - der sein muss - reicht nicht aus, um den Autoverkehr zu mindern.
Was halten Sie von der Volksweisheit "Mehr Autos - mehr Verkehr"?
Sicherlich wird es einen gewissen Prozentanteil mehr Verkehr geben. Aber dafür nimmt der Schleichverkehr im Kiez ab. Außerdem werden die Viertel sicherer, wenn der Durchgangsverkehr fehlt, und für die Autofahrer werden sich die Fahrtzeiten verkürzen. Weil auch die Staus abnehmen, wird sich der Kohlendioxidausstoß in der Summe reduzieren. Und die Umweltrichtlinien, die beachtet werden müssen, sind von der Europäischen Union sehr streng gefasst. Nicht von der Hand zu weisen ist natürlich das Argument, dass Grund und Boden in Anspruch genommen und versiegelt wird - die Umweltverträglichkeit des geplanten Baus hat eben zwei Seiten.
Der Großteil des Geldes kommt ja vom Bund, der Senat führt nur aus. Macht der Protest gegen das Projekt überhaupt Sinn?
Es ist in der Tat unwahrscheinlich, dass der Abschnitt gar nicht gebaut wird. Aber bei der jetzigen Auslegung geht es darum, die bestmögliche Streckenführung zu finden. Jede Einwendung muss vom Senat beantwortet werden, jeder Briefschreiber bekommt eine Einladung zum Erörterungstermin. Dann wird überlegt, welchen Einwendungen stattgegeben wird. Von anderen Fällen weiß ich, dass relative viele Gegner später auch klagen. Damit erzielen sie oft zumindest Teilerfolge.
Sie beschäftigen sich seit Jahren mit Mobilität und Straßenbau. Werden sich die Menschen Ihrer Einschätzung nach angesichts des Klimawandels besinnen und zunehmend auf Bus, Bahn und Fahrrad umsteigen?
THOMAS RICHTER ist Professor für Straßenplanung an der TU und Mitgesellschafter eines Ingenieurbüros.
Ich glaube, dass uns der Autoverkehr noch viele Jahrzehnte erhalten bleiben wird. Er wird sich sicherlich innerlich wandeln, mehr auf Elektroautos und alternative Kraftstoffe setzen. Aber am Grundsystem Auto wird sich nichts ändern.
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