Straßennamenstreit in Steglitz: Postkolonialismus à la Schwarz-Grün
Erneut wehrt sich die Koalition aus CDU und Grünen gegen Straßenumbenennungen in Steglitz-Zehlendorf. Nach dem antisemitischen Historiker Heinrich von Treitschke geht es nun um die koloniale Vergangenheit der Deutschen in China.
In Steglitz-Zehlendorf bricht der Streit über die richtige Gedenkpolitik wieder auf. Bereits im letzten Jahr hatte die Zählgemeinschaft von CDU und Grünen eine Umbenennung der Treitschkestraße - benannt nach dem als antisemitisch geltenden Historiker Heinrich von Treitschke - abgelehnt. Nun sind es erneut Straßenschilder, die die Gemüter erhitzen - und die Koalition von Grünen und CDU auf die Probe stellen.
Ein Verzeichnis von Berliner Straßen mit Bezug zum Kolonialismus findet sich hier
Diesmal geht es um das Dahlemer Ensemble der Iltis-, Lans- und Taku-Straße. Die Straßen am Campus der Freien Universität (FU) erinnern an das unrühmliche Kapitel des deutschen Kolonialismus. Die SPD im Bezirk und die FU fordern die Umbenennung dieser Straßen - gegen den Willen von CDU und Grünen. Auf einer Diskussionsveranstaltung am Mittwochabend mit den Fraktionschefs der BVV kochten deshalb die Emotionen hoch. "Erinnern ja, umbenennen nein", fasst Torsten Hippe, Fraktionschef der CDU die Position der Koalition zusammen.
Stattdessen sollten Tafeln über die Geschichte hinter den Straßen informieren: Die Iltis-, Lans- und Taku-Straße erinnern an deutsche Kolonialschlachten im Osten Chinas. Die "Iltis" war ein Kanonenboot, das 1900 chinesische Widerstandskämpfer besiegte. Wilhelm Lans war deren Kapitän. Er bombardierte die Küstenforts von Taku. Mit alliierten Großmächten plünderten und mordeten sich die Kolonisten bis nach Peking.
CDU-Fraktionschef Hippe resümiert dagegen am Mittwoch, wer denn eigentlich Opfer gewesen sei - schließlich wurde auch der deutsche Kapitän Lans verletzt. "Kriegsverbrechen waren das jedenfalls nicht." Und wo heute Straßen nach Karl Liebknecht benannt seien, ertrage er Wilhelm Lans erst recht.
"Aufhören" schallt es da bereits aus den Zuhörerreihen. Immer mehr versinkt die Diskussion im überfüllten Vortragsraum des Dahlemer Ethnologischen Museums unter Zwischenrufen und lautem Klatschen zwischen Befürwortern und Gegnern der Umbenennung.
Sprachlos sei er ob der "Ablenkungsdebatte" der CDU, entgegnet der SPD-Fraktionschef Michael Karnetzki. Und die Grünen hätten mit dafür gesorgt, eine Entscheidung zu den Straßen in dieser Legislaturperiode zu verhindern. Die Grünen-Chefin in der BVV, Christa Markl-Vieto, sitzt denn auch etwas zerknautscht zwischen den Fronten. Sie erinnert daran, dass die Grünen das Thema der Erinnerungskultur der CDU überhaupt erst "abgerungen" und in den Koalitionsvertrag aufgenommen hätten. Ihre Parteikollegin Maren Schellenberg zeigt sich "entsetzt" über die "unflätige Diskussion". Sicher würde sie die Dinge nicht so wie CDU-Mann Hippe formulieren, räumt Markl-Vieto ein. Im Koalitionsvertrag sei aber festgelegt, keine Straßenumbenennungen bis zum Ende der Legislaturperiode vorzunehmen. "Da kommen wir nicht raus."
Alice Ströver, kulturpolitische Sprecherin der Grünenfraktion im Abgeordnetenhaus, sieht die Schuld bei der CDU. Erst das "wahnsinnige Bemühen" der Bezirksgrünen habe das Thema auf die Agenda gebracht. Langfristig führe dennoch kein Weg an der Umbenennung der Straßen vorbei. Zumindest bei der Treitschke-Straße scheinen sich die Grünen inzwischen zu bewegen. Markl-Vieto: "Hier steht die parteiinterne Meinung auf Umbenennung" - nach den nächsten Wahlen.
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