Strafverfahren gegen Bülent Ciftlik: Zu viele Fälschungen
Der frühere SPD-Sprecher soll eine E-Mail gefälscht haben, doch deren von der Staatsanwaltschaft erstelltes Abbild könnte ebenfalls fingiert sein, so ein Gutachter.
Im Verfahren gegen den ehemaligen Hamburger SPD-Sprecher Bülent Ciftlik gibt es erneut Fälschungsvorwürfe – diesmal könnte die Staatsanwaltschaft in Bedrängnis geraten.
Rund um den Strafprozess tauchten immer wieder manipulierte Dokumente und wohl auch Zeugen auf: Sorgsam gefälschte, vermeintliche Polizeiunterlagen, fingierte E-Mails, die mithilfe einer Spionagesoftware der Hauptbelastungszeugin Nicole D. untergeschoben worden sein sollen und widerrufene Aussagen gekoppelt mit dem Vorwurf der Zeugenbeeinflussung gehörten von Anfang an zum Standardrepertoire dieser gerichtlichen Auseinandersetzung.
Der Anwalt von Nicole D., Johannes Schwenn witterte schon in der ersten amtsgerichtlichen Verfahrensrunde bei jedem von der Verteidigung eingeführten Beweismittel „Neues aus der Fälscherwerkstatt des Bülent Ciftlik“. Während es damals nur um den Vorwurf ging, Ciftlik habe eine deutsch-türkische Scheinehe geschmiedet, will die Staatsanwaltschaft nun vor dem Landgericht den Angeklagten wegen solcher ihm angelasteter Manipulationen zu einer mehrjährigen Haft verdonnert sehen.
Aufstieg: Der 1972 geborene Sohn türkischer Einwanderer machte eine bemerkenswerte Karriere: Abitur, Politikstudium in den USA, Anstellung als Sprecher der SPD-Bürgerschaftsfraktion und schließlich Bürgerschaftsabgeordneter.
Karriereknick: Eine Hausdurchsuchung und der Prozess gegen Ciftlik unter dem Vorwurf, einem befreundeten Türken durch die Einfädelung einer Scheinehe einen Aufenthaltstitel besorgt zu haben, läuteten den Abstieg des Politikers ein. Ciftlik flog erst aus der SPD-Fraktion, später aus der Partei.
Abstieg: Vor dem Landgericht muss sich Ciftlik, der mittlerweile vier Monate in Untersuchungshaft saß, wegen mehrfacher Urkundenfälschung, Körperverletzung und dreifacher Anstiftung zu einer Falschaussage verantworten.
Doch der 39-jährige Deutsch-Türke, der sich als Opfer einer Intrige unschuldig verfolgt sieht, schlägt jetzt zurück. Seine Anwältin Gabriele Heinecke präsentierte dem Gericht am Dienstag Dokumente, die den Schluss zulassen, dass Nicole D. oder die Staatsanwaltschaft Beweismittel gefälscht haben. Das aber könnte den Prozess wegen „unüberwindbarer Verfahrenshindernisse“ zum Platzen bringen.
Dass die Staatsanwaltschaft möglicherweise mit gefälschten Beweismitteln arbeitet, legt ein Gutachten des anerkannten IT-Sachverständigen Andreas Bethke, der für den schleswig-holsteinischen Datenschutzbeauftragten arbeitet, zumindest nahe.
Bethke untersuchte im Auftrag von Heinecke die Abbildung einer aufgerufenen Website, einen sogenannten Screenshot. Diesen will Oberstaatsanwalt Ronald Giesch-Rahlf nach eigenem Bekunden im April 2010 von Nicole D.s Posteingangskorb beim Provider web.de gemacht haben, in dessen Spam-Ordner sich eine der möglicherweise gefälschten Mails befand.
Schönheitsfehler des Screenshots: Die abgebildete Darstellung des Posteingangs stimmt mit dem Original-Posteingangsfach bei web.de optisch in wesentlichen Punkten nicht überein, sie ist laut Bethke deshalb möglicherweise eine „grafisch aufbereitete Fälschung“.
Allerdings lässt der Gutachter noch ein Schlupfloch: 2010 habe das web.de-Design möglicherweise noch anders ausgesehen. Eine Klärung könne „nur durch den Betreiber „web.de“ selbst herbeigeführt werden. Der aber tut sich mit der Aufklärung schwer, und teilte der taz gestern mit, er könne „nicht beurteilen, ob Manipulationen an dem Screenshot des Postfachs vorgenommen worden sind“.
Eine Antwort, die das Gericht kaum befriedigen dürfte – der Vorsitzende Richter Rüdiger Göbel hat bereits angekündigt, dass eventuell Fachleute des Internet-Giganten geladen werden, wenn die Verteidigung dies beantragt. Deren Antworten dürften auf den Verfahrensausgang entscheidende Auswirkungen haben.
Wird der Screenshot als Fälschung entlarvt, dürfte die Staatsanwaltschaft so in Erklärungsnot geraten, dass ein Verfahrensabbruch in den Bereich des Möglichen rückt. Noch aber hält Göbel eine solche Variante, wie er am Dienstag betonte, „für eine Fantasie ohne Realitätsbezug“.
Erweist sich der Screenshot aber als echt, dann entpuppt sich einer der wohl letzten Trümpfe der Ciftlik-Verteidigung doch nur als wertlose Niete.
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