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Strafe muß sein

Kranke Menschen sind Deutschlands Managern ein Graus. Denn sie verursachen Kosten. Die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ist schuld daran, daß Arbeitsplätze hierzulande so teuer sind, lautet das Lamento. Mit Prämien soll nun Abhilfe geschaffen werden: Wer wenig fehlt, wird künftig belohnt, wer kränkelt, geht leer aus  ■ Von Karin Flothmann

Krankheit sollte bestraft werden. So denkt zumindest Deutschlands Arbeitgeber. Neben den Gewerkschaften, so lamentiert er schon seit Jahren, seien vor allem die kranken Arbeitnehmer schuld daran, daß Deutschlands Arbeitsplätze so teuer sind. „Primär die großzügige Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ist für den im internationalen Vergleich hohen Krankenstand in Deutschland verantwortlich“, meint etwa Alfred Boss vom Kieler Institut für Weltwirtschaft.

Jährlich 15 krankheitsbedingte Fehltage pro Arbeitnehmer ermittelte das Kölner Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) 1991. Bei den Betriebskrankenkassen wurden 1994 sogar 21 Arbeitsunfähigkeitstage pro Versichertem gezählt. Die Arbeitgeberverbände beziffern den Krankenstand in deutschen Unternehmen durchschnittlich auf 6,8 Prozent der Belegschaft. Damit wären im Schnitt 1,6 Millionen Beschäftigte zu jeder Zeit des Jahres krank. Primär die gesetzlich verankerte 100prozentige Lohnfortzahlung in den ersten sechs Krankheitswochen ist den Arbeitgeberverbänden dabei ein Dorn im Auge.

Den Unternehmen, so errechnete das IW, entstünden dadurch Kosten in Höhe von rund 45 Milliarden Mark. Allein bei BMW entfallen jährlich rund 144 Millionen Mark auf die Lohnfortzahlung, bei Opel sind es 213 Millionen Mark, bei VW etwa 520 Millionen. Die Milliardengrenze wird sowohl bei Telekom und Post als auch bei der Deutschen Bahn überschritten.

Geht es darum, die eigenen Kosten zu mindern, kennt die Phantasie der Arbeitgeber und konservativer Volkswirtschaftler keine Grenzen. Alfred Boss etwa plädiert für amerikanische Verhältnisse: Unternehmen sollten nicht mehr zur Lohnfortzahlung verpflichtet werden, Arbeitnehmer könnten sich für den Krankheitsfall selbst versichern. Ist jemand häufig krank, so Boss, dann könnte die private Versicherung ihre Prämien erhöhen – „wie bei der KFZ- Versicherung“. Strafe muß sein, denn dadurch, davon ist Boss überzeugt, „greift der einzelne zu mehr Eigenverantwortung“.

Die Industrie und Handelskammer (IHK) in Hannover geht mit ihrem Modell noch weiter. Auf individuellen Sozialkonten sollte jeder Arbeitnehmer sowohl die eigene Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung als auch die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall absichern. „Unser Kundenmodell“, so lautet die Devise der Hannoveraner IHK, „sieht vor, daß der einzelne vom Leistungsempfänger zum Kunden mutiert und damit zum eigenverantwortlichen Käufer von Sozialleistungen.“

Ganz so weit wird die Demontage des Sozialstaats nicht gehen. Sowohl im Aktionsprogramm der Regierung als auch beim Bündnis für Arbeit einigten sich die Verhandlungspartner darauf, daß an den gesetzlichen Bestimmungen zur Lohnfortzahlung „vorerst“ nicht gerüttelt werden soll. In gemeinsamen Gesprächen wollen Bundesregierung, Wirtschaft und Gewerkschaften dennoch prüfen, welche Möglichkeiten es gibt, um Fehlzeiten in Betrieben zu verringern. Vorschläge gibt es zur Genüge.

Die CSU etwa, so ein Vorschlag in ihrem Bad Kreuther Programm vom Januar, will Fehlzeiten durch Überstunden an anderen Tagen nachholen lassen oder auf den Urlaub anrechnen. Auch Wolfgang Schäuble, Fraktionschef der CDU/ CSU im Bundestag, kann sich für diese Idee erwärmen. „Eine solche Regelung“, so erklärte er unlängst, „wäre eine begrenzte, aber notwendige Maßnahme, um den Export von Arbeitsplätzen zu verhindern.“

Bei anderen Unionspolitikern lautet die neue Zauberformel: Anwesenheitsprämie. Arbeitsminister Norbert Blüm (CDU) schwebt dabei eine Regelung vor, nach der die Zahl der Anwesenheitstage im Betrieb bei der Weihnachts- und Urlaubsgeldregelung honoriert werden könnte. Und der Vorsitzende der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft, Rainer Eppelmann, möchte „diejenigen prämieren, die mit geringen oder keinen Fehlzeiten im Betrieb anwesend sind“. Mögliche Prämien, so sein Vorschlag, wären etwa „Warengutscheine, Geldzulagen oder auch Sonderfreizeiten“. Das Bonussystem rechtfertigt Eppelmann prompt mit eigenen Erfahrungen: „Als Vater von fünf Kindern weiß ich: Belohnen ist besser als strafen.“

Allzu neu ist die Idee der Anwesenheitsprämien allerdings nicht. Das Kölner Institut für Wirtschaft ermittelte 1989, daß rund 6 Prozent der deutschen Unternehmen diese Prämien auszahlen. Vor allem mittelständische und kleinere Betriebe springen auf solche Systeme an, meint Rainer Jäkel, Sekretär bei der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen. „Da herrschen noch eher Wildwest- Methoden.“

Auch das Bundesarbeitsgericht in Kassel beschäftigte sich hinlänglich mit entsprechenden Bonussystemen. Noch in den 80er Jahren hielten Deutschlands Arbeitsrichter an dem Rechtsgedanken fest, daß die Entgeltfortzahlung fester Bestandteil des Arbeitslohnes sei und Krankheit daher nicht mit Hilfe von Anwesenheitsprämien bestraft werden dürfe.

Seit Anfang der neunziger Jahre hat sich die Rechtsprechung in Kassel allerdings der neuen Stimmungslage angepaßt. Inzwischen, so sagt Rudolf Buschmann, stellvertretender Leiter der Bundesrechtsstelle des DGB, verstoße es nicht mehr gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, wenn freiwillige Leistungen des Arbeitgebers gekürzt würden. Nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 1990 beispielsweise dürfen freiwillig gewährte Weihnachtsgratifikationen „durch Krankfeierzeiten“ gemindert werden.

Schon die Wortwahl der Arbeitsrichter verdeutlicht, wes Geistes Kind hinter dieser Rechtsprechung steht. Und auch Deutschlands Arbeitgeber wird nicht lange fackeln, wenn er mit Hilfe von Prämien Kosten sparen kann. Lieber wäre ihm allerdings sicherlich, wenn Bonns Hardliner ihm endlich erlauben würden, Krankheitstage mit Überstunden oder Urlaubstagen zu verrechnen.

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