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Straftaten von Flüchtlingen in ThüringenDie Polizei soll schweigen

In Thüringen wird gestritten, ob Behörden Straftaten von Asylbewerbern systematisch verheimlichen. Die CDU will das Thema nun im Innenausschuss aufrufen.

Der Chef der Gewerkschaft der Polizei, Kai Christ Foto: dpa

Erfurt dpa | Im Streit um eine angebliche Vertuschung von Ausländerkriminalität hat Ministerpräsident Bodo Ramelow die Polizei aufgerufen, Straftaten auch von Asylbewerbern konsequent zu ahnden. Alles andere sei Strafvereitelung im Amt, schrieb der Linke-Politiker auf Facebook. „Wenn ein Beamter davon Kenntnisse hat und nicht zur Anzeige bringt, dann macht er sich mitschuldig. Ich habe jedenfalls keine Kenntnisse von so etwas, und ich würde es auch nicht dulden!“ Die CDU-Fraktion kündigte an, das Thema im Innenausschuss des Landtages erörtern zu wollen.

Der Chef der Gewerkschaft der Polizei, Kai Christ, hatte am Samstag in der Thüringer Allgemeinen seine Anschuldigungen gegen das Innenministerium bekräftigt. Die Polizei werde fast täglich zu Einsätzen in Flüchtlingsunterkünfte gerufen – „in jede Unterkunft, fast jeden Tag“, erklärte er. „Diese Straftaten werden systematisch verschwiegen.“

Ramelow sprach von „ungeheuren Vorwürfen“. Linken-Fraktionschefin Susanne Hennig-Wellsow forderte Christ auf, konkrete Fakten auf den Tisch zu legen. Nur so könne sich der Innenausschuss mit dem Thema befassen und die Sache aufklären, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. Liefere Christ keine Fakten, „muss er sich den Vorwurf gefallen lassen, Stimmung auf dem Rücken von Polizeibeamten und Flüchtlingen zu machen“, betonte sie. „Hat er nichts in der Hand, muss er die Falschbehauptungen unterlassen.“

Schon am Donnerstag hatte Innenminister Holger Poppenhäger (SPD) den Vorwurf, die Regierung verschweige Straftaten in Flüchtlingsheimen, zurückgewiesen. Es habe keine derartigen Weisungen gegenüber der Polizei gegeben. Wenn in Einzelfällen Ermittlungen nicht öffentlich gemacht würden, habe dies ermittlungstaktische Gründe und nichts mit der Herkunft der Täter zu tun.

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3 Kommentare

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  • Unabhängig von dem vorliegenden Fall, dessen Wahrheitsgehalt ich nicht im Geringsten beurteilen kann, stellt sich die generelle Frage, ob Regierungen demokratischer Staaten gezielte Desinformationen streuen dürfen, und sei es zu einem "guten Zweck". Die Vergangenheit bietet derartige Beispiele en masse und auch in der heutigen "politisch aufgeladenen" Zeit werden solche Mittel gerne eingesetzt, um Debatten in der einen oder anderen Richtung zu beeinflussen.

     

    Als Argument für das Verbreiten von Halbwahrheiten oder gar dreister Lügen wird beim "Auffliegen " derer gerne das Argument benutzt, man habe das ja getan, um dem "Guten" zum Durchbruch zu verhelfen. Hier stellt sich nun eine ganze Palette von Fragen (ich führe hier nur einige auf):

     

    1.Der Vertrauensverlust in die Aussagen etablierter Politiker wird immer weiter um sich greifen.

     

    2.Der Personenkreis, der durch Desinformationen geschützt werden soll, gerät durch diesen „schlampigen Umgang“ mit der Wahrheit indirekt noch mehr unter Druck. Der Boden für das Entstehen von Pauschalverdächtigungen und Gerüchte wird bestens vorbereitet.

     

    3.Punkt 1 und Punkt 2 spielen rechtsextremen Parteien massiv in die Hände.

     

    4.Und zudem: Wer definiert eigentlich das „Gute“, zu dessen Durchbruch Desinformationen eingesetzt werden? Mir fällt es zunehmend schwerer, mich damit abzufinden, dass es angeblich „böse Propaganda“ (z. B. aus Russland) und „gute“ Propaganda (z. B. aus Deutschland geben) soll.

  • Ein Grund für das "Verschweigen" könnte darin liegen, dass die Polizei nicht ermitteln will. Straftaten in Flüchtlingsunterkünften sind ermittlungsintensiv. Zeug_innen haben Angst vor Repressionen der Täter_innen, da sie mit ihnen zusammen leben müssen. Zudem werden für alle Vernehmungen Dolmentscher_innen benötigt.

    Da wird dann lieber nicht ermittelt. Hier hat dann mangelnder Schutz der Polizei die Folge, dass es angeblich weniger Probleme gäbe. Die Hauptmotivation dürften daher die Prioritäten der sowieso überlasteten Polizei und nicht die Desinformation der Öffentlichkeit sein. Dazu wird auch keine Dienstanweisung von oben benötigt, vielmehr werden dort die Prioritäten gesetzt, wo die Polizei schnell Ergebnisse liefern kann und wo am meisten öffentlichen Druck erwartet wird.

  • Ein sehr schwieriges Thema. Nahezu Jedermann glaubt doch, dass es mehr "Vorfälle"

    gibt, als in den Medien diskutiert wird.

     

    Das Verschweigen von Delikten der Flüchtlinge seitens Polizei und Politik hat für mich einen plausiblen Grund:

    Es existiert eine begründete Sorge, dass die Stimmung weiter gegen die Flüchtlinge umschlägt, wenn die vielen kleineen und größeren Delikte publik werden. Noch mehr Häuser brennen und Flüchtlinge bedroht werden. Ein schreckliches Szenario.

     

    Ein richtiger Weg ist wohl das gezielte und sensible Ansprechen der Situation, bevor durch eine Datenlücke erschreckende Zahlen in den Medien auftauchen.